Dienstag, 29. Januar 2013

état de siège

Du ciel. Et d’autres choses aux souvenirs suspendus
Révèlent que ce matin est puissant splendide,
Et que nous sommes les invités de l’éternité.

Mahmoud Darwich, "l'état de siège"

Sonntag, 27. Januar 2013

Don Quichote und TuBischwat

Es scheint ein ewig gleiches Spiel. Don Quichote gegen die Windmühlen. Das Dorf pflanzt. Die Siedler reissen aus. Die Armee schaut zu. Geschichten wie die von Qusra, unweit von Nablus im Norden der Westbank und eingekesselt zwischen der Siedlung Migdalim und dem Aussenposten Esh Qodesh sind nicht selten, tausende von Ölbäumen sind schon Opfer der radikalen Übergriffe geworden. Im besten Fall sind es "nur" die alten Bäume. Im Fall von Qusra war es auch die Moschee, die von den Siedlern angezündet wurde. Und ein palästinensischer Dorfbewohner, der in dem ewigen Konflikt um Grund und Boden getötet wurde.
"Dies ist unser Land, unsere Erde", sagt einer der Dorfbewohner. Ein anderer zieht eine Handvoll Gummigeschosse und eine Tränengaskartouche aus der Tasche. Überbleibsel eines andauernden Kampfes. "Deshalb bin ich hier!" Die Worte stammen aus dem Mund eines jüdischen Israelis. Er ist heute "hier", um zusammen mit einer Gruppe von "Rabbis for human rights" und den palästinensischen Dorfbewohnern Olivenbäume zu pflanzen. Als Zeichen gegen die Gewalt der jüdischen Siedler. "Sie werden wieder kommen und wieder Bäume zerstören, aber wir werden weiterpflanzen!", sagen die Don Quichotes auf beiden Seiten einträchtig. 
Es ist ein seltener und teils amüsanter Anblick. Mit Händen und Füssen läuft die Kommunikation zwischen einem jüdischen Aktivisten und den kleinen Dorfjungs, die den armen Steckling viel zu tief in der Erde versenkt haben. Ein bisschen Show gehört bei allen guten Absichten auch dazu. Etwa das gemeinsame Beweisfoto. Dann und wann wird die Aktion von palästinensischen Aktivisten als politische Bühne gebraucht. Die Forderungen reichen von Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge bis zum Wunsch nach der Rückkehr zu den 1948er Grenzen. Die flammenden arabischen Reden werden, mit leichter Mässigung, ins Hebräische übersetzt. Widerspruch gibt es keinen.

Mittwoch, 23. Januar 2013

Facebook-Rebellion


Als "Real Democracy" (نريد ديمقراطية حقيقة דמוקרטיה אמיתית) benennt sich die palästinensisch-israelische Facebook-Gruppe, die mit einer unkonventionellen Aktion ihren Unmut über die aktuelle politische Lage in der Region zum Ausdruck bringen: Wahlberechtigte Israelis boten ihre Stimmen wahlwilligen Palästinensern ohne israelische Staatsbürgerschaft an. "Wahre Demokratie ist ein Akt zivilen Ungehorsams." Das israelische Parlament ebenso wie die Uno, sagen die Aktivisten, basierten auf Ungleichheit der Bürger und seien damit ungerecht. Israelische Bürger wählten die Regierung, die die Palästineser kontrolliert, diese wiederum dürfen nicht wählen und haben auch keinen Staat. 
(Bilder: Real Democracy)

He had his chance

"I intend to vote the hell out of this election. I intend to vote us the hell out of the occupation. I intend to kick Netanyahu in his kitsch and his slime and his cowardice and the way he'll hold on to the leather chair until we the people pry it from his cold, dead hands. (…) Over two terms, we've had seven long, dark years to get to know Benjamin Netanyahu as a leader. We have learned that he will do anything and everything to stay in power. Including nothing. Especially nothing. He had his chance. He could have done anything he wanted. In May, emerging from mourning his father's death, he forged an overnight deal that gave him a landmark 94-vote majority in the 120-seat Knesset. He could have made history. He could have made peace."
Bradley Burston in seinem Blog-Eintrag "If you're in Israel today, vote as if your life depended on it. It does" (22. Januar) zu den Wahlen in Israel

Wussten Sie, dass...

