Donnerstag, 31. Dezember 2009

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Demonstrativ

Demonstration! Das ist der erste Gedanke beim Anblick der Verkündigungskirche in Nazareth, die wie ein Leuchtturm den Platz dominiert.

Die kleine Moschee mit der grünen Kuppel am Fuss links von der Basilika nimmt man erst beim dritten oder vierten Blick wahr. Von weitem jedoch drängen sich die nicht weniger demonstrativen Plakate der dort beheimateten muslimischen Gemeinde dem Betrachter auf.

Dienstag, 29. Dezember 2009

Montag, 28. Dezember 2009

Gegen die Wand

Schier endlos sind die Debatten mit meiner Vermieterin, wenn es um die Konflikte in dieser Region geht. Ich versuche, ihren Standpunkt zu verstehen und ihr gleichzeitig zu zeigen, dass es eben auch die Sicht der anderen Seite gibt, aber ich habe das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Die allgegenwärtige Angst und das Misstrauen gegen den ungeliebten Nachbarn sind so ermüdend! Israel ist im Krieg sagt sie, und für jedes Beispiel palästinensischen Leidens und israelischer Ungerechtigkeit gegenüber der arabischen Bevölkerung hat sie zehn neue Beispiele, warum Israel sich wehren muss gegen diese Fundamentalisten. Die Medien weltweit haben sich gegen Israel verschworen, seit Tausenden von Jahren setzt sich der Kampf gegen das Jüdische fort: In der Inquisition wurden die Juden abgeschlachtet, in der Shoah in die Gaskammern geführt, und heute sieht die ganze Welt nur das Leiden der armen Palästinenser. Kein Staat bekomme prozentual soviel Hilfe aus dem Ausland, wie die Palästinenser, die im Geld schwimmen.
Klar sind die Araber Bürger dritter Klasse in diesem Land, sagt sie, aber sie wollen es ja nicht anders. Der israelische Staat tue viel für die Palästinenser und versuche alles, um zum Frieden zu kommen, aber die Palästinenser sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen. Es gibt eben Opfer im Krieg, aber keine Armee ist so feinfühlig wie die israelische ... Meine Gegenbeispiele zählen nicht. Niemals würde sie einen Fuss nach Ostjerusalem setzen, um sich selbst ein Bild zu machen, sie wolle ihr Leben ja nicht aufs Spiel setzen. Sie kennt nur Palästinenser, die glücklich sind, dass die Zeit der türkischen und jordanischen Unterdrückung ein Ende hat und sie im Staat Israel leben dürfen. Die Diskussion ist hoffnungslos, ich gebe auf. Wie weit ist dieses Land von einer friedlichen Lösung entfernt, wenn das Wort des Anderen grundsätzlich nichts gilt.

Samstag, 26. Dezember 2009

Unberechenbar

Was als touristischer Ausflug mit gemütlichem Shopping in Nablus gedacht war, endet in einer Massendemonstration: 20.000 Männer marschieren in einem Beerdigungszug durch die Altstadt von Nablus. Am frühen Morgen hat die israelische Armee in und um Nablus drei Männer getötet, die sie des Terrorismus verdächtigten. Das Leben in Nablus liegt an diesem Tag lahm, die allermeisten Geschäfte bleiben geschlossen. Mangels Information können wir die Lage nicht abschätzen und fühlen uns einigermassen unwohl. Rückzug auf "sicheres" Terrain nach Ramallah.
Am Abend zurück in Jerusalem erfahren wir, dass auch am Checkpoint zum Gaza-Streifen drei Palästinenser von israelischen Militärs getötet worden sind. Ausserdem soll die israelische Armee am Abend auf palästinensische Demonstranten am Checkpoint Calandia geschossen haben - dem Checkpoint, den wir ungefähr zur selben Zeit Richtung Jerusalem durchqueren ... Auch wenn wir uns persönlich nicht gefährdet oder bedroht gefühlt haben, zeigt der Tag, wie unberechenbar die Lage trotz scheinbarer Ruhe ist. Die Warnungen von Palästinenserchef Abbas vor einer dritten Intifada kommen in den Sinn. Ein fragiles Gefüge, in dem ein Funken reicht!

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Nichts für schwache Nerven!


Weihnachten in Bethlehem ist nichts für schwache Nerven. Nachdem der Konvoi des Patriarchen den Checkpoint passiert hat, geht es im Schritt-Tempo weiter in Richtung Bethlehem. Ich habe Glück und kann auf ein fahrendes Kameraauto aufspringen und so mitten im Konvoi mitfahren. Bei seinem ersten Stopp wird der Patriarch umringt von Journalisten, Fotografen und Gläubigen, es ist ein einziges Schieben und Stossen. Nach nur ein paar Minuten geht es weiter.

Je näher wir der Altstadt kommen, desto mehr Schaulustige säumen den Weg. Dazwischen ein paar Junge, die Palästinenserfahnen schwenken und mit Plakaten und Transparenten auf die palästinensische Sache aufmerksam machen. Einer hält ein selbstgebasteltes Kreuz, das in einem alten Raketenkopf steckt, die Finger zum Victory-Zeichen erhoben. Kurz vor dem Aufstieg zur Altstadt muss ich meinen komfortablen Platz räumen und mich zu Fuss durch die Menge schlagen, dank Presseausweis aber innerhalb der Absperrungen.



Auf dem Krippenplatz wird es dann richtig eng, neben Messdienern, Ordensleuten, Polizei und Sicherheitskräften drängen sich Pfadfinder und Folkloretruppen durch die Absperrung. Mit Menschenketten riegeln Polizei und Pfadfinder den Patriarchen ab, damit dieser durch die Menge kommt. In einer Prozession drängen sich alle zur Geburtsbasilika, deren Eingang ein wahres Nadelöhr ist.


Derweil dröhnt draussen auf dem Platz die Party-Version von Jingle Bells in einer Lautstärke, die die Schmerzgrenze übersteigt ... Überhaupt habe ich eher das Gefühl, auf einem riesigen Volksfest zu sein. Die Kinder sind als Weihnachtsmänner und -frauen verkleidet, viele haben bunte Luftballons in den Händen, überall läuft laute Musik und alle jubeln dem Patriarchen zu. Erst als dieser in der Katharinenkirche verschwindet, um dort eine Vesper zu beten, wird es auch auf dem Platz etwas luftiger, gottseidank.


Warten auf den Patriarchen

Irgendetwas ist anders am Checkpoint nach Bethlehem. Autoschlangen warten auf Durchfahrt und dreimal soviele Busse wie üblich stehen auf israelischer Seite. Auf palästinensischer Seite wartet nicht wie üblich das Dutzend Taxis und Postkartenverkäufern auf die Handvoll Touristen, die zu Fuss über den Checkpoint kommen. Die Strasse hinter der Sicherheitskontrolle ist seit gestern gesperrt, erklären mir ein paar Freiwillige vom Weltkirchenrat. Eine Handvoll Taxifahrer wartet zu Fuss auf potentielle Fahrgäste, Journalisten und Kameraleute bringen sich in Pose für die Ankunft des Patriarchen. Israelisches Militär auf beiden Seiten. Ein Kehrwagen verleiht der Strasse den letzten Schliff.

Ein Palästinenser-Konvoi rauscht auf das Tor zu, das aufgleitet und einen kurzen Blick auf die israelische Seite freigibt, bevor es sich hinter dem letzten Wagen wieder schliesst. Seit zwei Tagen ist die Lage am Checkpoint bei Rachels Grab entspannter als üblich, erzählt mir Andreas, der als Freiwilliger für den Weltkirchenrat täglich am Checkpoint Präsenz zeigt. Mehr Schalter sind geöffnet und die Wartezeiten für die Palästinenser, die morgens Richtung Jerusalem gehen, ist deutlich kürzer als an normalen Tagen. Für den Patriarchen (und die zahlreichen Weihnachtspilger) zeigt der Checkpoint ein freundlicheres Gesicht ...
Doch die Lage ist angespannt und droht zu eskalieren, als uns ein paar Touristen uns nach dem Weg fragen. Die Taxifahrer reagieren laut und heftig und wollen uns fortschicken. Alle kommen für den Patriarchen, aber wir dürfen hier nicht Taxifahren, sagen sie und geben uns die Schuld, dass die Touristen laufen und sie auf das ohnehin geringe Geschäft verzichten müssen. Die Stimmung kocht hoch, und ich bin mehr als froh, als einer der Sicherheitsleute einschreitet.

