Donnerstag, 30. Juni 2011

"Bundesrepublik Palästina-Jordanien"

"Während der Arabischen Revolution(en) dieses Jahres gab es bislang kaum anti-israelische und antiamerikanische Signale. Das zeigt: Die Menschen haben andere Sorgen als Israel, Palästina und die USA. Sie wollen 'Brot und Arbeit', später sicher auch 'Spiele'. Doch keine tödlichen, also keinen Krieg gegen den jüdischen Staat (...) Dabei bedeuten die Aufstände in der arabischen Welt eine zusätzliche Großchance. Denn der Thron des jordanischen Königs wackelt heftiger denn je. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit zu einer wirklichen Lösung des Nahostkonflikts. Die Palästinenser könnten ihren Staat bekommen, indem aus Jordanien 'Palästina' oder 'Palästina-Jordanien' wird. Wenn König Abdallah klug ist, leitet er von sich aus diese Entwicklung ein. Verhindern kann er sie so wenig wie irgendeiner seiner Nachfolger. Demografisch ist Jordanien längst Palästina, rund 75 Prozent der Staatsbürger des Königreichs sind Palästinenser.
Jordanien-Palästina sollte eine Bundesrepublik (Föderation) mit dem Bundesland 'Westjordanien' (Westjordanland) und gegebenenfalls dem Gazastreifen bilden. Alle Palästinenser dieser drei Bundesländer wählen das Parlament der 'Bundesrepublik Palästina-Jordanien' und dieses die Regierung. Denkbar wäre auch die Erweiterung zu einem Staatenbund 'Palästina-Jordanien-Israel'."
Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn erklärt in seinem Beitrag in der "Jüdischen Allgemeinen" (30. Juni), warum eine "Bundesrepublik Jordanien-Palästina" das Ende des Nahostkonflikts bedeuten könnte und der einzig realistische Weg zum Frieden ist

Nebengeräusche

"Are we listening to ourselves? Are we still aware of the awful noise coming from here? Have we noticed how the discourse is becoming more and more violent and how the language of force has just about become Israel's only official language?"
Gideon Levy im Kommentar "Israel has become a society of force and violence" (Haaretz, 30. Juni)

Mittwoch, 29. Juni 2011

Nicht genug Hass?

"In the past, we could always count on a regular stream of anti-Semitic events to maintain Jewish affiliation and identity. Today, 'they' aren’t hating us enough, or at least consistently enough, to generate on their own a Jewish identity and sense of belonging. One of the primary factors for example, for the increase in intermarriage is not to be found only in a weakening of Jewish identity, but in the fact that today, for the first time in two millennia, non-Jews are open to considering marrying a Jew (…) In a world which is open and respectful to both Jews and Judaism, we have lost an invaluable safety net which would ensure Jews’ connection to Judaism, our people and Israel, even in the face of a lack of a positive commitment and motivation on their part."
Der israelische Rabbiner Donnel Hartman in seinem Blogeintrag "Judaism is Not a Twitter-able Religion" (26. Juni)

Fünf Worte für den Frieden

"I stood before my people and said I would accept a Palestinian state. Now President Abbas must stand before his people and say, 'I accept a Jewish state' Just say these words – 'I accept a Jewish state'. It is a basic demand for peace."
Benjamin Netanyahu betonte am Montag, er habe seine Bereitschaft erklärt, einen Palästinenserstaat zu akzeptieren. Nun liege der Ball bei Mahmud Abbas.

Montag, 27. Juni 2011

Der Retter naht

"The Government has come to save the Dead Sea and it is also obligated to save its tourism industry and scenic beauty as well.  Previous governments talked about this but my Government is doing something."
Benjamin Netanyahu am Montag beim Besuch des gefährdeten Naturwunders

Ob ich das noch erleben werde ...

Zum X-ten Mal wurde er jetzt verschoben, der Start der Strassenbahn in Jerusalem. Seit Monaten sieht man die Züge fahren, ohne Fahrgäste und die Sitze noch immer in Plastik verpackt. Neuer Start, hiess es heute: November. Inscha'allah!