"... in Israel die Wahlen immer an einem Dienstag stattfinden? Nur am Jom Schlischi, dem dritten Tag der jüdischen Woche, sagte Gott in seinem Schöpfungsbericht zweimal 'Es war gut!' – einmal für die Regierung und einmal für die Opposition."
Das Internetportal "Israel Heute" (23. Januar) mit Randnotizen zur Knessetwahl

Montag, 21. Januar 2013

Freitag, 18. Januar 2013

"Krieg zur Poesie gezähmt"

Ob ich für einen Beitrag in einer deutschen Regionalzeitung in wenigen Worten sagen könne, was es heisst, als Journalistin im Orient zu arbeiten – da also, wo ich nun im dritten Jahr sein darf und eigentlich so schnell auch gar nicht weg möchte: Das fragte mich wenige Tage vor Weihnachten ein deutscher Kollege. "Nahostberichterstattung ist für mich der tägliche Balance-Akt zwischen den Narrativen der verschiedenen Gesellschaften. Es ist die Suche nach den Zwischentönen und Graustufen im oft schwarz-weiss dominierten Monolog der jeweiligen Konfliktpartei." Das schrieb ich jenem Kollegen zur Antwort. "Krieg, der zur Poesie gezähmt wurde" - die spontane Reaktion eines Freundes auf meine Worte überrascht mich. Als "Krieg" hatte ich meine Arbeit bislang nicht betrachtet. Auch "Poesie" klingt nach einem grossen Wort bei dem Gedanken an die vielen Routinemeldungen eines normalen Arbeitstages. Doch die Worte des Freundes bleiben haften.
Eine weitere Antwort auf dieselbe Frage für dasselbe deutsche Regionalblatt lautete übrigens: "Nahost-Korrespondent ist, wenn man in den ersten Wochen seine Vorurteile zum arabisch-israelischen Konflikt bestätigt sieht, sie dann in den ersten Monaten über den Haufen wirft, um am Ende des ersten Jahres verwirrter zu sein als man es bei der Ankunft war." Diese manchmal wohl schmerzhafte, manchmal durchaus erheiternde Einsicht eines noch recht "frischen" deutschen Kollegen bin ich geneigt, auch im dritten Jahr noch zu unterschreiben. Und vielleicht liegt gerade hierin die poetische Seite.

Montag, 14. Januar 2013

Sonnentor

"We, the sons and daughters of Palestine, announce the establishment of the village of Bab al-Shams. We the people, without permission from the occupation, without permission from anyone, sit here today because this land is our land, and it is our right to inhabit it."
Die Freude der palästinensischen "Siedler" auf eigenem Land war wie zu erwarten nur von kurzer Dauer. Schon nach wenigen Stunden ward das Tor zur Sonne wieder geschlossen. Die israelische erklärte das Land zu militärischen Sperrgebiet - die sicherste Methode, die Anordnung des Obersten Israelischen Gerichtshof von Freitag zu umgehen. Dieser hatte festgehalten, der palästinensische Outpost dürfe sechs Tage bestehen bleiben, sofern keine dringenden Sicherheitsargumente gebe.

Samstag, 12. Januar 2013

Ziviler Ungehorsam

Wie heisst es doch so schön: Schlag den Feind mit seinen eigenen Waffen! Gesagt, getan. Als Reaktion auf Bibis E1-Siedlungspläne haben hunderte Palästinenser am Freitag kurzerhand auf dem E1-Land mit der Zeltstadt Bab A-Schams (Sonnentor) die erste palästinensische "Siedlung" eröffnet ...

Donnerstag, 10. Januar 2013

Schnee !!!

