Donnerstag, 30. Dezember 2010

Standpunkt: Bethlehem



Ausschnitt aus der Sendung "Rock to Bethlehem - Solidarität mit den Christen im Heiligen Land", Radio Horeb vom 26. Dezember

Tabuzone

Wohin mit meinen beiden Katzen, wenn ich mal für ein paar Tage weg bin? Ich frage meine - sehr nette und engagierte - Tierärztin. Gar kein Problem, sagt sie. Es gibt sehr viele Menschen, die "Hausbesuche" machen, und für die Tiere sei das auf jeden Fall besser als ein Ortswechsel. Ich bin erleichtert. Ob sie mir jemanden empfehlen könne, will ich wissen. Wo in Jerusalem ich wohne, lautet ihre Gegenfrage. Altstadt, nahe New Gate. Altstadt? Auf einmal ist sie nicht mehr so optimistisch. Die Altstadt gehört für viele jüdische Jerusalemer zur "No-Go-Zone", und so fällt ihr auch niemand ein, der an diesem Ort Hausbesuche macht.

Sonntag, 26. Dezember 2010


Fest ist Fest, oder so

Es ist schon nicht ganz einfach, diese verschiedenen Feste auseinanderzuhalten - Impressionen aus Jerusalem...

Zu weihnachtlich, zu christlich

Die ultraorthodoxe jüdische Gemeinschaft von Jerusalem droht mit Boykott. Die Lichtdekoration in der Luxus-Flaniermeile "Mamilla" vor den Altstadttoren sei "zu weihnachtlich", so die Beschwerde – pünktlich zum 24. Dezember. Der Verwaltungschef beeilte sich mit seiner Entschuldigung: Alles sei – wie jedes Jahr - für Chanukka und gegen den Winter geschmückt worden, nicht wegen Weihnachten. Aber man sei bereit, die Lichter mit Stoff abzudecken, falls sie gegen jüdisches Gesetz verstossen.
Schon seit Tagen halten Plakate ("Wird Jerusalem christlich?") zum Boykott der Shopping-Meile auf, für den Fall das dieser "Götzendienst" nicht sofort beendet werde. Dumm nur, dass Mamilla für viele der bequemste, schnellste und sicherlich schönste Weg von Westjerusalem zur Klagemauer ist…

Volksfest




In der Geburtskirche herrscht den ganzen Tag bis tief in die Nacht ein reges Kommen und Gehen, nicht wenige Pilger und Touristen warten eine halbe Ewigkeit, um in die enge Geburtsgrotte hinabsteigen zu können. Auf dem Krippenplatz Luftballons, Zuckerwatte, einheimische Fastfood-Stände, Pfadfinder mit Trommeln und Dudelsack und traditionelle Weihnachtsschlager: Weihnachten in Bethlehem hat viel von einem Volksfest. Muslime, Pilger, Touristen und einheimische Christen geben eine unvergleichbare Mischung, und alle wollen feiern. Und sollen feiern, wie die hiesigen Kirchenvertreter sagen: "Weihnachten ist in Bethlehem nicht nur ein christliches Fest, sondern eine lokale Tradition für alle Einwohner!"
Für viele Westler wohl ungewöhlich sind die Lautstärke und der Rummel, mit der die "Stille Nacht" hier gefeiert wird, aber die meisten lassen sich von der fröhlichen Stimmung in den Bann ziehen. Und so manch einer sinkt nach Stunden in dem Trubel irgendwann erschöpft in einen Café-Stuhl oder ein Hotelsofa...