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Minderheiten-Fest

Stell dir vor, es ist Weihnachten, und keiner geht hin... Vermutlich gibt es keinen anderen für das Christentum derart bedeutsamen Ort, an dem Weihnachten so wenig präsent ist. Die Christen sind in Jerusalem deutlich in der Minderheit, zumal die Katholiken. Wenn man nicht gerade durch die christlich bewohnten Altstadtviertel schlendert, wird man von dem bevorstehenden Fest nicht viel merken. Schon der Versuch, geeignete Kerzen für den Adventskranz zu finden, entpuppt sich als schwieriges Unterfangen. Der "Weihnachtsmann", der heute am Jaffa-Tor gratis Weihnachstbäume für die ausländischen Presseleute verteilt, ist ein Kuriosum und von begeisterten Stadtbesuchern fotografiert. Der schöne Nebeneffekt: Die weihnachtliche Kommerzialisierung, Werbung für das ultimative Weihnachtsgeschenk, funkelnde Rentierschlitten im Vorgarten oder schrill dudelnde Weihnachtslieder im Kaufhaus gibt es auch nicht!

Dienstag, 22. Dezember 2009

Der falsche Fuss

"Wir sind mit dem falschen Fuss ins Jahr 2009 gestartet", heisst es in einem Jahresrückblick auf einem israelischen Nachrichten-Portal. Aber insgesamt sei es ein gutes Jahr für Israel gewesen, denn die Sicherheitslage habe sich "unermesslich" verbessert.
Die gegenwärtige Ruhe in der Westbank könnte mit seiner Amtsaufgabe im Juni 2010 enden, warnt Mahmud Abbas, sollte es bis dahin nicht zu einem Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern kommen.
Die Welt hat die Gaza-Zivilisten verraten, lautet die dritte Stimme, diesmal von Menschenrechtsorganisationen. Israel bestraft die Bevölkerung des Gaza-Streifens kollektiv für die Taten einiger Weniger, und die ganze Welt schaut zu, lautet ihr Vorwurf.

Montag, 21. Dezember 2009

An der Klagemauer

Gaza


"Ich hoffe, wir kommen schnell wieder raus aus dem 'Gefängnis' Gaza", sagt einer der mitfahrenden Priester auf der Hinfahrt. Bethlehem sei zwar auch ein Gefängnis, aber die Stimmung sei anders. Im Konvoi des Patriarchen fahren wir durch künstlich begrünte Landschaft, vorbei an israelischen Retortenstädten, zum Checkpoint nach Gaza. Ein modernes Gebäude, das an ein Flughafenterminal erinnert, nur eben tausendfach abgesichert. 12 Schalter à 2 Passkontrollpunkten scheinen auf einen grossen Menschenandrang zu warten - in den 20 Minuten, in der wir auf unsere Passkontrolle warten, kommen ältere drei Frauen und ein kleines Kind "von der anderen Seite". Noch bevor wir das Gebäude betreten, verteilen uns Aktivisten Handzettel, auf der sie die Freilassung von Gilad Shalit fordern.



Der Empfang auf der israelischen Seite ist überaus freundlich: Wir werden zum VIP-Schalter gebeten, der Manager persönlich begrüsst uns, jemand bringt Saft und ein paar Plastikbecher. Ein Teil der Gruppe darf in den Diplomatenwagen über den Checkpoint, der grössere Rest muss zu Fuss passieren. Durch diverse Sicherheitstüren und Drehtüren durchqueren wir das Gebäude, um uns kurz vor der Mauer zum Gazastreifen zwischen hohen Toren und Zäunen vor dem - geschlossenen - Ausgang 6 wiederzufinden. Heftiges Winken vor den omnipräsenten Überwachungskameras, Klopfen und ein Telefonanruf lassen die Tür schliesslich aufgleiten. Sie mündet in einem endlos langen Drahttunnel auf palästinensischem Gebiet.

Obwohl wir aus der israelischen "Freiheit" ins "Freiluftgefängnis Gaza" eingetreten sind, werde ich nach all der hochtechnisierten Sicherheitsschikanen den Eindruck nicht los, mich erst auf dieser Seite wirklich frei bewegen zu können. Kontrollen der Palästinensischen Autonomiebehörde am Ende des Käfigs sind praktisch nicht existent. Dafür fällt der Blick auf eine grosse freie Fläche. Links ehemals ein Orangenhain, den das israelische Militär noch vor dem Krieg im letzten Jahr plattgewalzt hat, rechts vereinzelte Ruinen der letzten Attacken.

Aus dem Checkpoint raus, empfängt uns der Pfarrer von Gaza mit einer kleinen Delegation. Schliesslich werden wir in zwei Ambulanzwagen verfrachtet und mit Polizeibegleitung und unter Sirenengeheul geht es weiter, zunächst durch den dritten Kontrollposten, diesmal der Hamas, dann weiter nach Gaza-Stadt. An den Häusern rechts und links der Strasse Einschusslöcher, auf dem Mittelstreifen Plakate mit Hamas-Köpfen und bewaffneten Kämpfern.

Der Empfang in der Pfarrei ist herzlich. Der kleine Innenhof und später die Kirche sind voll, die Pfadfinder trommeln zur Begrüssung - in Zivil, denn es ist kein Geld da, um Pfadfinderuniformen zu kaufen. Gastfreundschaft wird trotzdem gross geschrieben. Die Palästinenserflagge weht gleichberechtigt neben der des Vatikans, von beiden Seiten des Hofs winkt Jassir Arafat. Trotz der festlichen Stimmung ist die Freude der Menschen gedämpft, selbst die Kinder wirken traurig oder beunruhigt. In dieser Umgebung bekommt der Friedensgruss in der Messe eine ganz neue Bedeutung!



Das Programm des Besuchs ist gedrängt, der Checkpoint schliesst für Fussgänger bereits um 15 Uhr. Die Einreise nach Israel ist im Vergleich zur Einreise nach Gaza ungleich langwieriger. Diesmal kontrollieren auch die Palästinenser, bevor wir wieder in den "Käfig" dürfen. Die Stimmung irgendetwas ist zwischen erleichtert-ausgelassen und frustriert-zynisch. Die mitgereisten Priester stimmen mehrstimmig italienische Weihnachtslieder an, "venite adoremus", als wir auf den Sperrwall zumarschieren. Irgendwo weiter an der Mauer fällt eine Reihe von Schüssen, ein Pater singt ein Requiem.

Die Sicherheitstüren und Drehkreuze nehmen kein Ende, aber schliesslich kommen wir an den ersten "bemannten" Sicherheitscheck. Alle Taschen abgeben, alle metalischen oder elektronischen Geräte auspacken, Gürtel abziehen ... Weiter geht es einzeln oder paarweise durch zwei Sicherheitstüren, bevor man einzeln eine gläserne Kabine betritt. Auf dem Boden zwei gelbe Fussabdrücke, auf die man sich zu stellen hat, die Arme hoch erhoben. Metalldetektoren umkreisen die Kabine, hat man brav stillgehalten und auch sonst keine Auffälligkeiten gezeigt, darf man in eine weitere Kabine. Der Kontrollposten sitzt in etlichen Metern Höhe in einer Glaskabine und überwacht alles. Noch zwei weitere Türen trennen uns von der letzten Passkontrolle. Eine Mitreisende wirkt verdächtig und darf sich einer zusätzlichen Körperkontrolle in einer weiteren Kabine unterziehen, bevor wir schliesslich alle auf der anderen Seite der Mauer wieder "in Freiheit" sind.

