"Open, closed, open" lautet der Titel eines Gedichtbands von Jehuda Amichai. Die weniger lyrische Übertragung auf eine der heiligsten Stätten der Christenheit müsste gegenwärtig lauten: Closed, open, closed. Eigentlich sollte die Grabeskirche am Sonntagmorgen, zwei Monate nach ihrer Covid-19-bedingten Schliessung, wieder für Beter und Besucher die Türen öffnen. Das verbreitete sich ab Mittwoch via Facebook & Co. auf den inoffiziellen Kanälen, am Samstagmittag gaben es die drei massgeblichen Konfessionen mit einer (rückdatieren) Stellungnahme auch offiziell bekannt. De facto herrschten Verwirrung und Chaos.
Immer um Mitternacht öffnet die Grabeskirche in der Nacht zu Sonntag nach dem Status Quo. An allen anderen Tagen vollzieht sich das althergebrachte Spektakel der Türöffnung mit Leiter, Schlüsselwärter und Aufschliesser um 5 Uhr morgens. In freudiger Erwartung hatten sich also am Sonntag in aller Herrgottsfrühe vereinzelte Gläubige vor den schweren Holztoren eingefunden.
Dahinter, mit ein paar Metern Abstand aufgereiht wie auf einer Perlenkette, ein gutes Dutzend Kolleginnen und Kollegen mit Kameras und Mikrophonen. Am obersten Ende des Kirchplatzes: die diensthabenden Polizisten beim Schichtwechsel. Keiner kann sich erinnern, dass die Grabeskirche je so lange für Besucher von aussen geschlossen war.
Langsam bricht der Tag an, und für die Jahreszeit völlig unüblicher Regen und Wind setzen ein. Nur an der Tür tut sich nichts. Von Polizei, Kollegen und per SMS von Geistlichen im Innern der Kirche kommend, kreuzen sich widersprüchliche Angaben. Um acht Uhr mache sie auf, aber nur für Journalisten, dann wieder heisst es um zehn Uhr, um elf Uhr, nächste Woche.
Viertel vor acht etwa öffnet sich die eine Tür von innen einen Spalt. Eine Gruppe koptische Geistliche taucht ein in das Halbdunkel, die Tür schliesst. Die Gläubigen müssen draussen bleiben. Kurz darauf: erneutes Knarren des Holzes, diesmal öffnen sich beide Flügel von innen. Aufgereiht auch hier: Geistliche und Mönche der verschiedenen Konfessionen.
Die Schwelle in das Gotteshaus bleibt weiter Sperrgebiet, nur eine grössere Gruppe griechischer Geistlicher und Seminaristen darf rein, mit ihnen vereinzelte Laien. Die Tür schliesst sich erneut. Erst kommenden Sonntag, sagt der armenische Father Samuel, werde die Kirche wirklich öffnen. Von einer graduellen Öffnung spricht später der Franziskanerkustos. Immer wieder wird sich am Tag die Türe für einen kurzen Moment öffnen, um offizielle Liturgieteilnehmer der verschiedenen Konfessionen für die Dauer einer Feier zu verschlucken und anschliessend wieder ans Tageslicht zu spülen. Fussvolk und Kameras stehen unterdessen in einem Gemütszustand zwischen konsterniert, amüsiert und frustriert draussen im Regen.