Auf Ostern in Jerusalem folgt bei mir üblicherweise ein kleines Loch.
Runterfahren von der Intensität, die diese Tage am Originalschauplatz
bieten. Dass es diesmal so heftig ausfallen würde, damit hatte ich nicht
gerechnet. Schon mit meiner Erwartung eines entschleunigten Ostern lag
ich daneben. Gefeiert wurde ja trotzdem, nur anders. Die einzigartige
Situation brachte genug Arbeit mit sich - nur ohne die über Jahre
angehäufte Routine.
Sechs Wochen dauern Quarantäne, gefolgt von immer schärferen
Einschränkungen, nun schon an - bis hin zu wiederholten völligen
Ausgangssperren. Die Spannungen sind seither spürbar gewachsen, ebenso
die Präsenz von Militär und Polizei in den Straßen. Die Altstadt - durch
Stadttore einfach zu kontrollieren - gleicht zeitweise einer Festung
aus Checkpoints und mobilen Kontrollteams, die einen alle Weile nach der
Berechtigung des Draußenseins befragen.
So oder so ähnlich müssen sich Untergrundkämpfer im Krieg gefühlt
haben, denke ich, und frage den 96-jährigen Bekannten, der im Holocaust
in der französischen Resistance kämpfte. Am ersten Checkpoint mit
gefälschter Identität hat man noch Angst, sagt er. Sie sinke mit jeder
weiteren Kontrolle - bis man irgendwann vergisst, dass die Identität
gefälscht sei.
Zur Resistance-Kämpferin tauge ich ganz offenbar nicht. Die
ständige Alarmbereitschaft kostet, und bei mir steigt der Stresspegel
bei jeder Kontrolle, ganz ohne dass meine Identität gefälscht wäre. Die
Ausreden, die ich mir für meine täglichen kleinen Fluchten zum Laufen
bereitgelegt habe, sitzen mittlerweile wie ein Mantra auch auf
Hebräisch; manchmal träume ich von ihnen.
Heute jedenfalls brauchte ich sie, war ich doch beim verbotenen
Joggen in eine Straßensperre geraten. Nach einer halben Stunde Befragung
wurde ich mit einer Verwarnung ziehen gelassen. Nicht etwa, weil meine
Ausreden (oder gar mein Hebräisch) so gut waren. Der alphanumerische
deutsche Pass war nicht mit dem numerischen israelischen System
vereinbar, der betreffenden Einsatzkraft der Weg zur nächsten Wache zu
weit.
Der Dämpfer brachte bei mir erste Anzeichen des Lagerkollers mit sich, verschärft durch die immer schwieriger zu ertragende Omnipräsenz der Nachbarn. In der Altstadt leben wir wie in einem Hühnerstall aufeinander; an guten Tagen nicht immer konfliktfrei, in Zeiten wie diesen unerträglich.
Nach den Feiertagen werden sie die Einschränkungen lockern, äußern
viele Freunde immer wieder ihre Hoffnung. Doch Feiertage in einer
multireligiösen Stadt wie Jerusalem scheinen in Corona-Zeiten schlicht
endlos. Auf den Auftakt des jüdischen Pessachfests folgt Ostern nach
Gregorianischem Kalender; folgt der Abschluss von Pessach, folgt
Mimouna, das marokkanische Nachpessachfest; folgt Ostern nach
Julianischem Kalender, folgt Ramadan. Folgt Pfingsten, folgt Schawuot.
Doch soweit mag ich gar nicht denken.
Jeder Feiertag als potentieller Anlass für eine erneute komplette Ausgangssperre, die mit zunehmender Härte umgesetzt wird, während Ministerpräsident, Staatspräsident und Gesundheitsminister die selbst gesetzten Regeln fröhlich und öffentlich dokumentiert brechen. Besagter Gesundheitsminister stellte übrigens das Kommen des Messias in Aussicht, irrte allerdings beim Datum (bis Pessach, oder vergaß er nur das Jahr?).
Unterdessen ist, von der Öffentlichkeit beinahe unkommentiert, das
Mandat des Netanjahu-Herausforderers Benny Gantz zur Regierungsbildung
abgelaufen; hat Staatspräsident Reuven Rivlin das Parlament an seiner
statt mit der Regierungsbildung beauftragt; ist das Land wieder einen
Schritt näher an den vierten vorgezogenen Neuwahlen binnen weniger als
18 Monaten. Aber da sich gegenwärtig schon Tage wie eine Ewigkeit
anfühlen, ist bis dahin ja (gefühlt) noch etwas Zeit.
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