Freitag, 24. Dezember 2010

Einzug des Patriarchen nach Bethlehem



Weihnachtsfreude

"Ihr müsst Euch mein neues Haus ansehen!" Stolz und kindliche Freude sprechen aus der Stimme eines meiner zukünftigen Nachbarn. Unbedingt will er uns sein neues Heim zeigen. Es ist noch nicht ganz fertig, aber trotzdem ist es für ihn "das schönste Weihnachtsgeschenk". Aufgeregt führt er uns durch jeden Raum, zeigt die Arbeiten, richtet in Gedanken schon mal ein. Sein neues Heim, erklärt er, war früher eine Kirche, wie sich bei den Renovierungsarbeiten herausgestellt hat. Seit mindestens hundert Jahren waren die alten Gewölbe nicht mehr zugänglich., erzählt er uns. Die Franziskaner, denen das Gebäude gehört, sind richtig taff, lautet sein Urteil, und ihre Arbeiter echte Profis."Alle anderen stehlen, nur die Franziskaner investieren!"

Dienstag, 21. Dezember 2010

"Bekannte Geschichte"

"Die Geschichte ist ganz berühmt", sagt der Mann meiner Arabisch-Lehrerin und startet das Musikvideo auf seinem Computer. Samira hat beschlossen, dass der zweite Teil der Unterrichtseinheit dem Hörverständnis dienen soll und ihren Mann gebeten, ein Musikstück von Fairuz, der bekannten libanesischen Sängerin auszusuchen. Wort für Wort übersetzen Samira und ihr Mann das Lied: Der Stern, die Höhle, die Hirten und die Engel, das Kind. Unversehens finde ich mich mit zwei gläubigen Muslimen in einem geschichtsträchtigen Mamelukken-Bau am Fuss der Tempelberg-Esplanaden wieder - um mir wohlbekannte Weihnachtslieder auf Arabisch zu hören...

Sonntag, 19. Dezember 2010

Samstag, 18. Dezember 2010

Loosing my religion

"You waste your time!" – Der junge Israeli gibt sich ordentlich Mühe, die beiden älteren Touristen dazuzubewegen, rechts in Richtung Klagemauer abzubiegen. "Da unten geht es nicht weiter!". Die beiden Männer, rein optisch eindeutig Europäer oder Amerikaner, zögern einen Moment. Eigentlich wollen sie nicht rechts. "Geradeaus ist gesperrt. Nur für Muslime!", setzt der junge Mann nach. Andere Touristen gehen ungerührt an dem Israeli und seinen beiden Gesprächspartnern wider Willen weiter. Noch ein Moment Zögern. "Wir sind Muslime", sagt einer der beiden Männer mit viel Überzeugung in der Stimme und zieht seinen Gefährten weiter. Der Israeli bleibt verwirrt und mit ratlosem Gesichtsausdruck zurück. "Ich wechsle meine Religion hier alle hundert Meter", grinst der eine dem anderen zu.


Mittwoch, 15. Dezember 2010

Religiöse Globalisierung

"You are a priest!", sagt unsre Chorleiterin zu mir. Ich weiss zwar nicht, wie es zu diesem Missverständnis kam, muss aber ob dieser brisanten Aussage lächeln. Nicht ganz, muss ich sie leider korrigieren, ich sei Theologin. Was aber in ihren jüdischen Augen keinen grossen Unterschied macht. Denn eigentlich sucht sie nur jemanden, der mit ihr bei einem Auftritt am 24. Dezember "Christmas Carols" singt...

Sonntag, 12. Dezember 2010

Wetterkapriolen

Nach den verheerenden Waldbränden nun Sandstürme. Und schliesslich dann doch der so dringend benötigte Regen, der die Stadt in eine schlammige Rutschbahn verwandelt.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

"No christian music"


Die Einkaufsstrasse, in dem unser (jüdischer) Chor zwecks Mitgliederwerbung ein kleines Strassenkonzert geben will, ist in privater Hand. Sie wird von Juden, Arabern und Touristen gleichermassen frequentiert, und anders als in anderen Malls funktioniert das Mit- und Nebeineinander ganz gut. Unser Auftritt, sagt die Verantwortliche, ist herzlich willkommen. Unter einer Bedingung: "No christian music!"
Ein nicht unerheblicher Teil unsres Repertoires fällt damit weg. Und mir stellt sich die Frage, wie mit so offenkundiger Diskriminierung umgehen. Klar sieht mir die Christin keiner auf den ersten Blick an, und im Chor selbst stört sich niemand daran. Aber will ich an einem Ort singen, an dem ich definitiv nicht willkommen bin?