Sonntag, 20. Dezember 2009

Fragiles Gefüge

Die Grabeskirche ist kein sich leicht erschliessender Ort. Erst beim dritten längeren Besuch entdecke ich so etwas wie Schönheit, die unter dem basarähnlichen Rummel vor und in der Kirche zum Vorschein kommt. Nicht nur die sehr unterschiedlichen Pilger- und Touristengruppen mit ihren teils sehr ausgeprägten Frömmigkeitspraktiken, auch die zahlreichen Hausherren irritieren. Etwa der griechisch-orthodoxe Bischof, dessen Ehrengarde ihm beim Einzug durchaus auch handgreiflich einen Weg bahnt. Das fragile Gefüge eines seit über hundert Jahren unveränderten Status Quo - wer darf wann wo und wie lange beten - wird sichtbar, wenn die unterschiedlichen Konfessionen sich minutiös an die vorgegeben Ordnung halten. Die Prozession der Katholiken führt zum Golgotha, der Einzug der Kopten in den gegenüberliegenden Teil der Kirche. Für einen kurzen Moment scheint es für den Betrachter, als sängen beide Gruppen kräftig gegeneinander an. Auf der anderen Seite: In welcher Kirche sonst ist es überhaupt möglich, dass ein so bunter Haufen mehr oder weniger friedlich wenn nicht mit-, dann wenigstens nebeneinander auskommt?

Freitag, 18. Dezember 2009

"eingeklemmt, abgeschnitten, abgewürgt"

"Der Siedler, das sind in Wahrheit wir, alle Israelis. Das Baumoratorium ändert nichts an der Tatsache: Es gibt einen Elitestaat für Juden und eine Kellerecke für Palästinenser - eingeklemmt, abgeschnitten, abgewürgt. Die Unterscheidung zwischen dem Staat Israel und den Siedlern ist künstlich, ebenso wie die zwischen Guten und Bösen, zwischen Gewalttätigen und Gesetzestreuen, Bewohnern eines Aussenpostens und jenen anderer Siedlungen sowie zwischen Territorien, die nach Jerusalem eingemeindet wurden und denen, die jenseits der Mauer liegen."
"Israelischen Siedlerlügen": Gastkommentar der israelischen Journalisten Amira Hass in der Berliner Zeitung. Hass wurde kürzlich von "Reporter ohne Grenzen" als "Journalistin des Jahres" ausgezeichnet.

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Stürmische Zeiten

Seit 2 Tagen bläst der Chamsin seinen feinen Wüstenstaub in die Stadt und bringt ein merkwürdiges Wetter mit sich. Es ist recht warm, dafür ist der Wind umso stürmischer. Über alles legt sich der feine Sandstaub, der zwischen den Zähnen knirscht, sobald man sich auf die Strasse wagt. Vor allem das Licht ist eigenartig. Vom Staub ist die Luft fast gelb gefärbt, und die Stadt leuchtet noch heller, als sonst.
Unterdessen laufen die Weihnachtsvorbereitungen so langsam an. Heute hat das Tourismusministerium die Christen-Führer zum Empfang ins Grand Hotel geladen. Der offizielle Vertreter muss mir mein Unwohlsein zwischen lauter mir unbekannten Popen verschiedenster Denominationen wohl angesehen haben: "Feel comfortable and - like my mother always said: eat something!"

Kein Platz für heisse Eisen

Kein Platz für heisse Eisen wie Israelkritik: zu politisch, sagte die SBB und hängte das Plakat der Aktion Palästina-Solidarität ab. Zensur oder Hausrecht? Das wird das Budesverwaltungsgericht klären. Immerhin: Das Urteil wird bereits in sechs Monaten erwartet. In Palästina gibt es Familien, die seit fast zwanzig Jahren gerichtlich um ihren Familienbesitz kämpfen ...

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Orientalisch durch und durch

So bunt das Völkergemisch in Jerusalem auch sein mag: Beim Verkehr offenbart die Stadt ihre orientalische Seele. Einspurige Strassen werden da schon mal vier- oder fünfspurig befahren. Gehalten wird, wenn die Ampel auf Rot springt, grundsätzlich auf dem Zebrastreifen oder auf der Kreuzung, und jeder freie Zentimeter wird mit Blech ausgefüllt. Obwohl prophylaktisch die Dauerhupe betätigt und wie wild gestikuliert wird, nimmt man's erstaunlich gelassen, wenn sich ein Auto vor das eigene Gefährt in die Kolonne quetscht. Wer in Jerusalem mit Taxi oder Bus unterwegs ist, braucht viel Geduld und starke Nerven. Ein Erlebnis, aber zu Fuss ist man in der Regel schneller!

was lange währt ...

Here we go. Oder, um Jamal zu zitieren: Es braucht lange, bis man in einem offiziellen israelischen Computer drin ist ...

Dienstag, 15. Dezember 2009

"Meint Ihr das Ernst?"

"Meint Ihr das Ernst mit dem Minarettverbot?" Zum ersten Mal, seit ich hier bin, spricht mich ein muslimischer Palästinenser auf diese Frage an. Als Journalistin aus der Schweiz müsste ich doch sehen, dass hier im Heiligen Land Kirchtürme neben Minaretten Platz haben. Nein, das Minarett brauche man nicht zum Beten. Aber das Minarettverbot verletzt.

Montag, 14. Dezember 2009

Harte Fakten?

Filmvorführung und anschliessende Diskussion im Auguste Victoria Hospital auf dem Mount Scopus: Wie hart sind Fakten, wenn nur eine Seite berücksichtigt wird? Und was ist die journalistische Pflicht bei einem Dokumentarfilm? Eine spannende Diskussion zwischen dem Arzt, Journalist und Autor Gil Yaron und der Filmemacherin Ina Fuchs. In "Facts on the Ground" dokumentiert Fuchs die Auswirkungen der israelischen Besatzungspolitik für den Alltag der palästinensischen Bevölkerung auf der Grundlage des Kartenmaterials des "Office for the Coordination of Humanitarian Affairs" (Ocha). Israelische Stimmen kommen nicht zu Wort.
Es ist nur ein Film, und er will nur eine Momentaufnahme zeigen, sagt Ina Fuchs. Das Thema ist wichtig, der Film zeigt viel Wahres, aber er zeigt eben nur eine Seite. Fragen werden keine gestellt, sagt Gil Yaron. Damit wird das Dilemma im Nahostkonflikt deutlich: So gut wie nie werden beide Seiten berücksichtigt. Man ist Partei für die eine oder andere Seite. Verständigung ist so schwer möglich.

Standpunkte

Während meine Interviewpartner der Frage nach dem Miteinander von Muslimen und Christen im Heiligen Land ausweichen, ist die Meinung an der christlichen Basis klar und deutlich. Es war mutig von der Schweiz, ein klares Zeichen gegen den Islam zu setzen, fasst Eli die Stimmung in seiner Gemeinde zusammen. Die vorherrschende Stimmung hier: Mit dem Islam kann man solange gut zusammenleben, wie die Muslime nicht in der Mehrheit sind. Umgekehrt empfinden meine Gesprächspartner das Leben als christliche Minderheit in diesem schwierigen Umfeld und die Auseinandersetzung damit als Stärkung für den eigenen Glauben. "In Europa seid ihr Christen in der Mehrheit, aber die Religion ist euch gleichgültig. Diese Apathie ist ein grösserer Feind für den Glauben, als der Islam!"

Freitag, 11. Dezember 2009

Fremde Welten

Ob ein Nichteingeweihter beim Besuch einer katholischen Messe sich ähnlich fühlt wie ich im Synagogendienst zum Beginn des Shabbat? Alles scheint einer bestimmten Logik zu folgen, die innere Ordnung erschliesst sich mir aber nicht. Einen gemeinsamen Anfangs- oder Schlusspunkt gibt es, dem ständigen Kommen und Gehen nach zu urteilen, nicht, überhaupt ist die versammelte Gemeinde recht lebhaft. Kinder spielen Verstecken, Nachbarn unterhalten sich, vorne singt der Chor. Und keiner nimmt Notiz von den Touristen, die sich "hineingeschmuggelt" haben ...