Kriegserklärung

"The term 'flotilla' is understood in Israel as a declaration of war (…) The government seems to be as frightened of the flotilla as one would think it would be of an attack by an armed naval fleet. It is preparing to keep the ships from reaching the Gaza coast as though it were preparing to fight an enemy seeking to infringe on Israeli sovereignty. It appears that even though a year has passed since the first flotilla fiasco, Israel is showing that it has learned just one lesson: the military lesson (…) A less fearful country would certainly have offered even to go as far as escorting the flotilla to the Gaza coast. From Israel, we can at least demand that it let the flotilla get through to the Gaza Strip without once again endangering the country's position in the world."
Haaretz in ihrem Editorial "Let the flotilla go" (27. Juni)

Sonntag, 26. Juni 2011

Der Reiz des Verbotenen

Ein Schiffskonvoi soll demnächst im Nahen Osten ankommen. Er ziele darauf ab, in den Gazastreifen einzudringen, schreibt der Chef des Regierungspressebüro an seine "dear friends" von der ausländischen Presse. Die Flotilla, heisst es weiter, sei eine "gefährliche Provokation", organisiert von "westlichen und islamischen extremistischen Elementen, um der Hamas zur Hilfe zu kommen, die die Welt als eine extremistische islamistische Terrororganisation ansieht". Das als "Flotilla-Warnung" bezeichnete Schreiben stellt eindeutig klar: "Die Teilnahme an der Flotilla ist eine absichtliche Verletzung israelischen Rechts". Darauf steht: "10 Jahre Einreisesperre für Israel, Beschlagnahmung der Ausrüstung und weitere Sanktionen". Unter diesen Umständen werde ich mir natürlich ein anderes Freizeitprogramm überlegen. Gut, dass ich gewarnt wurde!

Samstag, 25. Juni 2011

Exoten

"You are coming from the wadi? Are you serious?" Die Reaktionen der Palästinenser auf unsre Wandergruppe sind immer wieder amüsant. Offenbar liegt es jenseits jedes Vorstellungsvermögens, dass sich ein Mensch freiwillig (!) an seinem freien Tag (!!) zu Fuss (!!!) in die Natur begibt, und das noch dazu in der Hitze eines Sommertags. Tausend Gründe scheint es zu geben, die dagegen sprechen. Drei sind es konkret, die der junge Familienvater an diesem Tag vorbringt, als wir ihn nach einem steilen Aufstieg durch einen Olivenhain nach dem Weg fragen. "There can be snakes, rotten trees and there are settlers all around." 
Zumindest was die Siedler betrifft - ein paar gleichförmige, von weitem weiss leuchtende Häuser mit ebenso leuchtend roten Dächern auf dem einen, ein paar Container-Outposts auf dem anderen Hügel - hat er recht. Aber ob wir es wollen oder nicht, sehen wir allesamt eher aus wie jüdische Siedler als wie palästinensische Dorfbewohner, die Gefahr wäre also gebannt. "But the snakes!" Ob wir wenigstens einen Araber mit uns haben oder jemanden hier kennen? Gänzlich ungläubig schaut er drein, als wir ihm erzählen, dass wir nicht nur aus dem Wadi kommen, sondern zuvor dieses und ein anderes durchwandert haben. Der Dorfladen wird eigens für uns geöffnet und ein paar Jungs begleiten uns auf der halben Strecke zum Nachbardorf.
"Exotenbonus" haben wir auch an unsrem Zielpunkt, einem kleinen "Spa-Ressort" mitten in der palästinensischen Pampa. Ein herrliches Schwimmbad ist das zentrale Stück der Anlage, nur leider wussten wir das nicht im Voraus, haben also keine Badesachen dabei. Abgesehen davon, dass "Männerbadetag" ist. Kein Problem, sagt der Bademeister, für uns gibt es eine Ausnahme. Nach einer reinigenden Dusche dürfen wir, Männlein wie Weiblein, mit Shorts und T-Shirt ins Wasser. Wet T-Shirt-Contest, zur Freude der einheimischen Jungs.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Ohne Worte

Antrainiert

Den Wecker, der dem kleinen Kater den Herzschlag der abhanden gekommenen Mutter simulieren soll, auf dem Weg zum Tierarzt mit in die Papiertüte stecken? Nicht die beste Idee. Das Kopftuch vom jüdischen Markt tragen beim Versuch, einen arabischen Bus zu erwischen? Wenig erfolgversprechend. Ein herzliches "Shukran" zum Kipa-bedeckten Verkäufer im jüdischen Markt…? Es ist erstaunlich, welch komische Reflexe man in dieser Stadt entwickelt!