Montag, 6. Dezember 2010

"Steinachtsbaum"


"Ortsbezogene Performance" nennt sich die Kunst der Schweizer Gruppe "Klat". Umgesetzt im jüngsten Projekt in der Jerusalemer Erlöserkirche : "Listen to the stones". Die Idee dahinter ist interessant. Steine, so die Künstler, sind die "ältesten Bürger" der Stadt, also müssten wir mit ihnen den "Kommunikationskanal" wiederfinden, der uns in der westlichen Kultur verloren ging. Und die Steine - wo auch immer sie herkommen, ob aus jüdischen, christlichen oder muslimischen Bauten - von ihrer Instrumentalisierung "befreien".
Gesagt, getan, waren alle eingeladen, mit den drei Künstlern zusammen Steine aus der Ausgrabung unter der Kirche in den Kreuzgang zu schleppen, wo sie zu einer "künstlichen Ruine" sorgfältig aufeinander gestapelt wurden. Den Aufruf, die eigene Fantasie dabei spielen zu lassen, kam besonders beim jüngsten Performance-Teilnehmer gut an. Nur Steine, fand er, seien langweilig und schmückte das Gebilde mit Grünzeug. Ein "Steinachtsbaum", wie der Nachwuchskünstler festhielt.


Endlich Regen!

Samstag, 4. Dezember 2010

Checkpoint

"Ich habe einen Wunsch, der zum Gebet wird", sagt Weihbischof William Shomali beim Friedensgebet in Bethlehem - "dass alle Palästinenser sich frei bewegen können, ohne Mauer, und ohne Checkpoints!" "Bethlehem, das Herz von Weihnachten, sollte offen sein für alle Völker", pflichtet ihm Bürgermeister Victor Batarseh bei, "aber stattdessen sind wir abgetrennt durch eine hässliche und sehr reale Mauer."
Auf dem Weg nach Bethlehem staut es sich vor dem Checkpoint, viele Männer, die von der Arbeit kommen, aber es ist nur ein Schalter offen, an dem Ein- und Ausreisende sich abwechseln müssen. Obwohl vermutlich alle am liebsten so schnell wie möglich nach Hause möchten, winken die Männer mich ebenso selbstverständlich wie freundlich an der Schlange vorbei, wohlwissend, dass ich mit meinem EU-Pass in ein paar Sekunden über den Checkpoint komme.
Ein ähnliches Bild auf dem Rückweg. Eigentlich sind es nur ein paar Handvoll, die Richtung Jerusalem über den Kontrollpunkt wollen. Da aber immer nur einer durch das Drehkreuz und die Sicherheitsschleuse gehen darf, staut sich trotzdem alles. "Und, wie fühlst Du Dich dabei?", fragt mich ein älterer Palästinenser in der Schlange vor mir. Ich hasse es, meine Antwort. "Ich weiss, aber wir können nichts tun", sagt er und lässt mir lächelnd den Vortritt.

Freitag, 3. Dezember 2010

Zwischen Karneval, Sylvester und Volksfest


Die Einweihung einer Synagoge kommt in Israel sicher häufiger vor als Kirch- oder Altarweihen in unseren Landen. Einmal dabei zu sein ist trotzdem ein echtes Erlebnis: Mit Tanz, Wunderkerzen, Feuerwerk und vor allem mit viel Musik ziehen die Thorarollen in das neue Bethaus ein. In einem fröhlichen Umzug, der für Aussenstehende durchaus Ähnlichkeit mit Karneval oder anderen Umzugsfesten hat – einfach etwas kleiner.

