Montag, 30. November 2009

Die Diskussion geht weiter

Vorhergesagt war eine knappe Absage an ein Minarettbauverbot. Die Deutlichkeit des Ja lässt noch am Tag viele ungläubig die Augen reiben. Soweit die Wahrnehmung in der Schweiz. Bei den vorgängigen Umfragen hätten viele sich einfach nicht getraut, ihre wahre Meinung zu äussern, die Abstimmung selbst sei aber anonym. Kontert meine Vermieterin. Schliesslich könnten in muslimischen Ländern Christen oder gemässigte Muslime ihre Meinung auch nicht frei äussern. Khalil, der muslimische Handwerker, streicht die Fenster und pflichtet ihr bei. "Das Judentum ist für die Juden, das Christentum für die Christen. Aber der Islam, der ist für alle", beschreibt er den missionarischen Eifer seiner Glaubensbrüder. "Wer ja sagt zum Islam, ist willkommen. Sagt einer nein, werden eben andere Seiten aufgezogen." In den israelischen Medien wurde von der Abstimmung übrigens nur am Rande Notiz genommen.

Israelische Bürokratie

Schnellkurs in israelischer Bürokratie, Teil eins: Versuch der Akkreditierung bei der Regierungsstelle für ausländische Journalisten ... Briefpost (ich hatte alle relevanten Unterlagen im Voraus per Einschreiben geschickt, damit es schneller geht), so erfahre ich, kommt wenn überhaupt erst nach sechs Monaten in die Hände der Zuständigen. Wo sie vermutlich, der Ordnungslage auf dem Schreibtisch nach zu urteilen, auch ziemlich schnell in Vergessenheit gerät. Die elektronische Variante (zur Sicherheit hinterhergeschickt) wird nach einigem Beharren und dank Suchfunktion des Mailprogramms dann doch gefunden. Ein bisschen Papierkram, einige Wartezeit und schliesslich die Auskunft, dass man über die Ausstellung der Pressekarte für mich heute nicht mehr beschliessen könne. Vielleicht morgen. Oder übermorgen. Ich sei ja schliesslich ein paar Wochen im Land. Zahlen durfte ich vorsorglich heute schon ...

Religiöses Sammelbecken

Jerusalem scheint alles Religiöse geradezu anzuziehen. Dass in der Altstadt Geistliche und Ordensleute jeglicher Couleur zum Stadtbild gehören, verwundert wenig. Der Franziskaner, der sich zum Gebetsruf des Muezzin andächtig in eine Bankreihe seiner Kirche kniet, bietet da schon ein ungewohnteres Bild. Es harmoniert aber mit dem Blick über die Stadt, in der Kirchturm und Minarett aufs Engste zusammenrücken. Der Kanadier, der mich auf meinem Spaziergang vom Ölberg zur Altstadt als erstes fragt, ob ich Jüdin sei (Nicht woher ich komme oder was ich in Jerusalem mache), befremdet schon eher. Er ist nämlich hier zum Beten für die Wiederkunft Christi. Viele seiner Freunde hatten in der letzten Zeit Besuch von Abraham, David oder eben Jesus. Mit einem früheren Gebetstreffen haben der Kanadier und seine Freunde übrigens die Zerstörung Jerusalems durch Ahmadinedjad verhindert ...

Sonntag, 29. November 2009

Auch hier ein Thema

Auch sie würde mit Ja stimmen, sagte meine Vermieterin, als wir auf dem Weg in den Souk über die Minarett-Initiative diskutieren. Als Zeichen: Gegen Fundamentalismus, gegen die Unterdrückung der Frau, für Demokratie. Die Angst vor einem fundamen- talistischen Islam ist auch hier ein Thema, und generell wird die muslimische Bevölkerung der Stadt misstrauisch beäugt. Vorsicht in Ostjerusalem, so lautete die erste Warnung meiner Vermieter, als ich gestern zu ersten Erkundungen in der Stadt aufbrechen wollte, vor allem als Frau allein gegenüber der Mentalität islamischer Männer ...

Samstag, 28. November 2009

München - Tel Aviv - Jerusalem

Tel Aviv begrüsst mich mit sommerlichen 20 Grad, die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Das ist also das gelobte Land. Auf der Fahrt nach Jerusalem wechseln sich steinige Hügel, Berge und Siedlungen ab. Mir kommt vor, das Nesher-Taxi durchquert jeden einzelnen Stadtteil Jerusalems mindestens einmal, bevor ich einen ersten Blick auf die Altstadt erhasche und es mich - als letzte von allen Fahrgästen! - an mein Fahrtziel bringt. Vor allem aber habe ich das Gefühl, dass es mir nie und nimmer gelingen wird, auch nur den Hauch eines Überblicks über diese chaotische Stadt zu bekommen. Erster Eindruck.