Mittwoch, 22. Juni 2011

Parallelwelten

Einmal mehr dauert der Weg durch die Altstadt erheblich länger als üblich. Ungewohnte Massen drängen sich am späten Abend noch durch die schmalen Gassen. Es ist der letzte Abend des "Jerusalem Light Festivals", und in vielen Gassen hängen Lichterkette und beleuchtete Objekte. Der Sinn der Installationen erschliesst sich dem Betrachter (oder zumindest meiner Wenigkeit) nicht auf Anhieb, aber bis auf ein paar Namensschilder und Hinweistafeln sind leider alle Pläne und Erklärungen auf Hebräisch - ausschliesslich. Und so ist Hebräisch für einmal die dominierende Sprache auch in den arabischen Altstadtvierteln, und die meisten Männer in der Menge tragen Kipa. Araber sieht man an diesem Abend kaum, wie auch an den Abenden der vergangenen Woche seit Festival-Beginn. Die arabische Jugend sitzt eine Gasse weiter in der zweiten Reihe bei Wasserpfeife und Co. und bekommt von dem regen Treiben auf den Hauptstrassen nichts mit.


Dienstag, 21. Juni 2011

Ignorant

Erst im Januar hatten die Frauen im Kampf um gleichberechtigtes Sein einen Teilsieg erreicht. Zwar hatte der Oberste Gerichtshof in Jerusalem die Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht grundsätzlich verboten, aber sie dennoch als freiwillig deklariert. Galt bis anhin auf rund 60 Buslinien in ultraorthodoxen Jerusalemer Stadtvierteln sowie manchen Überlandstrecken für Frauen: "Hinten einsteigen und auf den hinteren Bänken Platz nehmen", hatte das Gericht mit Verweis auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA (1950er Jahre!) geurteilt, keine Frau dürfe dazu gezwungen oder gar von ihrem Platz vertrieben werden.
Freie Platzwahl für Frauen, zumindest auf dem Papier. Reformbewegungen, die die klagenden Frauen vor Gericht unterstützt hatten, haben den Schwachpunkt wohl gleich gesehen, als sie das Transportministerium zur intensiven Kontrolle der Buslinien aufforderten, um eben diese "gewaltfreie Geschlechtertrennung" sicherzustellen. Eine Telefon-Hotline soll jenen Gehör verschaffen, bei denen dennoch Zwang zur Anwendung kam.
Nicht übertrieben, wie eine Werbeanzeige in einem Haredi-Magazin jetzt zeigt (Haaretz, 21. Juni): Geziert mit dem Logo der israelischen Busfirma Egged (die jegliche Beteiligung an der Aktion abstreitet) erläutert die Anzeige die Details der Geschlechtertrennungsregelungen auf Jerusalemer Buslinien anlässlich von Schavuot. Einen "men only"-Bus werde es zu dem Fest geben, zusätzlich zu einem Familienbus, heisst es, alles überwacht vom mitreisenden "Supervisor". Praktischerweise wurde der Fahrplan der koscheren Busse gleich mitgeliefert – damit keine Frau sich "umsonst" auf den Weg macht?

Unwichtig

"The debate over how many Jews and how many Palestinians will be between the Jordan and the sea is irrelevant. It does not matter to me whether there are half a million more Palestinians or less because I have no wish to annex them into Israel. I want to separate from them so that they will not be Israeli citizens. I am interested that there be a solid Jewish majority inside the State of Israel. Inside its borders, as these will be defined."
Benjamin Netanyahu stellte am Sonntag zu Beginn der wöchentlichen Kabinetts-Sitzung einen möglichen Verzicht auf die Westbank in Aussicht

Montag, 20. Juni 2011

Bibis Bar Kochba

"The current government’s disconnection from the world indeed has much in common with the psychology of religious sects that become so convinced of their own truth, that they no longer care about the world at large. Theirs is a state of mind that prefers mystical vision and misguided pseudo-heroism of staring down the whole world to pragmatic politics. Hence the Cabinet is now about to revoke Ehud Barak’s veto right on construction in the West Bank: intoxicated with their dream of the Greater Israel, they no longer want any impediments to their messianic vision.
Future historians will point out that Netanyahu liked to think of himself as Israel’s Churchill, but that his state of mind seemed much closer to Bar Kochba, who led the uprising in the second century CE against the Romans that ended with the violent death of more than half a million Jews. The historians might point out that Netanyahu might have been overly influenced by a children’s song that says ‘Bar Kochba was a hero … the whole people loved him’, and that he forgot that later Talmudic generations saw Bar Kochba as one of Jewish history’s great catastrophes. In other words: Netanyahu & Co have indeed created an atmosphere in which Bar Kochba and Masada have more reality than the EU, the UN, the Arab League and the rest of the world."
Carlo Strenger im Haaretz-Blog "Stranger than fiction" (17. Juni)