Vorneweg rollt ein "Festwagen", mit Diskokugeln, Leuchtgirlanden und Fahnen geschmückt und mit zwei Vorsänger-DJ's bestückt. Dahinter ein Pulk von Männern, die abwechselnd die Thorarollen tragen und mit ihnen tanzen. Dann die "Combo" aus Trommeln, Schellen und Schofar. Dann das jubelnde Volk. Mitunter schmeissen Schaulustige am Rand Bonbons in die Menge. Nur für einen kurzen Moment des Gebets wird es ernst, als die Thorarollen ihren Bestimmungsort, den Schrei in der neuen Synagoge erreichen. Kaum ist das Gebet beendet, geht es weiter mit Tanz und Gesang. Zumindest für die Männer...

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Angriff auf den Rosenkranz

Seit ungefähr einer Woche teile ich mein Reich mit einem "blinden Passagier". Bisher hiess die Devise: Fütter mich, aber komm mir nicht näher. Bis er den Rosenkranz entdeckte. Was gibt's Schöneres für einen verspielten Strassentiger, als eine lange Schnur mit vielen klickernden Perlen dran? Langsam wurden die Kreise um mich und das "Spielobjekt" immer kleiner. Bis er mit einem waghalsigen Sprung über Stühle und Tische zum "Angriff" auf den Rosenkranz ansetzte... Sieg der Neugier.

Dienstag, 30. November 2010

Wie es wohl ist ... ?

Wie es wohl sein mag, eine ganze Amtszeit lang die Realität immer nur im "abgesperrten Zustand" zu sehen? Welches Unbehagen wohl einen Personenschützer erfüllt, wenn das zu schützende "Objekt" plötzlich eine Falafel probieren soll oder spontan einen Laden betritt und mit dessen Besitzern spricht? Was für eine logistische Leistung es ist, Dutzende von Delegationsmitgliedern und Journalisten durch so ein Besuchsprogramm zu bringen und dabei noch den engen Zeitrahmen einzuhalten?

Die Menschen von Bethlehem interessiert all dies vermutlich wenig. Sie freuen sich einfach über den deutschen Besuch - "Welcome all to Bethlehem" - und hoffen auf Unterstützung und Verbesserung ihrer Lebensbedingungen - "We love Germany". Die Kinder der Talitha Kumi lässt auch das unberrührt. Sie klatschen begeistert für den Präsidenten und jeden in seinem Gefolge, stehen Spalier und wollen einfach mal Händeschütteln wie die Grossen. "Die Gedanken sind frei", singt der kleine Schulchor auf Deutsch, und ich gäbe viel dafür, die Gedanken der beiden Akteure lesen zu können, wenn sie sagen, die Chancen für Frieden seien so gut wie lange nicht...

Freitag, 26. November 2010

Ein schwerer Gang


Wie begegnet man als Deutsche Menschen, die im Holocaust grausames erlitten haben? Wenn mir jemand die Nummer auf seinem Arm zeigt, die ihm die Nazis eintätowiert haben? Wie reagiert ein Mensch, wenn er, vielleicht zum ersten Mal nach 65 Jahren, die Sprache seiner Folterknechte wieder hört? Wie kritisch darf man ein Projekt hinterfragen, das vor allem eines will: Menschen einen guten Lebensabend ermöglichen, die im Leben genug durchgemacht haben? Kurz: Wie verhalte ich mich als Deutsche, wenn ich in ein Altenheim für Holocaust-Überlebende fahre?
All meine Bedenken und Sorgen erweisen sich als unbegründet: Herzlich ist der Empfang und gross das Bemühen der Menschen, sich in Deutsch, in meiner Sprache auszudrücken. Eigentlich muss ich nur eines: Zuhören. Den vielen Leidens- und Lebensgeschichten, die zum Teil viel zu selten erzählt worden sind, um die Traumata zu überwinden. Und ziemlich schnell bedaure ich wieder einmal die strikte Längenvorgabe: Nur ein Bruchteil des Gehörten wird Platz finden in meinem Text...

Es wird schlimmer

... ich glaube, dass ich in diesem Jahr getrost auf Weihnachtsdeko verzichten kann - die meiner Umgebung reicht für mich mit ...