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Sonntagschristen

Die Lage der arabischen Bevölkerung ist schwierig, und dabei sind die Christen unter ihnen noch die "Privilegierten". "Wer hier Schwäche zeigt, wird zur Beute", sagt mir ein Gesprächspartner. Der tägliche Kampf für die eigenen Rechte sei bürokratisch, langwierig und sehr ermüdend. Mich beeindruckt, mit welchem Einsatz dieser Kampf trotzdem geführt wird und wie mit geringsten Mitteln versucht wird, das Beste aus der Lage zu machen. Ich frage mich, woher die Menschen hier auch nach Jahren noch diese Energie und Motivation nehmen - und bin gleichzeitig beschämt über uns "Sonntagschristen" im Westen, deren Energie sich manchmal im Kampf um die richtigen Personalien zu erschöpfen scheint.

Montag, 7. Dezember 2009

Auge um Auge?

Politik ist nicht das Thema, bei dem meine Vermieterin und ich einen gemeinsamen Nenner finden. Arabische Themen sind für sie ein rotes Tuch, umgekehrt scheint mir ihre Sicht auf Israel viel zu unkritisch. Der Goldstone-Bericht über den Gazakrieg letztes Jahr etwa. Sie findet ihn furchtbar einseitig und parteiisch und ist entsetzt darüber, dass die Schweiz bei der Uno da zugestimmt hat.

Interessanterweise erkundigt sie sich besonders nach meinen Besuche in Ostjerusalem und Bethlehem. Sie selber geht nie nach Bethlehem: Weil sie mit ihrem israelischen Pass nicht das Recht dazu hat, will sie auch mit ihrem Schweizer Pass nicht über den Checkpoint. Schade, denn dann würde sie die Lage ihrer palästinensischen Nachbarn vielleicht anders einschätzen. Und deren Schwierigkeiten. So hat mich heute eine Wegstrecke von Bethlehem in das nichtmal zehn Kilometer entfernte "Tent of Nations" fast eine Stunde gekostet. Das israelische Militär hatte kurz hinter Bethlehem eine Strassensperre errichtet, nur Fahrzeuge mit gelben, also israelischen Kennzeichen durften ungehindert passieren. Für alle anderen hiess es: Warten!

Sonntag, 6. Dezember 2009

Hemmungslos religiös

Immer wieder befremdet mich als Westeuropäerin die hemmungslose Religiosität, die in dieser Stadt allgegenwärtig ist. Die Frage des Kopftuchs bzw. der Kopfbedeckung etwa stellt sich hier gar nicht. Es vereint die Vertreterinnen der drei grossen Religionen. Von Muslimen und orthodoxen Juden erwarten wir dies vielleicht. In unser gängiges Bild des Durchschnittschristen, der vielleicht gelegentlich sonntags und sonst nur zu hohen Feiertagen stumm in der Kirchenbank sitzt, passt es jedenfall nicht. Als "aufgeklärter Westchrist" habe ich Mühe genug mirvorzustellen, dass Jesus exakt an dieser Stelle geboren oder dass er an eben dieser Hausecke erstmals unter dem Kreuz gestürzt sei. Spätestens beim Anblick der afrikanischen Pilgergruppe beim Gartengrab, die fortwährend "He's alive", Jesus lebt, skandiert, muss ich gestehen: Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Samstag, 5. Dezember 2009

Atempause

Freitag Abend, Beginn des Shabbat. Die Stadt, die sonst von früh morgens bis spätnachmittags pulsiert, in der Menschen und vor allem Autos die Strassen verstopfen, ist fast völlig still. Nur vereinzelt hat ein kleines Café oder ein Kiosk geöffnet, und auf meinem Gang in die Altstadt begegnet mir kaum jemand. Eigentlich ganz wohltuend!
Im christlichen Altstadtviertel kommt mir eine Gruppe Musiker entgegen, unter ihnen eine Handvoll Franziskaner. Es ist das Fest der heiligen Barbara, und die Gruppe aus der Pfarrei zieht singend und musizierend durch ihr Viertel, um Alte und Kranke zu besuchen und Häuser zu segnen.

Freitag, 4. Dezember 2009

Sensibles Thema

Auf die Frage nach dem Zusammenleben von Christen und Muslimen in einem mehrheitlich muslimischen Umfeld erhalte ich immer wieder ausweichende Antworten. Das Thema ist sensibel, meine Gesprächspartner zögern. Die Lage in Europa, sind sich die meisten einig, kann ist mit der Lage hier nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu vielen Muslimen in der westlichen Welt sind die Christen hier seit 2.000 Jahren verwurzelt, man teilt dieselbe Kultur. Dass das Schweizer Minarettverbot Auswirkungen auf das Leben der hiesigen Christen haben könnte, daran glaubt hier kaum jemand.

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Willkommen im palästinensischen Alltag

Als ich die Geburtskirche in Bethlehem betrete, ruft vom Minarett vis-à-vis gerade der Muezzin. Innen das gleiche Bild wie in der Grabeskirche: Horden von Russen drängeln und quetschen sich durch die niedrigen, engen Schlupflöcher, die die einzelnen Gebäudeteile miteinander verbinden. Wie durch ein Nadelöhr muss der Besucher vorbei am Kerzenstand, an dem das Gedränge fast noch grösser ist als vor den heiligen Orten. Aber nur fast. Wer glaubt, durch Anstehen irgendwann in die Geburtsgrotte zu kommen, hat verloren und findet sich, ehe er sich versieht, rasch am Ende der langen Schlange wieder. Auch hier arbeitet man sich am besten mit Ellenbogen voran.

Einen unfreiwilligen Einblick in den palästinensischen Alltag bietet die Rückfahrt nach Jerusalem. Am Checkpoint bei Beit Jala heisst es plötzlich: Keine Ausländer dürfen durch. Also aussteigen aus dem Bus, nach längerem hin- und her zwischen den beiden Kontrollposten zurück nach Bethlehem und über einen anderen Checkpoint. Hier dürfen keine öffentlichen Verkehrsmittel pas- sieren, dass heisst: Raus aus dem Taxi, zu Fuss der Mauer entlang, Passkontrolle, Sicherheitsschleuse, noch mal Passkontrolle, bevor man endlich auf der anderen Seite der Mauer wieder in einen Bus steigen darf. Wenn man die Berliner Mauer und geschlossene Grenzen in Europa quasi nur noch vom Hörensagen kennt, eine eher beunruhigend-befremdliche Erfahrung, für viele Palästi- nenser, die zum Arbeiten nach Jerusalem kommen, alltäglich.

Dienstag, 1. Dezember 2009

Startschuss zum Grabeskirchensprint

Unglaublich rege ist das Treiben an den besonders heiligen Orten. So in der Grabeskirche. Menschen verschiedenster Religionen, Konfessionen und Nationalitäten schieben sich durch den verschachtelten Bau. Überall Weihrauch - die einzelnen Glaubensgruppen scheinen ihr jeweiliges Territorium in dem unübersichtlichen Komplex durch den Gebrauch verschiedener Weihrauchsorten auch olfaktorisch abzustecken. Russen und Osteuropäer drängen sich in die Engelskapelle und zum Grab Christi. Sie packen haufenweise Kerzen aus, die sie hektisch über den Stein reiben, bevor der Wächter sie energisch herausbefördert - damit die nächste Handvoll in den engen Raum gelassen wird. Der Salbstein wird geküsst, auch hier das "Kerzenritual".