Sonntag, 19. Juni 2011

Fundstücke V

Arabischer Frühling oder Hüttenkäse

"The revolutions that have swept the Arab world in recent months have highlighted the Israeli public's political apathy. While our neighbors have taken to the streets and even risked their lives to call for their corrupt regimes' downfall, Israelis have continued with business as usual. Few have protested against Prime Minister Benjamin Netanyahu's failed policies, the diplomatic stalemate, Israel's international isolation or settlement expansion.
But now it turns out that the Israeli public, too, can be stirred, if the catalyst is in the refrigerator. Many people have joined a Facebook protest against the increase in cottage cheese prices. The protest has attracted wide media attention, and the politicians have rushed to join the campaign, each as he sees fit."
Die Tageszeitung Haaretz wünscht sich in ihrem Editorial (19. Juni), die Israelis mögen sich doch um mehr sorgen als um den Preis von Hüttenkäse

Freitag, 17. Juni 2011

1967

"Whoever accepts the basic principle of the 1967 lines will receive international support from the world. Whoever rejects it will lose the world."
Staatspräsident Shimon Peres anlässlich des vierten Jahrestags seiner Präsidentenwahl. Auf einen Rat von Freunden, sich nicht offen mit Netanyahu anzulegen, konterte Peres: "I'm not the head of the opposition, I'm the state president."

Donnerstag, 16. Juni 2011

the dark side of the moon

mondfinsternis in jerusalem, 15. juni, 23:55 uhr

Mittwoch, 15. Juni 2011

Dienstag, 14. Juni 2011

Stützräder

"The mood among the Palestinian leadership in Ramallah prior to the anticipated United Nations vote in September is reminiscent of a small child who has received an adult bicycle for his birthday. The child doesn't know whether to rejoice or to cry. He's so happy with the wonderful gift, but his heart is full of fear that he'll fall flat, injure his knee and scratch the shiny bicycle. When the UN gives them a state of their own as a gift, what will the Palestinians do with the bicycle that they cannot ride anywhere with confidence?"
Die Möglichkeiten der Palästinenser bleiben begrenzt, selbst wenn sie einen eigenen Staat erhielten, meint Akiva Eldar im Haaretz-Kommentar (14. Juni)

Freitag, 10. Juni 2011

Koschere Brandstiftung

Gleich sieben Brände musste die Jerusalemer Feuerwehr im ultra-orthodoxen Viertel Mea Schearim in den vergangenen Tagen löschen, fünf davon allein in der Nacht von Schawuot. Die Häufung, die Art der Brände und grosse Ähnlichkeiten zu einer "Brand-Epedemie" von vor 7 Jahren lassen Polizei und Feuerwehr von einem Brandstifter ausgehen. Und obwohl an einem Fest wie Schawuot selbstverständlich die Schabbat-Gesetze gelten, geht der Polizeisprecher davon aus, dass der Verursacher der Feuer ein Mea-Schearim-Bewohner ist. Schliesslich sei es ja nach den religiösen Vorschriften auch am Feiertag erlaubt, Feuer weiterzureichen, ohne die Schabbat-Observanz zu brechen. Koscheres Brandstiften sozusagen.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Schawuot