Lost in Translation II

Glück gehabt. Steht Griess drauf (behauptet das Übersetzungsprogramm) und ist Griess drin. Und falls sich jetzt jemand gefragt haben sollte, was aus dieser merkwürdigen Kombination an Zutaten enstehen soll: "Mein geliebter Kleckerkuchen", dessen Rezept, um es uns auch in der eigenen Sprache nicht allzu leicht zu machen, im Inhaltsverzeichnis des Backbuchs sinnvollerweise unter G wie "geliebter Kleckerkuchen, Mein" zu suchen ist...

Donnerstag, 25. November 2010

Lost in Translation

Abenteuer Kuchenbacken. Im arabischen Supermarkt erfahre ich (nachdem Samira mit mir die korrekte Aussprache geübt hat), dass es schwierig sein dürfte, hier Mohn zu bekommen, schliesslich kann Mohn Opiate enthalten. Der zweite arabische Name für Mohn: Chaschchasch... Also ein neuer Versuch, diesmal im jüdischen Supermarkt. Was hiess noch mal Mohn auf englisch? Gemahlen? Und auf französisch? Schliesslich weiss man nie, welche Sprache der hilfsbereite Mitmensch im Supermarkt sprechen wird. Am wahrscheinlichsten Russisch, aber da komme ich ungefähr so weit wie mit Hebräisch...
Ich habe Glück, der Mohn ist schnell gefunden (und sogar schon gemahlen) - den Ashkenazen und ihren mohnlastigen Desserts sei's gedankt. Ein Kinderspiel ist die Kirschmarmelade - sind ja gottseidank so schöne Bildchen drauf. Beim Backpapier scheitere ich, keine visuelle Hilfe ins Sicht und auch der Mitmensch ist zwar freundlich, aber wenig hilfreich. Richtig schwierig wird es beim Griess (auf den ich deutlich schlechter verzichten kann als auf das Backpapier). Er steht zwischen Mehl, Reis Nudeln und Co, also genau dort, wo man es erwarten würde. Wenn man ihn denn als solches zu identifizieren in der Lage ist. Bin gespannt, ob drin ist, was ich hoffe.


Dienstag, 23. November 2010

Huhn oder Ei?

Sind wir vor oder hinter der Mauer? Drinnen oder draussen?



Sonntag, 21. November 2010

Standpunkte

"Ich hoffe, die wird Mauer bald eingerissen, so wie Ihr in Deutschland das so gut gemacht habt. In meinem Garten ist schon ein Platz für mein Mauerstück reserviert!" Wir blicken von Gilo in Richtung Bethlehem, und der diese Aussage macht, ist kein durch die Mauer vom Rest des Landes abgegrenzter Westbank-Palästinenser, sondern Guide der israelischen Organisation "Ir Amim" (Stadt der Völker). Eine halbe Minute vorher hat er uns erklärt, der Bau der Mauer sei eine legitime Entscheidung einer legitim gewählten Regierung, und vor allem sei sie ein Schutz vor Terror und Gewalt.

Eitan führt uns zum Thema Grenzverlauf und Stadtentwicklung in Jerusalem. Keine leichte Aufgabe: Eitan ist Israeli und hat einen israelischen Standpunkt. Das Publikum sind vor allem deutsche Volontäre, NGO-Mitarbeiter und ein paar Journalisten, der mehrheitlich vertretene Standpunkt naturgemäss eher israelkritisch. Die Fragen und Widersprüche sind teilweise scharf. Ist das "Hindernis", das wir inmitten der Landschaft vor uns sehen, ein "Schutzwall" oder ein "Sperrwall"? Ist es gar eine "Apartheidsmauer"? Reden wir vom "annektierten Ostjerusalem" oder von "besetztem Gebiet"? Von Gilo als "jüdischem Wohnquartier" oder als "Siedlung"?
Bei allen Fragen zu Legalität und dem richtigen Sprachgebrauch – in einem Punkt kommen Gruppe und Guide überein: Die humanitären Auswirkungen dieses "Hindernisses" für das Leben der Palästinenser sind katastrophal.

