Samstag, 25. August 2012

Facettenreich

Im Beiruter Stadtteil Gemmayze steppt allabendlich der Bär. Das traditionell christlich geprägte Wohnviertel ist mehr und mehr zur Partymeile einer (mehr oder weniger jugendlichen) "Jeunesse dorée" geworden: Gestylte junge Männer lassen im Vorbeifahren (wesentlich öfter jedoch in den schmalen Strassen zum Stop and Go verurteilt) den Motor aufheulen, um den nicht weniger gestylten und selbst für europäische Augen oft leicht bekleideten weiblichen Altersgenossen zu imponieren. Sushi micht sich mit Karaoke und Diskothek, der Lärmpegel und die Musiklautstärke grenzt ans auch für orientalische Ohren Unerträgliche. Mit dem Resultat, dass immer mehr Einwohner die Flucht ergreifen. 
Dass Gemmayze aber mehr ist als Nightlife und Lärm, das wollten die jungen Christen des Viertels zeigen. An einem Samstagabend, zur Prime Time der Partygänger, versammelten sie sich zu Dutzenden an einem Ende des Viertels, um, von einer Handvoll Polizisten und Soldaten begleitet und gegen die Verkehrsrichtung der Einbahnstrasse, in einer Prozession zur am andren Ende liegenden Kirche zu pilgern. Vorweg ein Franziskaner und drei Junge mit Weihrauchfässern, dazwischen vielleicht 60 junge Christinnen und Christen, Kerzen und Christusikonen in den Händen, die den Rosenkranz beten und fromme Lieder singen. Zugegebenermassen ein skuriles Bild. Vorbei an grossen Leuchtreklamen, an Diskotheken und Restaurants mit klingenden Namen wie "the Venue", "Lord of the Wings" oder "Hipnotic" geht es durch die aufgestylte Menge. 
Die Blicke, die der ungewöhnliche Tross ernten, sind spannend. Nicht weniger spannend sind die Reaktionen der Passanten und Beobachter. Restaurantangestellte, die sich für eine Pause aufs Trottoir gesetzt haben, erheben sich respektvoll. Ein Arbeiter beeilt sich seine Zigarette zu beenden, um die vorbeiziehende Ikone zu küssen. Eine junge Dame in schulterfreiem Abendkleid löst sich vom Arm ihres Begleiters und bekreuzigt sich. Immer wieder stoppen Passanten während der anschliessenden Messe an den offenen Kirchentüren ...

Freitag, 24. August 2012

No more legitimate

"In saying that boycotting settlements is the same as boycotting Israel, the government is saying that occupation is intended to last forever, that settlement cannot and should not be opposed, and that Israeli endorsement of the principle of a two-state solution is a lie. What the Israeli Foreign Ministry is saying, in fact, is that Israel is no more legitimate than the settlements are. "
Bradley Burston in einem Haaretz-Blog (24. August) zur ENtscheidung Südafrikas, Produkte aus israelischen Siedlungen eigens zu kennzeichnen

Dienstag, 14. August 2012

Kurzer Traum

"Du bist auch nicht philippinisch!" Die Fremdheit inmitten der Gruppe von Asiatinnen bringt uns irgendwie zusammen, Neama, die junge ägyptische Christin, und mich. Neama spricht Arabisch, ihr Englisch ist schwer verständlich. Sie gestikuliert und mimt Pistolenschüsse. Dann streckt sie ihren rechte Hand aus. Narben auf dem Unterarm sind die sichtbaren Spuren eines blutigen Zusammenstosses zwischen Muslimen und Christen, bei dem sie verletzt wurde. In der Linken hält sie einen Brief von ihrem Pfarrer in Kairo. Auf Englisch bittet er um Hilfe und Unterstützung für Neama, die sich auf Zypern eine bessere Zukunft erhofft. "Wer schickt diese Menschen zu uns?" Die Frage von Pater Evencio klingt bitter. Für die junge Frau, sagt er, "gibt es keine Zukunft auf Zypern".
Neama ist motiviert. Eine handvoll griechische Worte und Sätze hat sie sich seit ihrer Ankunft auf der Insel vor vier Tagen schon angeeignet. Ungeduldig wartet sie seit einem halben Tag auf den vielbeschäftigten Franziskaner, in der Hand den Brief, der ihr Schlüssel zu einem besseren Leben sein soll. Sobald sie Arbeit hat, sagt sie, will sie Englisch lernen. Und mehr Griechisch. "Das beste für sie ist, wenn sie wieder nach Ägypten zurückkehrt und sich dort einen sichereren Platz sucht. Sie würde sich viel Leid und viele Tränen ersparen", sagt der Pater. "Junge Frauen wie Neama, die ohne Visum und ohne Arbeit hier einreisen, landen in einem Loch." Die Migrationspolizei ist sehr effizient und schnell, und "selbst wenn sie es schafft, sich zu verstecken: Ohne Arbeit wird sie früher oder später in der Prostitution landen, wie hunderte andere vor ihr." Hart oder bitter klingen will er nicht, aber helfen können die wenigen Brüder angesichts der grossen Zahl an legalen und illegalen Einwanderern kaum. Und manchmal bedeutet Hilfe, einem Einwanderer die Illusion auf eine sichere Zukunft in Europa zu nehmen – um schlimmeres zu verhindern.
Neama versteht den Pater nicht. Mit Tränen in den Augen hält sie dem Franziskaner den Brief hin. Ihr Flug zurück in die ungeliebte ägyptische Heimat geht in weniger als 24 Stunden, und auch ihr Aufenthaltsrecht auf Zypern läuft in wenigen Tagen aus.

Donnerstag, 2. August 2012

Neutralität

"Lange gab sich Jordanien neutral. Neutralität aber ist ein Gut, das sich Syriens Nachbarn kaum noch leisten können." 
Sonja Zekri sieht im Tages-Anzeiger-Kommentar "Im Strudel des Bürgerkriegs (2. August) eine Internationalisierung des Syrienkonflikts, der die Nachbarn Irak, Libanon, Jordanien und die Tükei gefährde