Schawuot ist "kein dramatisches Fest", schreibt Rabbiner Walter R. Rothschild, und weiter: "Die Torah ist eine Art wöchentlicher 'Fortsetzungsroman' geworden, der in der Synagoge gelesen wird. Schawuot repräsentiert gewissermassen die Zeit, in der wir unser Abonnement erneuern." Schawuot, eines der drei jüdischen Wallfahrtsfeste, hat gleich mehrere Bedeutungen, wenn auch nicht alle biblischen Ursprungs: Erntedank, Tag der Erstlingsfrüchte, heilige Versammlung, Empfang der Zehn Gebote. Traditionell bleibt man die ganze Nacht lang wach, um die Torah zu lesen und zu diskutieren und am Morgen vor Sonnenaufgang das "Höre Israel" zu sprechen.
Schon in den frühen Morgenstunden hört man die Gesänge und Gebete von weitem. Eine Stunde vor Sonnenuntergang strömt es aus allen Richtungen in die Altstadt zur Klagemauer. Der Platz davor ist längst mit Betern und Neugierigen jeglicher Couleur gut gefüllt, und auch auf den umliegenden Dächern und Terrassen sammeln sich immer mehr Menschen. Zwei amerikanische Jungs hinter uns versuchen, die Männer innerhalb des abgezäunten Bereichs vor der Mauer zu zählen, um eine "Schätzbasis" für die gesamte Menge zu finden. Die vier Mädels auf der Linken finden alles einfach nur "amazing", und ein junges Paar flüstert sich Liebesschwüre ins Ohr, bevor der Mann zum Gebet auf die Männerseite entschwindet. Mittendrin in der jüdischen Menge steht, etwas verloren, eine einsame Ordensfrau im schwarzen Habit mit grossem Kreuz auf der Brust und betet ihren Rosenkranz.

Dienstag, 7. Juni 2011

Chinesische Mauer für den Golan?

"Hence, in the face of the new Arab strategy – thought up by Gaddafi – Israel has no choice but to erect an actual wall. Not transparent fences that can be cut, not a series of new outposts, and not a system of fortifications that can be circumvented. We need a contiguous, high and deterring cement wall like the security fence in Judea and Samaria or the Great Wall of China."
Der israelische Militärhistoriker Yosef Argaman schlägt in seinem Ynet-Kommentar (6. Juni) vor, angesichts der "neuen arabischen Invasionsstrategie" müsse Israel eine neue Mauer bauen, diesmal entlang der Nordgrenzen

Montag, 6. Juni 2011

Patriarch schlaflos

"Patriarch schlaflos eröffnet Niederlassung Lady of Peace Center in Aqaba" lautete dieser Tage eine Schlagzeile in einem jordanisch-katholischen Internetportal. Natürlich nicht im arabischsprachigen Original (obwohl sich das genaugenommen ohne ausreichende Sprachkenntnisse gar nicht so genau nachprüfen lässt), sondern als eine der vielen kleinen Freuden automatischer Übersetzungsprogramme. Der Name des Programms sei aus Gründen der Diskretion – keine Schleichwerbung bitte – verschwiegen. Jenes Programm X könne, erfährt man mit ein bisschen Suchen, "Wörter, Sätze oder ganze Webseiten übersetzen", in beliebigen Kombinationen der unterstützten Sprachen, um "Informationen für alle zugänglich und nutzbar machen - unabhängig von der Sprache, in der sie verfasst sind".
Es folgt ein (leicht versteckter) Warnhinweis: "Da die Übersetzungen von Maschinen generiert werden, sind nicht alle Übersetzungen perfekt. Aus diesem Grund kann die Übersetzungsgenauigkeit für verschiedene Sprachen manchmal unterschiedlich sein." Aber, das sei gesagt, der Fehler liegt nicht eigentlich bei der Maschine: Das Programm durchforstet nämlich Millionen von menschlichen Übersetzern übersetzten Dokumenten nach ähnlichen Mustern, um "wohl begründete Annahmen hinsichtlich einer angemessenen Übersetzung" zu treffen.
Zurück zum Patriarchen, der im wirklichen Leben Fouad Twal heisst und seit 2008 Lateinischer Patriarch von Jerusalem ist. Von ihm erfährt der neugierige Leser dank "wohl begründet" anzunehmender Übersetzung: "Während der Eröffnungszeremonie sagte Patriarch schlaflos, dass er Jordan erhielt, offiziell und öffentlich bestätigt." Als Motto seines Patriarchats wählte Twal beim Amtsantritt übrigens das Psalmenzitat "Mein Herz ist bereit".