"Buddha sei Dank"


"Jerusalem ist heilig. Und alle drei Religionen beten zum selben Gott. Gott sei Dank war Buddha nicht auch noch hier!"
Ein Touristenführer zu seiner Reisegruppe, den Tempelberg und die Jerusalemer Altstadt im Blick.

Freitag, 19. November 2010

Für einmal vereint


... schliesslich hat Weihnachten auch immer etwas mit Ostern zu tun ...

Donnerstag, 18. November 2010

Der Zeit voraus


Alle Jahre wieder: Wettermässig haben wir noch nicht einmal Herbst. Auch der Kalender zeigt erst Mitte November - noch ein paar Tage hin bis zum ersten Advent! Aber in den ersten Läden in meiner Nachbarschaft stappeln sich bereits Panettone, Lichterketten. Lametta in allen (un)denkbaren Farben und jeder nur erdenkliche Kitsch. Bei den Händlern ist die Weihnachtszeit an-, oder besser: ausgebrochen. Zumindest hierin unterscheiden sich Orient und Okzident nur wenig... Und ich stelle einmal mehr fest, dass sich der orientalische Sinn für Dekorationsgegenstände in den seltensten Fällen mit meinem Geschmack deckt.


Dienstag, 16. November 2010

Schwierige Entscheidung


Das Konzert soll unbedingt in dieser einen Kirche stattfinden, da sind sich alle einig. Aber leider ist die nur an einem Samstagabend zu haben. Der Schabbat endet - das haben die Bassisten via Smartphone schnell rausgefunden - an diesem Tag erst kurz nach 20 Uhr. Entsprechend knapp ist also die Zeit bis zum spätestmöglichen Konzertbeginn (21 Uhr). Da (mit Ausnahme von mir) im Chor alle jüdischen Glaubens sind, führt diese Faktenlage zu einer heftigen Diskussion zwischen Bass, Bariton, Tenor und Chorleitung: Was ist noch kosher? Und wieviel Zugeständnisse kann man aus musikalischer Sicht an die Religion machen, ohne dass die Qualität zu sehr leidet?
Wer sich strikt an den Schabbat hält, wird, je nach Wohnort, erst kurz vor neun in der Kirche sein können - für einen Chorleiter ein Graus. Wer aber rechtzeitig, und das heisst in diesem Fall: vor Schabbatausgang, sein Haus verlässt, hat, ebenfalls je nach Wohnort, mit den Reaktionen seiner Nachbarn zu rechnen. Schliesslich "siegt" die Musik über die Religion und nach und nach stimmen die Männer zu. Dieser eine Schabbatausgang wird dann wohl in einer Kirche gefeiert.
Interessanterweise wird die weibliche Mehrheit der Chormitglieder erst gar nicht gefragt. Von der christlichen Minderheit und der Frage der Sonntagsruhe ganz zu schweigen...

Sonntag, 14. November 2010

Symbolhaft


"You have your camera – take a picture", sagt der junge Palästinenser und zeigt auf die jüdischen Siedlungen inmitten "seiner" Stadt. Keinen Schritt kann man durch die verwaisten Gassen von Hebron/Al-Khalil tun, ohne dass man von arabischen Bewohnern auf die schwierige Situation aufmerksam gemacht wird. Drahtnetze schützen den Soukbesucher vor herabfallendem Müll und Wurfgeschossen, ganz zugemüllt ist das Netz an einigen Stellen. Dann und wann endet eine Strasse in einem Stacheldrahtzaun oder einer Betonabsperrung. Besucher kommen sowieso heute nur noch wenige, zu sehr ist der Name der Stadt mit Gewalt verbunden.
"Please, take a picture and look what's going on", sagt auch der alte Mann in seinem kleinen Laden. Was er erwarte, was wir tun sollen, frage ich ihn. "Nichts. Ihr könnt nichts tun. Wir können nichts tun", sagt er. "Sie wollen uns rausdrängen aus unsrer Stadt, aber wir werden bleiben."