Die afrikanische Pilgergruppe sammelt sich unterdessen draussen vor der Tür. Ungeduldig warten sie auf den "Startschuss" der Reiseleiterin, bevor sie regelrecht auf das Eingansportal zurennen - und erstaunlich schnell auch wieder draussen sind. Bei allem frommen Tun gilt kulturübergreifend: Alles muss gefilmt und fotografiert werden, zwischendurch informiert man stolz die Daheimgebliebenen via Natel über das aktuelle Geschehen. Alles in allem ein bizarres Bild. Die wort- und anekdotenreiche "Privatführung" durch Aladin, den ich gestern in der Altstadt kennengelernt habe, ist dennoch erheiternd. Er ist, wie er mir erzählt, ungläubiger Moslem und arbeitet für die Griechisch-Orthodoxen in der Grabeskirche ...

Vielvölkergemisch Jerusalem: Jedem seine Sprache!

Montag, 30. November 2009

Die Diskussion geht weiter

Vorhergesagt war eine knappe Absage an ein Minarettbauverbot. Die Deutlichkeit des Ja lässt noch am Tag viele ungläubig die Augen reiben. Soweit die Wahrnehmung in der Schweiz. Bei den vorgängigen Umfragen hätten viele sich einfach nicht getraut, ihre wahre Meinung zu äussern, die Abstimmung selbst sei aber anonym. Kontert meine Vermieterin. Schliesslich könnten in muslimischen Ländern Christen oder gemässigte Muslime ihre Meinung auch nicht frei äussern. Khalil, der muslimische Handwerker, streicht die Fenster und pflichtet ihr bei. "Das Judentum ist für die Juden, das Christentum für die Christen. Aber der Islam, der ist für alle", beschreibt er den missionarischen Eifer seiner Glaubensbrüder. "Wer ja sagt zum Islam, ist willkommen. Sagt einer nein, werden eben andere Seiten aufgezogen." In den israelischen Medien wurde von der Abstimmung übrigens nur am Rande Notiz genommen.

Israelische Bürokratie

Schnellkurs in israelischer Bürokratie, Teil eins: Versuch der Akkreditierung bei der Regierungsstelle für ausländische Journalisten ... Briefpost (ich hatte alle relevanten Unterlagen im Voraus per Einschreiben geschickt, damit es schneller geht), so erfahre ich, kommt wenn überhaupt erst nach sechs Monaten in die Hände der Zuständigen. Wo sie vermutlich, der Ordnungslage auf dem Schreibtisch nach zu urteilen, auch ziemlich schnell in Vergessenheit gerät. Die elektronische Variante (zur Sicherheit hinterhergeschickt) wird nach einigem Beharren und dank Suchfunktion des Mailprogramms dann doch gefunden. Ein bisschen Papierkram, einige Wartezeit und schliesslich die Auskunft, dass man über die Ausstellung der Pressekarte für mich heute nicht mehr beschliessen könne. Vielleicht morgen. Oder übermorgen. Ich sei ja schliesslich ein paar Wochen im Land. Zahlen durfte ich vorsorglich heute schon ...

Religiöses Sammelbecken

Jerusalem scheint alles Religiöse geradezu anzuziehen. Dass in der Altstadt Geistliche und Ordensleute jeglicher Couleur zum Stadtbild gehören, verwundert wenig. Der Franziskaner, der sich zum Gebetsruf des Muezzin andächtig in eine Bankreihe seiner Kirche kniet, bietet da schon ein ungewohnteres Bild. Es harmoniert aber mit dem Blick über die Stadt, in der Kirchturm und Minarett aufs Engste zusammenrücken. Der Kanadier, der mich auf meinem Spaziergang vom Ölberg zur Altstadt als erstes fragt, ob ich Jüdin sei (Nicht woher ich komme oder was ich in Jerusalem mache), befremdet schon eher. Er ist nämlich hier zum Beten für die Wiederkunft Christi. Viele seiner Freunde hatten in der letzten Zeit Besuch von Abraham, David oder eben Jesus. Mit einem früheren Gebetstreffen haben der Kanadier und seine Freunde übrigens die Zerstörung Jerusalems durch Ahmadinedjad verhindert ...

Sonntag, 29. November 2009

Auch hier ein Thema

Auch sie würde mit Ja stimmen, sagte meine Vermieterin, als wir auf dem Weg in den Souk über die Minarett-Initiative diskutieren. Als Zeichen: Gegen Fundamentalismus, gegen die Unterdrückung der Frau, für Demokratie. Die Angst vor einem fundamen- talistischen Islam ist auch hier ein Thema, und generell wird die muslimische Bevölkerung der Stadt misstrauisch beäugt. Vorsicht in Ostjerusalem, so lautete die erste Warnung meiner Vermieter, als ich gestern zu ersten Erkundungen in der Stadt aufbrechen wollte, vor allem als Frau allein gegenüber der Mentalität islamischer Männer ...

Samstag, 28. November 2009

München - Tel Aviv - Jerusalem

Tel Aviv begrüsst mich mit sommerlichen 20 Grad, die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Das ist also das gelobte Land. Auf der Fahrt nach Jerusalem wechseln sich steinige Hügel, Berge und Siedlungen ab. Mir kommt vor, das Nesher-Taxi durchquert jeden einzelnen Stadtteil Jerusalems mindestens einmal, bevor ich einen ersten Blick auf die Altstadt erhasche und es mich - als letzte von allen Fahrgästen! - an mein Fahrtziel bringt. Vor allem aber habe ich das Gefühl, dass es mir nie und nimmer gelingen wird, auch nur den Hauch eines Überblicks über diese chaotische Stadt zu bekommen. Erster Eindruck.

Sonntag, 22. November 2009

In drei Minuten: Jerusalem

"...Jeden Augenblick meine ich, Jerusalem entdecken zu müssen, doch ich sehe es nicht ... Ich reite noch eine Weile weiter; Araber, denen ich begegne, machen mir Zeichen, ich solle mich beeilen, und rufen mir 'El Kods, el Kods!' zu ... drei Minuten später: Jerusalem ...

Jetzt sind wir schon den dritten Tag in Jerusalem, und noch hat mich kein der erwarteten Gefühlsbewegungen überkommen: weder religiöse Begeisterung noch Erregung der Phantasie, und auch kein Hass auf die Priester, was immerhin etwas heissen will. Ich fühle mich angsichts all dessen leerer als ein hohles Fass. Tatsache ist, dass heute morgen am Heiligen Grab ein Hund bewegter gewesen wäre als ich. Wer ist schuld daran, barmherziger Gott? Sie? Du? oder ich? Sie, glaube ich, dann ich und vor allem Du!"
(Gustave Flaubert, Reise in den Orient, 1850)

Freitag, 13. November 2009

Glaubwürdigkeitslücke

Seit 40 Jahren und in über 120 Ländern gibt es sie, die Sesamstrasse. Und in Israel? Während einer ganzen Weile gab es eine Co-Produktion der "Shara'a Simsim" und der "Rechow Sumsum". Die Puppen sprachen arabisch und hebräisch, und auf dem Bildschirm passierte, was in Realität so undenkbar scheint: Arabische und jüdische Puppen besuchten sich gegenseitig. Aber da ja nicht sein kann, was nicht sein darf, trennte man sich und ging fortan eigene Wege und drehte in Eigenregie.

Die erste eigenständige palästinen-sische Staffel wird in Ramallah gedreht. Gern würden die Produ-zenten auch im Gazastreifen Werbung machen. Poster und Puppen liegen bereit – nur gibt es seitens der Israelis keine Geneh-migung. In der israelischen Ver- sion werben die Puppen Mahmud und Noah unterdessen für Verständigung zwischen Arabern und Juden.

Donnerstag, 5. November 2009

Arglos ins Ausland

Eine etwas andere - und zugegebenermassen "unheilige" - Reisevorbereitung: Nicht ehrfürchtig, aber lustig.

"... Ein rüstiger Fussgänger könnte vor die Mauern Jerusalems hinaustreten und in einer Stunde die ganze Stadt umwandern. Ich weiss nicht, wie ich sonst verständlich machen soll, wie klein sie ist. Das Erscheinungsbild der Stadt ist eigentümlich. Sie ist von den zahllosen kleinen Kuppeln an ihrer Oberfläche so gebuckelt wie eine Gefängsnistür von Bolzenköpfen ...