Sonntag, 5. Juni 2011

Theokratie

"The National-Religious Jews are kept out. Reform Jews are out, Conservative Jews are out, and anyone who doesn’t have the beard and hat required by the clique is out. And what about women? Don’t even mention that. What kind of theocracy has been created within our democracy? Where else will you find a job that is paid by the public and is good for life, like the city rabbi position? And why do we need two chief rabbis, at an exorbitant cost?"
Assaf Wohl geht in seinem Kommentar (Ynet, 4. Juni) der Frage nach, warum Rabbiner so unbeliebt sind. Die kürzlich beschlossene Anhebung der Rabbinergehälter auf umgerechnet gut 7.100 Franken könnten seiner Ansicht nach ein Grund sein, aber auch die Tatsache, dass die meisten Rabbiner inzwischen dem "militanten Haredi-Flügel" gehörten. Und schliesslich: "Hat schon einer was von einem Nachbarschaftsantroposophen oder einem sephardischen Chefphilosophen gehört?"

Samstag, 4. Juni 2011

Jerusalem verpflichtet

"In every generation there have been Jews who betrayed their brothers and the people of Israel. In our days these are the fallen weaklings who try to speak nicely to foreigners and the world at large while forgetting their own people at home. They show tremendous concern for foreign workers on the shores of Tel Aviv, and worry about the preservation of terrorists’ rights, but they forget the eternal capital of Israel – and hand it away to the enemy
Every Jewish woman and man in our generation must ask themselves whether they did enough for Jerusalem. Whether they lived Jerusalem, created in it, built it and brought the Jewish spirit to it. We must remember that we're lucky to be the free generation who builds in Jerusalem!"
Israelis, die bereit seien, Jerusalem aufzugeben, müsste sich einer ernsthaften Selbstüberprüfung unterziehen, meint Eddie Yair Fraiman (Jerusalem is our home, Ynet, 6. Juni)

Mittwoch, 1. Juni 2011

Status quo und so

 Während sich die jüdische Jugend aus dem ganzen Land allmählich in Ostjerusalem sammelt, geht es am Ölberg geradezu friedlich zu - christliche Konkurrenzveranstaltung sozusagen: Die verschiedenen Konfessionen rüsten zu Himmelfahrt. Im Hof der Himmelfahrtskapelle haben sie ihre Zelte aufgeschlagen, Sakristeizelte, Aperozelte, Wirtschaftszelte... Rechts hinter dem Oktogon haben die Griechisch-Orthodoxen ihr grosses Gottesdienstzelt aufgeschlagen, daneben - analog ihrer zahlenmässigen Bedeutung die Syrer ihr Zeltchen, gefolgt von ein paar Metern Kopten-Plane und schliesslich, links aussen, die Armenier, die grössenmässig gern mit den Griechen mithielten.
Gerade sind die Franziskaner dran mit ihrer Vesper im Innern der Kapelle. "Ora pro nobis", tönt es immer und immer wieder während der Allerheiligenlitanei, während die Griechen rechts ein kräftiges "Kyrie eleison" ertönen lassen - dessen Volumen deutlich zunimmt. als die Katholiken zur Prozession rund um das Kapellchen und vorbei an den Griechen ansetzen. Die Syrer haben unterdessen Pause, während die Armenier ein Wortgefecht mit den koptischen Nachbarn starten. Das Koptenzelt, findet der zuständige Armenier, ist in diesem Jahr mindestens einen Meter länger als früher, und das geht ja nun gar nicht, wo kämen wir denn da hin. Status quo. Nie anders gewesen, kontert der Kopte, und beide Seiten schwören, im Besitz von Bildmaterial der Vorjahre zu sein, welches ihre (einzig wahre) Meinung belege. Die Streithähne wenden sich an die Franziskaner als vermittelnde Instanz, aber trotz aller Status-Quo-Details ist die Stimmung (zumindest im Vergleich zur Grabeskirche) gelassen und geradezu andächtig. Als die Franziskaner fertig sind mi Vesper und Prozession, gibt es (dringend nötige) Erfrischungen für alle. Im "Wirtschaftszelt" trifft unterdessen der griechische Christ, der in der Garde der Lateiner tätig ist, auf den Lateiner, der als Gardist der Griechen arbeitet. Spielt alles irgendwie keine Rolle. Manchmal jedenfalls.