So schön Al-Khalil mit seinen malerischen Gassen einmal gewesen sein muss – heute ist Hebron symbolhaft für den Konflikt in diesem Land: Mauern, Zäune, Wachtürme und viel Propaganda. Die Stadt ist, bis hin zu ihrem Heiligtum, dem Ort, der als Grabstätte der Ort, an dem Abrahams, Saras, Isaaks, Rebekkas, Jakobs und Leas gilt, geteilt. Durch den einen Eingang kommt man, nach diversen Sicherheitskontrollen und sofern man nicht die falsche Nationalität oder den falschen Glauben hat, zur Ibrahimi-Moschee. Keine fünf Meter rechts davon, im selben Gebäude, aber nur durch eine grossen Umweg zu erreichen: Der Eingang zur Synagoge, auch dieser nur für Menschen mit dem "richtigen" Pass und Glaubensbekenntnis. Das Absurde daran: Wir als Ausländer, Fremde, Christen können problemlos beide Seiten besuchen.

Donnerstag, 11. November 2010

Die Kirche

Etwas verwirrt steht die Touristin mit einem zerknitterten Stadtplan an einer Strassenecke im christlichen Viertel. Ob ich ihr irgendwie helfen könne, will ich wissen. Ja, gerne - sie suche die Kirche. Ich muss unwillkürlich grinsen. Welche Kirche denn?, frage ich weiter, mindestens zwei Kirchtürme in Sichtweite. Die christliche, antwortet sie mir, erstaunt über meine Frage. Ich erkläre ihr den Weg zur Grabeskirche, in der Hoffnung, die "richtige" Kirche getroffen zu haben.

Sonntag, 7. November 2010

Solidarität



Gross ist die Solidarität mit den Christen im Irak und den Familien der Getöteten der blutigen Geiselnahme vor einer Woche. Mit scharfen Worten hatten die katholischen Bischöfe des Heiligen Landes die Gewalt verurteilt und zum Gebet für die Opfer aufgerufen. Christen der verschiedensten Konfessionen sind dem Aufruf gefolgt. Die Katharinenkirche in Bethlehem ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Atmosphäre dicht. Die Feier ist geprägt von einer Mischung aus Trauer, Bestürzung und fast schon trotzigem Stolz, der sich auch in den Plakaten beim anschliessenden Trauerzug zum Krippenplatz widerspiegelt.



Donnerstag, 4. November 2010

Kreuzverhör


Meine Arabisch-Vokabelkarten scheinen ein Kontaktmittel par excellence zu sein – zumindest in israelischen Stadtbussen. Diesmal sind es zwei junge Jüdinnen, die sich zuerst (auf Hebräisch) über mich unterhalten und mich dann, auf Englisch diesmal, buchstäblich ins Kreuzverhör nehmen. Warum ich Arabisch lerne, will eine wissen. Ob sie denn kein Arabisch in der Schule lernten – meine Gegenfrage sorgt für einen entsetzten Gesichtsausdruck bei der einen, für einen eher belustigten bei der anderen. Englisch und Hebräisch, das reicht doch wohl.
Zur Sache geht es bei der zweiten Frage: "Was hältst Du von den Juden hier?" Dass ich nicht pauschal über "die" Juden sprechen will, genauso wenig wie über "die" Christen oder "die" Muslime, können sie nicht verstehen. Sicher wisse ich nichts über das Judentum. Der Reihe nach fragen sich mich verschiedene jüdische Feste ab und wollen wissen, ob ich denn auch die Thora studiert habe. Dass die Schriften der Thora auch zur christlichen Bibel gehören, scheint die beiden zu erstaunen – dass Christen die Existenz des Tempels nicht leugnen, noch mehr. Dass ich keine Jüdin sei, sehe man ja, aber ob ich denn an Gott glaube und wie religiös ich sei – die Fragen sind nicht gerade zögerlich! Ein ähnliches Gespräch zwischen Wildfremden im Zürcher Tram wäre wohl undenkbar.
Ich antworte und drehe den Spiess um: Ob sie denn an Gott glauben und religiös sind, gebe ich die Frage zurück. Beide antworten schnell und dezidiert. Aber offenbar habe ich mit meiner Gegenfrage eine mir nicht erkenntliche Grenze überschritten. Grusslos stehen die jungen Frauen auf und gehen in den hinteren Teil des Busses.

