"Wer es auf sich nimmt, sein Land, seine Familie und
Freunde zu verlassen, wer sich auf eine unvorhersehbare, mit unvorstellbaren
Strapazen verbundene Reise begibt und dabei sein Leben - und nicht selten sogar
das Leben seiner Kinder - aufs Spiel setzt, wer sich dieser unberechenbaren,
gefährlichen Zukunft aussetzt, der tut das, weil das Leben für ihn unerträglich
geworden ist. Alles, selbst der Tod, scheint besser als das bisherige Leben.
Alles ist eher zu ertragen als die Vorstellung, weiterzuleben wie und wo man
bisher gelebt hat.
Wer sich von Flucht kein besseres Leben, sondern sein
Überleben erhofft, der ist kein Wirtschaftsflüchtling. Die Heimat ist keine
Heimat, die vertraute Umgebung ist nicht vertraut, wenn man hungert, wenn man
von Krieg, Plünderung, Entführung und anderen Formen von Gewalt bedroht ist. (…)
Wer sich in Syrien oder Somalia auf den weiten Weg nach Europa macht, der
verlässt nicht sein Zuhause, der verlässt nicht seine Heimat. Der hat vielmehr
in vielen Fällen schon lange kein Zuhause, keine Heimat mehr gehabt, (…) der
will vielmehr so etwas wie eine Heimat allererst finden: einen Ort, an dem er
nicht hungern muss, an dem er sichtbar sein darf, ohne jeden Augenblick um
Freiheit, Gesundheit und Leben zu fürchten."
Der Bonner Philosoph Hans-Joachim Pieper in einem Essay im
"Journal" der Katholischen Nachrichten-Agentur (28. April)