Die Strassen sind grob und schlecht mit Steinen gepflaster und in erträglichem Masse gekrümmt - eben so sehr, dass jede Strasse, soweit der Pilger auch darin geht, ständig so aussieht, als schlösse sie sich und endete etwa hundert Yard vor ihm ...
Ich habe mehrere Male Katzen von einem Schutzdach zum anderen quer über die Strasse springen sehen, wenn sie ausgingen, um Besuche zu machen. Die Katzen hätten auch die doppelte Entfernung ohne ausser-ordentliche Anstrengung überspringen können. Ich erwähne das, um einen Begriff davon zu vermitteln, wie eng die Strassen sind."
(Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt als Mark Twain, in: Die Arglosen im Ausland)

Dienstag, 3. November 2009

Seite an Seite?

Jerusalem als "Symbol des Friedens", und zwar als Hauptstadt zweier Staaten, die "in Frieden und Sicherheit Seite an Seite exititeren"? Soweit die Vision des Uno-Generalsekretärs Ban Ki-moon: Der heilige Ort für "Moslems, Juden und Christen, für Israelis und Palästinenser und für die Völker der Welt" müsse als solcher erhalten werden.

So schön, so gut. Was aber, wenn schon innerhalb der einzelnen Gruppen gestritten wird, vom konfliktbeladenen Umgang mit- einander ganz zu schweigen?

So wie die jüdischen Frauen, die vor dem Obersten Gericht gegen orthodoxe Juden kämpfen, genauer gegen die Geschlech- tertrennung, die in rund 90 Buslinien in ultraorthodoxen Jerusalemer Stadtvierteln und auf Überlandstrecken zwischen Jerusalem und der ultra-orthodoxen Stadt Bnei Brak bei Tel Aviv gilt. Frauen dürfen diese Busse nur durch die Hintertür besteigen und auf den hinteren Bänken Platz nehmen. Oder die Christen im Lande, für die die anhaltenden Visa-Probleme für ihre Geistlichen ein "nervenaufreibendes Dauerthema" sind, vor allem für Priester aus arabischen Ländern?

Bislang taugt das jedenfalls nicht als Vorbild für den Frieden.

Mehr Wunsch als Wirklichkeit: Versöhnung der Religionen
(Wandbild in der arabischen Hochschule Mar Elias; Bild: hoyasmeg/flickr)

Freitag, 30. Oktober 2009

Orientalische Kreativität

Originelle Problemlösungen: Um den Kindern zum Abschluss des Ramadan eine Freude zu machen, hat der Direktor des Zoos von Gaza-Stadt kurzerhand ein paar Esel zu Zebras verwandelt - Fell runter, Streifen rauf. Die Entstehungsgeschichte des Zoos ist nicht weniger skurril: Die Tiere wurden wegen der Blockade des Gazastreifens durch Tunnel von Ägypten in den Gazastreifen geschmuggelt.

Ausschnitt aus dem heute journal

Dienstag, 27. Oktober 2009

Noch 32 Tage!

Pass, Presseausweis, Flugtickets und Mietvertrag liegen bereit. Am 28. November ist es so weit. Und natürlich häufen sich jetzt die beunruhigenden Nachrichten. Wegen der Pilgerfahrt Tausender Muslime nach Mekka Ende November steigt die An- steckungsgefahr für die Schweinegrippe. Im Januar dann hat Palästinenserchef Abbas Wahlen angesetzt - und damit den innerpalästinensischen Konflikt verschärft. Und schliesslich kam es am Sonntag am Tempelberg zu heftigen Ausschreitungen zwischen Polizei und Palästinensern, die schwersten Zu- sammenstösse der jüngsten Zeit. Gut überwiegen Neugier und Vorfreude.

Montag, 26. Oktober 2009

Warum es mich immer wieder nach Hebron zieht


Jerusalem, 25. Februar 2015

21 Jahre nach dem Goldstein-Massaker gleicht Hebron einer Geisterstadt. Ein Gespräch mit Breaking the Silence-Mitbegründer Yehuda Shaul

Welche Rolle spielt das Massaker von Baruch Goldstein für Hebron?
Es ist das wichtigste Ereignis in der Geschichte Hebrons, wenn man verstehen will, wie die Stadt heute aussieht. Dazu müssen wir einen Moment auf den historischen Hintergrund und die politische Realität heute schauen. Lange bevor Hebron zu einer nationalistischen Geschichte wurde, war es eine religiöse Geschichte. Da sind die Patriarchengräber, Mütter und Väter beider Nationen. Juden waren in biblischer Zeit in Hebron, dann wieder ab dem 12. Jahrhundert. Es gab eine relativ friedliche Koexistenz. Dann kam das Massaker von 1929, das der organisierten jüdischen Gemeinschaft in Hebron ein Ende bereitete. 67 Juden wurden getötet, mehr als hundert verletzt, Frauen wurden vergewaltigt, Körper verstümmelt, massenhaft Eigentum zerstört. Rund 350 Juden wurden von ihren palästinensischen Nachbarn gerettet. Die Briten evakuierten die Überlebenden nach Jerusalem. Das ist die Grundlage der Siedlungen – wir haben Siedlungen in Hebron wegen der Patriarchen und wegen 1929. Der Wiederaufbau einer jüdischen Gemeinschaft war eine Frage der nationalen Ehre und des Stolzes.
April 1968, zum ersten Pessachfest nach dem Sechstagekrieg, ist der Beginn der Siedlungen, als eine Gruppe von Talmud-Schülern ein palästinensisches Hotel mietete und sich weigerte, wieder zu gehen. Die Siedlerbewegung wird erst sieben Jahre später beginnen, aber in gewisser Weise kann man sagen, dass damit die politischen Muster begonnen haben, in denen wir bis heute leben. Die Gruppe verlässt das Hotel und zieht in die Militärbasis. 1970 wird Kiryat Arba gebaut. Durch die 1970er Jahre sehen wir wenig signifikante Veränderungen in Hebron. Der nächste Wendepunkt sind 1979 die Kämpfe gegen die Camp-Davis-Abkommen und der Beginn der Beit-Hadassah-Siedlung in Hebron.
In den 1980ern haben wir drei wichtige Ereignisse in Hebron. Am 30. Januar 1980 wird Joschua Salome ermodert, dem ersten israelischen Zivilisten, der seit 1967 in den besetzten Gebieten getötet wird. Am 2. Mai 1980 folgt der Angriff auf sechs Talmud-Schüler vor der Beit-Hadassah-Siedlung. Daraufhin hat die israelische Regierung beschlossen, den Palästinensern eine Lektion zu erteilen und den Siedlungsbau auszuweiten. Dies ist der Beginn der vier Haupt-Siedlungen in Hebron.
In den 1990er Jahren haben wir zwei wichtige Ereignisse: am 25. Februar 1994 das Goldstein-Massaker und im Januar 1997 die Unterzeichnung des Hebron-Protokolls im Rahmen des Oslo-Prozesses. Hebron wird in H1 und H2 geteilt, H1 umfasst rund 80 Prozent der Stadt mit zu diesem Zeitpunkt 120.000 Palästinensern. H2, im Wesentlichen der östliche Teil der Stadt mit einem Arm in die Altstadt, steht mit damals 35.000 Palästinensern und 500 Siedlern unter vollständiger israelischer Kontrolle und schliesst alles ein, was Hebron zu Hebron macht: die Patriarchengräber, die Siedlungen, die Altstadt…
Im April 2014, zwei Tage vor Pessach und damit an einem signifikanten Datum – Pessach 1968, Pessach 2014 – begann eine neue Siedlung in Hebron, das, was die Siedler das "Haus des Friedens" nennen. Auch wenn der Ausbau der bestehenden Siedlungen beständig vorangetrieben wurde und wird, ist dies die erste neue Siedlung in Hebron in dreissig Jahren.
Ohne all dies kann man Hebron nicht verstehen. Hebron 2015 ist die Geschichte, wie Hebron eine Geisterstadt wurde. 42 Prozent der palästinensischen Familien haben die Stadt verlassen. Es ist die grösste palästinensische Stadt in der Westbank, wenn man von Ostjerusalem absieht, aber es gibt keine Palästinenser im Stadtzentrum.
Wenn ich nun auf die Frage nach der Bedeutung des Goldstein-Massakers zurückgehe: Hebron ist aus drei Hauptgründen eine Geisterstadt: Erstens wegen der militärischen Segregationspolitik, zweitens das Verhalten des Militärs vor Ort und drittens die Gewalt von Siedlern und fehlende Strafverfolgung. Der wichtigste Grund ist die Segregationspolitik, und die hat nach Goldstein begonnen. Deshalb glaube ich, dass das Massaker von 1994 in Bezug auf seine Bedeutung für die Geschichte das wichtigste Ereignis ist.