Sonntag, 22. November 2009

In drei Minuten: Jerusalem

"...Jeden Augenblick meine ich, Jerusalem entdecken zu müssen, doch ich sehe es nicht ... Ich reite noch eine Weile weiter; Araber, denen ich begegne, machen mir Zeichen, ich solle mich beeilen, und rufen mir 'El Kods, el Kods!' zu ... drei Minuten später: Jerusalem ...

Jetzt sind wir schon den dritten Tag in Jerusalem, und noch hat mich kein der erwarteten Gefühlsbewegungen überkommen: weder religiöse Begeisterung noch Erregung der Phantasie, und auch kein Hass auf die Priester, was immerhin etwas heissen will. Ich fühle mich angsichts all dessen leerer als ein hohles Fass. Tatsache ist, dass heute morgen am Heiligen Grab ein Hund bewegter gewesen wäre als ich. Wer ist schuld daran, barmherziger Gott? Sie? Du? oder ich? Sie, glaube ich, dann ich und vor allem Du!"
(Gustave Flaubert, Reise in den Orient, 1850)

Freitag, 13. November 2009

Glaubwürdigkeitslücke

Seit 40 Jahren und in über 120 Ländern gibt es sie, die Sesamstrasse. Und in Israel? Während einer ganzen Weile gab es eine Co-Produktion der "Shara'a Simsim" und der "Rechow Sumsum". Die Puppen sprachen arabisch und hebräisch, und auf dem Bildschirm passierte, was in Realität so undenkbar scheint: Arabische und jüdische Puppen besuchten sich gegenseitig. Aber da ja nicht sein kann, was nicht sein darf, trennte man sich und ging fortan eigene Wege und drehte in Eigenregie.

Die erste eigenständige palästinen-sische Staffel wird in Ramallah gedreht. Gern würden die Produ-zenten auch im Gazastreifen Werbung machen. Poster und Puppen liegen bereit – nur gibt es seitens der Israelis keine Geneh-migung. In der israelischen Ver- sion werben die Puppen Mahmud und Noah unterdessen für Verständigung zwischen Arabern und Juden.

Donnerstag, 5. November 2009

Arglos ins Ausland

Eine etwas andere - und zugegebenermassen "unheilige" - Reisevorbereitung: Nicht ehrfürchtig, aber lustig.

"... Ein rüstiger Fussgänger könnte vor die Mauern Jerusalems hinaustreten und in einer Stunde die ganze Stadt umwandern. Ich weiss nicht, wie ich sonst verständlich machen soll, wie klein sie ist. Das Erscheinungsbild der Stadt ist eigentümlich. Sie ist von den zahllosen kleinen Kuppeln an ihrer Oberfläche so gebuckelt wie eine Gefängsnistür von Bolzenköpfen ...

Die Strassen sind grob und schlecht mit Steinen gepflaster und in erträglichem Masse gekrümmt - eben so sehr, dass jede Strasse, soweit der Pilger auch darin geht, ständig so aussieht, als schlösse sie sich und endete etwa hundert Yard vor ihm ...
Ich habe mehrere Male Katzen von einem Schutzdach zum anderen quer über die Strasse springen sehen, wenn sie ausgingen, um Besuche zu machen. Die Katzen hätten auch die doppelte Entfernung ohne ausser-ordentliche Anstrengung überspringen können. Ich erwähne das, um einen Begriff davon zu vermitteln, wie eng die Strassen sind."
(Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt als Mark Twain, in: Die Arglosen im Ausland)

Dienstag, 3. November 2009

Seite an Seite?

Jerusalem als "Symbol des Friedens", und zwar als Hauptstadt zweier Staaten, die "in Frieden und Sicherheit Seite an Seite exititeren"? Soweit die Vision des Uno-Generalsekretärs Ban Ki-moon: Der heilige Ort für "Moslems, Juden und Christen, für Israelis und Palästinenser und für die Völker der Welt" müsse als solcher erhalten werden.

So schön, so gut. Was aber, wenn schon innerhalb der einzelnen Gruppen gestritten wird, vom konfliktbeladenen Umgang mit- einander ganz zu schweigen?

So wie die jüdischen Frauen, die vor dem Obersten Gericht gegen orthodoxe Juden kämpfen, genauer gegen die Geschlech- tertrennung, die in rund 90 Buslinien in ultraorthodoxen Jerusalemer Stadtvierteln und auf Überlandstrecken zwischen Jerusalem und der ultra-orthodoxen Stadt Bnei Brak bei Tel Aviv gilt. Frauen dürfen diese Busse nur durch die Hintertür besteigen und auf den hinteren Bänken Platz nehmen. Oder die Christen im Lande, für die die anhaltenden Visa-Probleme für ihre Geistlichen ein "nervenaufreibendes Dauerthema" sind, vor allem für Priester aus arabischen Ländern?

Bislang taugt das jedenfalls nicht als Vorbild für den Frieden.

Mehr Wunsch als Wirklichkeit: Versöhnung der Religionen
(Wandbild in der arabischen Hochschule Mar Elias; Bild: hoyasmeg/flickr)