Demonstrativ

Zehntausende Jugendliche (und zu ihrem Schutz geschätzt eben so viele Sicherheitskräfte) versammeln sich am Nachmittag im Ostjerusalemer Stadtviertel Sheikh Jarrah zum grossen Umzug des "Jerusalem Day". Kaum einer ist volljährig, und wären nicht die patriotischen T-Shirts, hunderte von Flaggen (die mitunter als "Ganzkörperkondom oder Kopftuch fungieren) und entsprechende Sprechchöre, wäre der Unterschied zu einem Volksfest, Karneval oder der Love-Parade nicht sehr gross. Araber sieht man an diesem Tag wenige in ihrem Gebiet; hier und da stehen vereinzelt ein paar Palästinenser und scheinen fassungslos angesichts der zionistisch-nationalistischen Menge. Die Zuwege zum "Highway No. 1" und zur Altstadt sind grossräumig abgesperrt. Am Grab des Shimon HaTzadik trifft eine kleine Gruppe linker Gegendemonstranten mit ihren Transparenten ("Stopp the occupation", "Israel is a racist state" und "Jerusalem will not be Hebron") auf eine deutlich grössere Gruppe Siedler, dazwischen eine Reihe Militärs, bis an die Zähne mit Tränengas und Co. bestückt. Die Sprechchöre und die Gegengesänge werden lauter und aggressiver, aber alles bleibt ruhig.

Langsam setzt sich der Zug in Richtung Altstadt in Bewegung. Dann und wann sieht man einen (zahlreichen) Familiebvater - einen der Jüngsten auf den Schultern, das Gewehr um die Schulter. Am Damaskustor tanzen und singen die verschiedenen Gruppen, jede mit eigens kreierten J-Day-T-Shirts bestückt. Die Strassen der Altstadt sind, von der eindringenden Jugendmenge abgesehen, menschenleer, die arabischen Läden an diesem Nachmittag geschlossen. Die wenigen Araber, die trotzdem den Weg durch die Altstadt wählen, bleiben früher an einer der Sicherheitssperren hängen - Passkontrollen und andere Schikanen. Und irgendwie ist es ein treffendes Bild für das Leben in diese angeblich so heiligen Stadt: Die jüdische Jugend zieht auf der einen Strassenseite um die Altstadt, dazwischen eine (zusätzlich von Soldaten gesichterte) Metallabsperrung, während die andere Strassebseite (Strassensperren!) autoleer und lediglich von ein paar verständnislosen arabischen Jungs gesäumt wird).

Jerusalem-Day

Wer dachte, nach Ostern, Unabhängigkeits- und Nakba-Tag seien die Ausnahmezustände überstanden, der hat den "Jerusalemtag" vergessen, mit der Israel der Einnahme der Stadt vor inzwischen 44 Jahren gedenkt. Schon in den Tagen vorher wird das Sicherheitsaufgebot in und um die Altstadt im selben Masse massiv verstärkt, wie sich die weiss-blauen Dekoartikel und Fahnen im Stadtbild mehren. Soldatengruppen trudeln ebenso ein wie Horden junger Juden diverser in- und ausländischer Jugendorganisationen in bunten Uniformen oder gruppenspezifisch bedruckten T-Shirts. Bürgermeister und Premier geben sich die Ehre in der geschichtsträchtigen Zitadelle (wodurch der Weg von der Altstadt in den Westen für Normalsterbliche zum Hürdenlauf durch Sicherheitsabsperrungen wird), grosszügige Entwicklungspläne für das ewig ungeteilte Herz der jüdischen Nation werden bekanntgegeben. Passend zum politischen Programm dieser Tage wird eine neue jüdische Wohnanlage inmitten arabischer Nachbarn auf dem Ölberg eingeweiht, und die Knesset verhandelt ein Gesetz über die Umbenennung arabischer Wohngebiete: Aus dem Ostjerusalemer Sheikh Jarrah etwa soll nach dem Willen der Initiantin Shimon HaTzadik werden.

"Pretending to be glad"

"Jerusalem Day is an artificial celebration, which only the religious Zionist movement, settlers, workers on an organized outing, the president, the mayor and Channel 1 bother celebrating in a big way. Most people in Israel don't even know, and don't care, why it even exists. (…) Ever since Jerusalem became a city that was compacted together 44 years ago, there have been few reasons to celebrate, and this year, fewer than ever. Jerusalem 2011 is a sad city pretending to be glad. (…) Even before this, Jerusalem was no bed of roses. But in recent years is has become a bed of thorns."
Alle Festivals und Aktivitäten könnten die Diskriminierungen und den Verfall Jerusalems nicht überdecken, meint Yossi Sarid in seinem Haaretz-Kommentar zum  "Jerusalem Day" (1. Juni)