Was passiert nach dem Massaker?
Die erste Reaktion des Militärs ist, alle Palästinenser für zwei Monate unter Ausgangssperre zu stellen, die ganze Stadt ist Tag und Nacht unter Hausarrest, um Vergeltungsangriffe zu verhindern. Als die Ausgangssperre aufgehoben wurde, wurde die Schuhada-Strasse für palästinensischen Verkehr gesperrt. Der Gemüse- und Fleischmarkt wird "sterilisiert", das heisst, kein Palästinenser darf ihn mehr betreten. In der zweiten Intifada wurde die Idee steriler Pufferzonen zwischen beiden Gruppen zur Hauptidee – Schutz der Siedler auf Kosten der Palästinenser. Je näher man an die Siedlungen kommt, desto höher ist das Level der Sterilisierung, denn weniger Palästinenser heisst mehr Schutz für die Siedler. Rund 1800 Läden sind geschlossen, ein paar hundert auf Militärorder hin, die anderen, weil niemand dort ist und es sich nicht lohnt, sie offen zu halten.
Dazu kommt das Verhalten des Militärs, und darin liegt insbesondere die Arbeit von "Breaking the Silence". Wir reden von 377 Tagen vollständiger Ausgangssperre in den ersten drei Jahren der zweiten Intifada. Wenn man nächtliche Ausgangssperren hinzuzählt, kommen wir auf mehr als 500 Nächte in drei Jahren. Das hat enorme Auswirkungen auf die sozialökonomische Situation. Wir reden über drei Patrouillen, zwei militärische und eine von der Grenzpolizei, deren Aufgabe es ist, Präsenz zu zeigen. Es geht darum, die Palästinenser spüren zu lassen, dass das Militär in ihrem Nacken sitzt. Sie sollen sich gejagt und verfolgt fühlen.
Der dritte Grund, warum Hebron heute eine Geisterstadt ist, ist die Siedlergewalt und fehlende Strafverfolgung. Es geht nicht darum, dass es 500 Siedler gibt, die machen, was sie wollen, sondern darum, dass es eine komplette Regierung gibt, die nichts dafür tut, das Gesetz anzuwenden.
Heute haben wir in Hebron rund 190.000 Palästinenser, 850 Siedler und 650 Kampfsoldaten. Im Vergleich hiesse das, Jerusalem mit einer halben Million Polizisten. Warum wird also das Gesetz nicht angewendet? Weil das quasi im Gesetz selber so angelegt ist: Hebron ist nicht Israel, selbst die rechteste Regierung, die Israel je hatte, die gegenwärtige Regierung, hat nie seine Souveränität auf Hebron ausgeweitet. Der Souverän ist also die IDF. Per internationalem und israelischem Gesetz sind sie verpflichtet, die Bewohner zu schützen. Für die Soldaten vor Ort lautet die Anordnung: Wir sind hier zum Schutz der Siedler. Siedler, die einen Palästinenser angreifen, sind nicht unsere Aufgabe. Das einzige was sie tun können, ist, die Polizei zu rufen. Die tut nicht ihren Job, nicht, weil sie nicht wollen: Kein Polizist begibt sich heute ohne Armeeschutz in eine Siedlung in Hebron. Ein weiterer Teil der Diskriminierung sind die zwei verschiedenen Rechtssysteme. Palästinenser haben andere Rechte unter Militärrecht als Siedler unter israelischem Recht. Das ist der Hintergrund. Vor dem kann man vielleicht verstehen, warum das Goldsteinmassaker in meinen Augen das wichtigste Ereignis für Hebrons Geschichte heute ist.

Warum Hebron?
Es gibt keinen Zweifel, dass Hebron jüdischer ist als Tel Aviv. Nicht israelischer als Tel Aviv. Unsere Vorväter gingen nach Nablus, Jerusalem und Hebron, nicht nach Tel Aviv. Aber die Frage, die man sich in meinen Augen zu stellen hat, lautet: Was bedeutet es, 2015 im jüdischen Teil Palästinas zu leben? Ist da irgendwas Jüdisches geblieben in diesem Regime? Meine Antwort lautet Nein. Dies ist ein rassistisches Regime, Segregation auf der Basis von Nationalität und Ethnie, ein Regime, das darauf ausgerichtet ist, Menschen zu vertreiben. Es geht hier nicht um Sicherheit. Palästinenser, die von H1 nach H2 wollen, können das ohne einen Checkpoint tun, sie kommen zu den Siedlungen, ohne einen Checkpoint zu überqueren. Erst wenn sie zwischen den Siedlungen leben wollen, gibt es Probleme. Es geht um Verbindung. Wer Hebron versteht, wer Mathematik versteht: Eins plus Eins gibt Zwei. Da gibt es keine andere Lösung.

Ist Hebron das Beispiel, an dem der Konflikt dieses Landes am besten sichtbar wird?
Viele Menschen, die nach Hebron kommen, denken, Hebron ist ein Extremfall. Sie haben nichts verstanden. Ich würde im Gegenteil argumentieren. Hebron ist ein Geschenk Gottes. Hebron ist ein Mikrokosmos, zwei Quadratkilometer gross. Wenn Du ihn einen halben Tag lang durchwanderst und lernst, was dort vor sich geht, lernst Du, wie Israel die Westbank kontrolliert. Gaza ist was anderes, aber Hebron ist ein Mikrokosmos der Westbank. Wenn Du aus Hebron herauszoomst, siehst Du die ganze Westbank. Siedlergewalt gibt’s nicht nur in Hebron, die Siedler von Hebron sollten den Friedensnobelpreis bekommen verglichen zu Siedlern in Itamar, Schilo oder Susia. Separation gibt es nur in Hebron? Sag mir eins: Was ist der Unterschied zwischen einem Strassenblock zu einem kleinen Dorf oder der Blockade einer Familie in ihrem Haus in Hebron? Es gibt keinen, es ist dasselbe Konzept. Hebron ist konzentrierter und sichtbarer, ja. Aber es ist nicht unterschiedlich von anderen Orten. Es ist der beste Ort, die Methodologie zu verstehen, wie wir die Westbank kontrollieren. Teile und herrsche. Separation. Siedlungen. Einschüchterungen. Den Fuss auf dem Land, wie jede andere Kolonialmacht.
Die einzige Weise, auf die Hebron Sinn macht – und deshalb liebe ich Hebron -, ist, wenn Du auf Hebron schaust mit den Augen der israelischen Behörden. Was ist diese Perspektive? Wir haben zwei Prämissen, die wir als gegeben hinnehmen und nicht hinterfragen. Erstens: Wir haben Siedlungen. Who cares, dass diese Siedlungen illegal sind nach internationalem Recht? Wir nicht, richtig? Zweitens: Diese Siedler sind israelische Bürger und verdienen ein Leben wie jeder andere israelische Bürger in Tel Aviv. Hebron wird zwar nie Tel Aviv sein. Aber wir müssen tun, was wir können. Also bedenken wir die Zahl der Soldaten im Einsatz, die Gefahren. Nur eine Sache bedenken wir nicht: 190.000 Palästinenser. Nur aus dieser Perspektive heraus ist es egal, wer am Anfang der Gewalt steht. Am Ende zahlen die Palästinenser. Es kann das Goldstein-Massaker gegen die Palästinenser sein und dann wird die Schuhada-Strasse geschlossen. Siedler, die den ganzen Gemüsemarkt zerstören und dann schliessen wir den gesamten Markt für Palästinenser… Am Ende des Tages zahlt immer einer. Nur aus dieser Perspektive ist das alles zu verstehen.
Du kommst und sagst, Hebron ist ein Mikorokosmos und ich stimme zu. Aber die offizielle Linie ist: "Hebron ist extrem". Warum? Weil es in Hebron kein Grau gibt. Nur Schwarz und Weiss. Hebron ist ein Ort der Wahrheit. Schwarz-Weiss. Entweder-Oder. Es gibt keine andere Erklärung. Entweder glaubst Du, dass wir wegen der Patriarchengräber und 1929 erlaubt sind, tausende von Menschen auf ewig ohne Würde und Rechte zu halten und sie aus ihren Häusern zu werfen und sie zu heftig einzuschüchtern. Oder nicht.

