Schawuot ist "kein dramatisches Fest", schreibt Rabbiner Walter R. Rothschild, und weiter: "Die Torah ist eine Art wöchentlicher 'Fortsetzungsroman' geworden, der in der Synagoge gelesen wird. Schawuot repräsentiert gewissermassen die Zeit, in der wir unser Abonnement erneuern." Schawuot, eines der drei jüdischen Wallfahrtsfeste, hat gleich mehrere Bedeutungen, wenn auch nicht alle biblischen Ursprungs: Erntedank, Tag der Erstlingsfrüchte, heilige Versammlung, Empfang der Zehn Gebote. Traditionell bleibt man die ganze Nacht lang wach, um die Torah zu lesen und zu diskutieren und am Morgen vor Sonnenaufgang das "Höre Israel" zu sprechen.
Schon in den frühen Morgenstunden hört man die Gesänge und Gebete von weitem. Eine Stunde vor Sonnenuntergang strömt es aus allen Richtungen in die Altstadt zur Klagemauer. Der Platz davor ist längst mit Betern und Neugierigen jeglicher Couleur gut gefüllt, und auch auf den umliegenden Dächern und Terrassen sammeln sich immer mehr Menschen. Zwei amerikanische Jungs hinter uns versuchen, die Männer innerhalb des abgezäunten Bereichs vor der Mauer zu zählen, um eine "Schätzbasis" für die gesamte Menge zu finden. Die vier Mädels auf der Linken finden alles einfach nur "amazing", und ein junges Paar flüstert sich Liebesschwüre ins Ohr, bevor der Mann zum Gebet auf die Männerseite entschwindet. Mittendrin in der jüdischen Menge steht, etwas verloren, eine einsame Ordensfrau im schwarzen Habit mit grossem Kreuz auf der Brust und betet ihren Rosenkranz.
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