(beide Bilder: alte Werbung der Egged-Buslinien; www.egged.co.il)

Mittwoch, 3. November 2010

Scharade Nahost

"... Auch wenn Reden besser ist als Schiessen, so kann Reden doch auch zum Austausch von Floskeln werden. Im Falle des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern handelt es sich eben nicht primär um ein Kommunikationsproblem. Es geht vielmehr um eine Kollision von Interessen, die nur durch schmerzhafte Kompromisse überwunden werden kann. Weder die israelische noch die palästinensische Führung ist aber derzeit in der Lage, einen Durchbruch zu erzielen. Netanyahu und Abbas verfügen nur über schwache Mandate. Der israelische Regierungschef muss einen Koalitionspartner bei der Stange halten, der die Friedensbemühungen torpediert. Und der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert nur über das Westjordanland, seit die Hamas im Gazastreifen eine Nebenregierung aufgebaut hat.
Dass beide Seiten dennoch am Verhandlungstisch zusammenkommen, hat seinen Grund schlichtweg darin, dass sie es sich nicht leisten können, Obama und die Weltmeinung zu brüskieren. Man könnte also das Reden über eine Lösung des Konflikts auch lassen und sich stattdessen um Fortschritte bei kleinteiligen Alltagsproblemen bemühen, was ja auch geschieht, jedenfalls im Westjordanland. Doch damit wiederum kann sich kein amerikanischer Präsident zufriedengeben. Und so spielen alle mit in der grossen Scharade, wieder und wieder."
Publizist Ulrich Speck im "Seitenblick" in der Neuen Zürcher Zeitung (3. November)

Dienstag, 2. November 2010

Wie gelähmt

Wie ein gehetztes Tier irrt der orthodoxe Jude durch das christliche Altstadtviertel - und scheint unendlich dankbar, in mir ein nichtarabisches Gesicht zu entdecken. "Ist das hier arabisch?" fragt er mich, und die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ya'akov ist ganz offensichtlich nicht von hier und hat sich auf dem Weg zur Klagemauer verlaufen. Eigentlich habe ich es eilig, aber so wenig ich seine lähmende Angst nachvollziehen kann, tut er mir doch leid. Er solle sich entspannen und ich könne ihn ein Stück in Richtung Klagemauer begleiten, versuche ich ihm zu erklären. Er spricht kaum Englisch, ich kein Hebräisch, aber schon die Tatsache, dass jemand mit ihm spricht, scheint ihn für den Moment zu beruhigen.
Hier sei alles arabisch und er sei Jude, das sei ein gefährliches Problem, wiederholt er immer und immer wieder. Alle zwei Meter bleibt er stehen und würde am liebsten umkehren oder sich in Luft auflösen. Den ganzen Körper in Alarmbereitschaft, klammert er sich fast an mir fest, und als er nach meiner Hand greift, spüre ich seinen Pulsschlag rasen. Für eine Strecke, die ich sonst in weniger als fünf Minuten gehe, brauchen wir so fast zwanzig Minuten. Die Szene ist so skuril, das ich nicht weiss, ob ich lachen oder weinen soll. Schliesslich findet sich Passant, ausgerechnet ein Araber, der Ya'akov auf Hebräisch Mut zu spricht. Es hält für eine kurze Weile an, aber kurz vor dem Jaffa-Tor - ein paar Meter vor dem "sicheren Boden" - verlässt ihn sein Mut endgültig. Rat- und machtlos lasse ich ihn schliesslich zurück. Immerhin ist es kein Hass, der ihn umtreibt, aber die Angst vor dem Anderen sitzt so tief, dass es schwer ist, sich vorzustellen, wie so ein entspanntes Zusammenleben funktionieren soll.

Zaungast