Dienstag, 14. April 2020

Mittendrin und einsam-gemeinsam

Klar ist es ein Privileg, dort sein zu dürfen, wo zu den hohen Feiertagen wohl die meisten Gläubigen gern wären: am Originalschauplatz. Damit ist man jedoch üblicherweise auch immer mitten drin: im Gedränge.
 

Einsam-gemeinsam. So liessen sich stattdessen die vergangenen Tage beschreiben, in die neben dem jüdischen Pessachfest auch die Heilige Woche und das Osterfest nach dem gregorianischen Kalender fielen. Gefeiert wurde, aber eben nicht wie üblich im Gedränge der Menge, sondern in der Kernfamilie, im extremsten Fall allein. Wo die Palmprozession abgesagt wurde, kamen gesegnete Palmzweige in Körben zu den Häusern der Menschen. Wo sie aufgrund von Ausgangssperren nicht zum traditionellen Kreuzweg auf die Via Dolorosa kommen konnten, zog der Pfarrer mit seinem Kreuz durch die engen Gassen des christlichen Viertels, bauten engagierte Gläubige Kreuze in ihren Nachbarschaften auf. Wo das gemeinsame Gebet aus Virenschutz verboten war, versammelten sich Juden zu Pessach in Gebetsschals auf den Dächern ihrer Häuser, um jeder für sich und trotzdem zusammen Gott zu preisen. Wo optische (Über)Reize zur Leere werden, übernimmt das Akustische: Osterhymnen und Torahlesungen sozusagen frei Haus, ein hörbares Add-On zum üblichen Klangteppich aus Glocken und Muezzinen. Dann und wann (nach den Regeln des Status Quo, an denen auch in Pandemiezeiten nicht gerüttelt wird) öffneten sich die Tore der Grabeskirche, um den Erzbischof mit weniger als einer Handvoll Begleitern in die Dunkelheit zu verschlucken. Gesänge und Orgelklänge hinter verschlossenen Türen schufen ein ebenso surreales wie vertrautes Bild.
 

Und ich? Bin immer noch privilegiert. Weil ich zum Arbeiten raus darf, und meine Arbeit auch darin besteht, diese ungesehenen Szenen sichtbar zu machen. Wenn ich aber gedacht hatte, statt Pilgerflut würden Ruhe und Entschleunigung einkehren und ich für einmal nichts machen, noch nicht einmal feiern – dann lag ich falsch. Die Stadt selbst, scheint es, wird zum Gottesdienst.

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