Wäre ein Grau aus Deiner Perspektive und Erfahrung denkbar?
In Hebron? Nein. In Hebron muss man sich zwei Fragen stellen. Eine lautet: Wo ist die rote Linie für das Sicherheitsargument? Wenn wir glauben, dass es rote Linien gibt, die der Staat nicht überschreiten kann - und das ist das Prinzip der Demokratie -, wo ist die rote Linie und haben wir sie überschritten? Für mich ist die Antwort: Ja, natürlich haben wir sie in Hebron überschritten, vor 47 Jahren. Einem Menschen nicht zu erlauben, aus seinem Haus zu gehen, der nichts getan hat, ausser Palästinenser zu sein. Dies sind die Ziegel, aus denen Hebron gebaut ist. Permanente Einschüchterung aller Palästinenser, Kollektivstrafe für alle Palästinenser. Natürlich gibt es Terrorismus, natürlich gibt es Angriffe. Das brauchst Du mir nicht zu erzählen, zwei Soldaten meiner Brigade wurden während meiner Dienstzeit getötet.
Die zweite Frage lautet: Ist es wirklich für Sicherheit? Darauf habe ich schon geantwortet. Nein. Selbst wenn die Siedlungen illegal sind und überhaupt nicht da sein sollten, gäbe es dennoch Wege, sie zu erhalten, ohne palästinensische Grundrechte derart zu verletzen. Für mich ist unser Regime in Hebron eine moralische Abscheulichkeit. Ein schwarzer Fleck nicht nur auf dem Gewissen, dem Bild: auf der Seele Israels und des Judentums. Vielleicht ist das der Grund, warum ich immer wieder nach Hebron zurückkehre. Wegen der Art und Weise, wie ich mich sehe, als professioneller Schizophrener, was ich meine: ich bin ein orthodoxer Jude. Aber ich lebe 2015, in einer modernen säkularen Welt. In Hebron wiederum kommen beide zusammen. Was in Hebron passiert, passiert nicht nur im Namen meiner Flagge, meiner national-säkularen Identität, sondern auch im Namen meines Gottes, meiner Religion. Es ist einer der Orte, an dem beide Teile meiner Identität zusammenkommen im gleichen Kampf. In meinen Augen sollte dies enden, nicht nur wegen meiner Flagge, sondern auch wegen dem, was es dem Judentum antut.

Worin besteht Dein Kampf? Wenn Hebron ein Mikrokosmos ist, heisst kämpfen gegen Hebron auch kämpfen gegen ein ganzes Regime…
Ja, klar! Breaking the Silence ist eine sehr einfache Sache. Wir sind eine Gruppe von Veteranen, etwa 1.000 Männer und Frauen, die glauben, dass unsere Armee ihrem Namen gerecht werden sollte: IDF heisst Israeli Defense Force. Wir wollen, dass unsere Armee eine Verteidigungskraft ist, nicht Instrument der Unterdrückung und Besatzung, wie sie es jetzt ist! Wir sind keine Pazifisten, wir sind nur gegen Besatzung. Wir glauben an dieses komische Konzept, dass Menschen sich selber regieren und nicht durch eine fremde Militärmacht beherrscht werden sollten. Leider klingt das in diesem Teil der Welt als eine sehr radikale und extreme Idee. Wir glauben, dass wir das Recht auf Selbstbestimmung haben, und also auch die Palästinenser. Wir wollen Gleichheit. Nicht einen Millimeter mehr. Nicht propalästinensisch. Nicht einen Millimeter weniger. Was wir verdienen, verdienen sie auch. Nicht mehr, nicht weniger.

Und mit dieser Forderung richtet Ihr Euch vor allem an ein israelisches Publikum. Warum?
Weil wir Israelis sind. Dies ist unser Land, dies ist unsere Gesellschaft, hier leben wir. Nicht, dass wir glauben, dass die israelische Gesellschaft die Spielregeln ändern wird. Keine Gruppe in der Geschichte der Menschheit ist je morgens aufgewacht und hat entschieden, ihre Privilegien abzugeben. So geht das nicht. Rechte sind nicht etwas, dass du etwas bekommst. Ich glaube, Rechte sind etwas, dass Du Dir nimmst. Wenn die Palästinenser sich ihre Rechte nicht von uns nehmen, werden wir sie ihnen niemals geben, so traurig das ist. Veränderung kann nur kommen, wenn die Internationale Gemeinschaft, Palästinenser und Israelis gemeinsam etwas tun. Keiner von uns kann allein die Besatzung beenden. Die Bürde für uns Israelis in diesem Dreieck ist es, an der israelischen Gesellschaft zu arbeiten.

Und wie könnte aus deiner Perspektive eine Lösung für Hebron aussehen? Gibt es eine faire Lösung, die palästinensische Rechte und jüdisches Erbe gleichermassen umfasst?
Niemand sagt, dass Juden nicht in Hebron leben können. Israelis können nicht im Hebron-Teil der militärischen Besatzung leben. Aber vernünftigerweise muss ich sagen: Nach so viel Blut und Hass in Hebron, kann ich keine Vision für das Leben israelischer Zivilisten in Hebron entwickeln. Zumindest nicht für den Anfang. Die Siedlungen müssen evakuiert werden. Das heisst nicht, dass ich glücklich bin. Nein. Aber ich bin noch weniger glücklich jetzt. Auf einer Skala der Gerechtigkeit ist eine andauernde militärische Besatzung von Millionen von Menschen, die ihrer Rechte beraubt werden, viel schlimmer als wenn mir nicht erlaubt wird, morgen die Patriarchengräber zu besuchen.
Viele argumentieren mit Sicherheit. Aber wenn es nichts mehr zu sichern gibt? Wann kommt der Moment, an dem die Gesellschaft sagt, dieses Regime ist es nicht wert, gerettet zu werden. Dies ist nicht, worum es dem Zionismus geht, worum es dem Judentum geht, worum es Israel geht.

Mit Blick zurück auf jüngste Ereignisse in Hebron wie der neuen Siedlung und dem Blick voraus auf die bevorstehenden Wahlen: Siehst Du Chancen auf eine Besserung?
Im Gegenteil. Orit Strock, Siedler aus Hebron, sitzt schon im Parlament. Baruch Marzel, ein weiterer Hebron-Siedler, könnte einziehen ins Parlament. Wir könnten uns in zwei Monaten in einer Situation wiederfinden, in der eine Gemeinschaft von 850 Siedlern zwei Repräsentanten im Parlament haben. Nimm die Versuche, einen archäologischen Park am Tell Romeida einzurichten, den Ausbau der Tell Romano-Siedlung, die Einweihung eines neuen Besucherzentrums und einer neuen Promenade – wir sehen eine Suche nach Weiterentwicklung und Expansion in Hebron in den letzten zwei Jahren.