Donnerstag, 24. Oktober 2013

Bibellesen hilft

Es ist kurz vor eins, als ich die Botschaft betrete. Laut Internetauskunft ist sie bis drei geöffnet. Nicht so die Konsularabteilung, wie ich kurze Zeit später am Schalter erfahre. Die schliesst um eins, und in zehn Minuten könne man mir beim besten Willen kein Visum ausstellen. Alles Bitten und Betteln und selbst der Augenaufschlag bleiben erfolglos. Es folgen lange Erklärungen zum Computersystem, das nur innerhalb des entsprechenden Zeitfensters offen ist. Ich dürfe meinen Pass aber gern da lassen und den Antrag ausfüllen, dann könne ich das Visum am Sonntag abholen. Zähneknirschend mache ich, was man mir sagt und überreiche Pass und Formular.
Was genau arbeitest Du? will mein Gegenüber hinter der Glasscheibe beim Blick auf das Papier wissen. Journalistin? Katholisch? Liest Du auch in der Bibel? "Darf ich Dir ne Frage stellen?" Ich nicke. Of course. "Ok. Wenn du das weisst, dann kriegst Du Dein Visum noch heute: Wann hat Jesus zum ersten Mal gesprochen, in welchem Alter?" Offenbar lasse ich mir nicht allzu sehr anmerken, wie perplex ich ob dieser Frage bin. "Mit seinen Eltern im Tempel!" (Die Feinheiten der verschiedenen Traditionen spare ich mir). Mein Gegenüber strahlt. Zwei Minuten später hab ich mein Visum. Und die Email-Adresse des neugierigen Fragers: "Schick mir doch mal, was Du so schreibst!"

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Warum? Darum!

Was für Gefühle hinterlässt der Besuch von Hebron/Al Khalil bei mir? Macht es mich wütend? Traurig? Hoffnungslos? Sarkastisch? Sicher ist: Es gibt kaum einen zweiten Ort, an dem der palästinensisch-israelische Konflikt, an dem das Dilemma dieses Landes sicht- und spürbarer würden als in der zweigeteilten Stadt, in ihrem alten Kern einer Geisterstadt gleich, mit No-Go-Zonen für den Mehrheitsteil ihrer Bevölkerung.

Wir laufen durch die Strassen von H2 (israelisch kontrolliert) in Richtung H1 (palästinensisch kontrolliert). Kurz vor den Patriarchengräbern, je nach Religionszugehörigkeit als Ibrahimi-Moschee oder Machpela verehrt, versperrt ein grosser Kranwagen den Weg. Eine Reihe von israelischen Soldaten sind dabei, an einer der zahlreichen Absperrungen Verbesserungen vorzunehmen. Mangel an Betonblöcken und Metallbarrieren herrscht jedenfalls nicht in der Stadt, dessen Name sich in beiden Landessprachen vom jeweiligen Wort für "Freund" ableitet.
Wir treffen auf Hatem. Hatems Familie lebt im ersten Stock eines dreistöckigen Hauses nahe der Patriarchengräber. Um Stockwerke Zwei und Drei ist seit 2012 ein erbitterter Kampf zwischen israelischen Siedlern und der palästinensischen Grossfamilie ausgebrochen. Die Siedler geben an, die Etagen legal von einem der zahlreichen durch Erbschaft mitbesitzenden Familienangehörigen erworben zu haben. Die Familie verneint die Rechtmässigkeit des Geschäfts. Solange der Fall nicht endgültig entschieden ist, sind die Zweidrittel des Gebäudes für beide Seiten tabu. Ein Fall, wie wir ihn an diesem Tag wiederholt sehen werden. Und während Hatem und ein entfernter Verwandter uns ihre Version der Geschichte erzählen, kommt ein israelischer Polizeiwagen. Zwei Polizisten nehmen unsere Gruppe unter die Lupe, greifen aber nicht ein.
Bezahlt. Gekauft. Gehört uns - Die Botschaft der israelischen Siedler an ihre palästinensischen Nachbarn könnte klarer nicht sein!

Wir besuchen als nächstes die Schule in unmittelbarer Nachbarschaft des umstrittenen Hauses. Viele der 253 palästinensischen Mädchen müssen über zwei oder mehr Kontrollpunkte, um ihre Schule zu erreichen. An jüdischen Feiertagen, sagen die Lehrerinnen, muss der Unterricht schon mal ausfallen, weil die laute Musik das Unterrichten unmöglich macht. Oder Barrikaden das Schulgebäude versperren. Wir gehen weiter. Bis plötzlich eine Reihe israelische Soldaten uns den Weg versperren und uns unmissverständlich wie unfreundlich des Platzes verweisen. Eine schriftliche Anordnung für die Wegweisung können oder wollen sie uns nicht vorlegen. Unser "Warum?" erntet ein simples "Darum!" Ein israelischer Minister sei auf dem Weg zu seinem Ortsbesuch, erfahren wir dann später.
Ein drittes Mal stoppen uns Sicherheitskräfte an der Passage von H2 nach H1. Die Beobachter des ökumenischen Begleitprogramms "EAPPI" werden - diesmal sehr freundlich - von einem jungen Soldaten aufgefordert, ihre Westen auszuziehen, bevor sie den Korridor ins palästinensische Stadtgebiet betreten. Er beantwortet höflich alle Fragen, und auch wenn auch er kein Dokument vorlegen kann, dass das Westenverbot im Korridor begründete oder auch nur belegen könnte, meine ich, eine Spur von Bedauern in seiner Kommunikation zu spüren. Am Ende doch etwas Menschliches in diesem verhärteten Spiel?

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Judaskuss

(Wandmalerei in einer Kirche in Gotland, Bildautor unbekannt)
"I have a serious and difficult question for you!" Noch bevor ich beide Füsse in seinem Laden habe, überfällt mich Daniel. "Why do we need Judas in Jesus' Story?"  Diese Frage hatte ich mich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie so gestellt, und war auch einigermassen erstaunt, sie ausgerechnet aus russisch-israelischem Mund zu hören. Es braucht halt einen Schuldigen, damit die anderen sich ihre Hände in Unschuld waschen können, hole ich aus. "Vom literarischen Standpunkt ist er wichtig für die Geschichte - geschenkt!", fällt Daniel mir ins Wort. "Aber historisch? Mal ehrlich: brauchten die Römer jemanden, der ihn verriet?" Historisch gesehen wissen wir wenig über Judas. Aber ja, Jesus zog im Triumphzug in Jerusalem ein. Er hielt sich an öffentlichen Plätzen auf und wehrte sich nicht einmal bei seiner Verhaftung. Jerusalem war in dieser Zeit ein Dorf - schwer zu glauben, dass die Autoritäten da wirklich den "hint" brauchten, um Jesus auffinden zu können... "Hm. Ich glaube, ich muss diese Frage mal dem syrisch-orthodoxen Patriarchen stellen. Dessen rechte Hand ist in meiner Nachbarschaft aufgewachsen. Oder darf der dazu gar nichts sagen?"

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Aufgeschnappt

Es ist einer dieser typischen Souvenir-Läden, nicht gerade gross, dafür umso vollgestopfter mit Kreuzen, Heiliger Erde und Ölen und allerlei weiterer Devotionalien, die Pilgerherzen höher schlagen lassen. Die meisten jedenfalls.
"Mami, gibts Du mir Geld? Ich will das da kaufen!" "Das da" ist im Fall des kleinen jüdisch-israelischen Dreikäsehochs am Arm seiner Mutter ein handtellergrosses Kreuz aus Olivenholz, bestückt mit einem metallenen Jesus. Kurze Stille der Mutter, ein Blick zum Kindsvater, ein dezidiertes "Wir kaufen hier gar nichts", und das Trio verlässt den verführerischen Ort in Richtung Kirche.

Dienstag, 15. Oktober 2013

Relativ

"Only three popes have traveled to Israel since the establishment of the country", kommentiert "Jerusalem Post" Papst Franziskus' Besuchspläne im Heiligen Land. Oder, anders formuliert, die Hälfte aller Amtsvorgänger des aktuellen Papstes. Derer waren es sechs seit Staatsgründung Israels 1948, einer von ihnen war ganze 33 Tage im Amt. Und dieser war auch der einzige der sechs, der nie einen Fuss ins Heilige Land gesetzt hat. Die anderen kamen, wenn nicht als Papst, so doch als Pilger.

Fundstück

Montag, 7. Oktober 2013

Proud of it

"I admit that I am closer in spirit to the Council of Europe than I am to the Council of Torah Sages and those who swing chickens over their heads. And I'm proud of it."
Der israelische Journalist Yigal Sarna kommentiert die Resolution des Europarates gegen rituelle Beschneidung von Kindern und die israelischen Proteste dagegen (Ynet-News, 7. Oktober)

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Die Sache mit der Zeit

Morgen ist Nationalfeiertag. Deutscher, um genau zu sein, weshalb nicht nur der Botschafter in Tel Aviv, sondern auch das Vertretungsbüro in Ramallah die Freundlichkeit haben, uns Auslandsdeutsche zum Feiern einzuladen. Die Einladung aus Ramallah kam mit einem Warnhinweis versehen. Nein, nicht die Sicherheitslage... Die Feier, liest es sich, beginne *13.00 UHR PSE-Winterzeit*. Eine wichtige Präzisierung. Weil nämlich die Gedächtnisübung beim Zeitumstellen (eine Stunde vor? eine Stunde zurück?) noch nicht Überforderung genug ist, ticken die Uhren in Israel und Palästina regelmässig im Herbst verschieden - und das noch in jedem Jahr anders.
In Israel wird in diesem Jahr erstmals erst Ende Oktober die Uhr zurückgestellt, ganz so also, wie wir es aus europäischen Breitengraden gewohnt sind. In der Westbank hingegen gilt in diesem Jahr schon seit 26. September Winterzeit (ok, es hat ja auch schon geregnet). Immerhin, zumindest Gaza und Ramallah sind sich in diesem Jahr einig. Noch im letzten Jahr gab es drei Zeitumstellungen auf engstem Raum - Gaza führte mit dem Ramadan auch gleich den Winter ein.
Völlig gleichgültig ist die Frage übrigens in der Grabes- und der Geburtskirche: Da herrscht sommers wie winters Winter(Zeit).