Ja, es IST ansteckend. Als könnte man es bis ins Schlafzimmer riechen, werde ich um vier Uhr morgens wach - und draussen herrscht wildes Schneetreiben. Um fünf Uhr hält es mich nicht mehr drinnen, und mit der grösstmöglichen Zahl an Kleidungsschichten, Hut, Regenjacke, Schirm und Kamera bewaffnet ziehe ich los. Ich bin keineswegs die Einzige, die sich um diese Uhrzeit bereits in den Schnee "stürzt": Am Tzahal-Platz und entlang der Stadtmauer zum Jaffa-Tor toben bereits diverse Schneeballschlachten, die Stimmung ist ausgelassen-übermütig - selbst die Polizei winkt fröhlich den Passanten zu.
Erste Runde entlang der Mauer zum Zion, durch das jüdische Viertel an der Hurwa-Synagoge vorbei zur Klagemauer. Es schneit immernoch so kräftig, dass man selbst von der Aussichtsplattform aus Mühe hat, die goldene Kuppel des Felsendoms auch nur zu erahnen. Denen, die um diese Uhrzeit schon unterwegs sind, macht das Schneetreiben aber sichtlich allergrösste Freude... Auf der Männerseite hüpfen ein paar vereinzelte Beter mit ausgebreiteten Armen tanzend durch den Schnee, auf der Frauenseite posieren unterdessen fünf junge Amerikanerinnen in quitschbunten Gummistiefeln fürs Erinnerungsphoto mit Seltenheitswert. Ein bisschen nass und verfroren sehen sie schon aus, richtig zu stören scheint es sie aber nicht (Immerhin: Um drei Uhr nachts sind sie von Kiryat Moshe etliche Kilometer nordwestlich der Jerusalemer Altstadt "zum Schnee schauen" aufgebrochen, zu Fuss, Taxis oder Busse waren "zu dieser Zeit und bei dem Wetter" nicht zu haben.)
Durch die Altstadt wieder bergauf Richtung Jaffa-Tor, noch immer schneit es. An einer versteckten Passage quer durch eine Yeshiva zum Muristan ein kleiner Schock: Dem Security-Typ fehlt jegliche Phantasie sich vorzustellen, was in aller Welt um diese Zeit jemand auf dem Dach seiner Schützlinge zu suchen hat - und kommt mit gezückter Waffe auf mich zu. Zum Glück rutscht er nicht im Schnee aus und identifiziert meine "Waffe" einigermassen schnell als offensichtlich harmlos. Ich darf weiterfotographieren. 
Zweite Runde Richtung Zion. Plötzlich kommt die Sonne raus, und ein strahlend blauer Himmel verzaubert die weisse Landschaft in ein Märchenland. Pater Matthias von der Dormitio lädt mich ein auf das Dach der Rotunde, nachdem mein Nachbar Issa mir vorher schon das Dach des Abendmahlssahls aufgeschlossen hat. Einfach herrlich. Wieder an der Klagemauer angekommen, wage ich etwas, was ich unter normalen Umständen niemals täte: Zugang zur Männerseite, striktest verbotenes Terrain. Aber die Verlockung ist einfach zu gross, und wider Erwarten lässt man mich gewähren. Die Sittenwächter nehmen es an diesem Tag nicht so genau - ob nun, weil wegen der dicken Winterkleidung das Geschlecht nicht so leicht erkennbar ist, oder einfach weil die Laune allgemein zum besten ist. 
Nicht ganz ernstgemeint ist vermutlich das "politische Statement" am anderen Ende des Platzes: Eine grosse Schneefrau ziert den Fraueneingang, das weisse Haupt mit einer Kippa bedeckt und den runden Körper eingehüllt in einen bunten Gebetsschal. Den "echten" Frauen ist das Tragen dieser traditionell männlichen Gebetsutensilien an der Klagemauer verboten. Ein Grund mehr für viele, sich mit der kühlen Dame ablichten zu lassen. 

Zum Spiessrutenlauf wird angesichts des orientalischen Übermuts die Durchquerung so mach einer der engen Altstadtgassen. Jungs haben sich auf den Hausdächern postiert und zielen auf alles, was sich bewegt, mit schweren Schneebällen – kein Entkommen. Die Soldaten, die ansonsten in den Gassen für Ordnung sorgen, wärmen sich unterdessen die eingeschneiten Finger an einem arabischen Kaffee. Wie friedlich diese Stadt doch sein kann ;-)

Mittwoch, 9. Januar 2013

Regen, Regen, Regen

Tagelanger Dauerregen und Sturm plagen uns nun schon seit dem Wochenende (und erfreuen die Wasservorräte der Region). Die Strassen sind gepflastert von Regenschirmleichen, die Anzahl der Ulpan-Teilnehmer hat sich auf ein Minimum reduziert (und da die meisten von uns durchgeweicht sind, bevor sie das Klassenzimmer erreichen, wird rasch die Klimaanlage auf Hochtouren gedreht und das kleine Zimmer zur Sauna verwandelt. Die Luftfeuchtigkeit jedenfalls stimmt!) Die Temperaturen sinken kontinuierlich und mit ihren Schneeversprechen versetzen die Meteorologen die Stadt so allmählich in den Ausnahmezustand ... und JA, es ist ansteckend: Alle paar Minuten hängen wir am Fenster und schauen, ob aus dem Regen und Hagel nicht doch langsam kleine Flöckchen werden!


Sonntag, 6. Januar 2013

Jesuskind küssen



Es ist zwar etwas weniger schönes Wetter als zu Weihnachten Eins (rk) - am Nachmittag beginnt es gar zu regnen -, aber auch zum zweiten Geburtsfest (oder dem ersten in diesem Kalenderjahr, je nach Belieben) ist die Stimmung in Bethlehem bestens. Pfadfinder dudeln und trommeln vor sich hin, dann und wann werden die Strassen für wichtige Gäste gesperrt, und wieder einmal ziehen kirchliche Würdenträger (orthodoxe diverser Couleurs diesmal) feierlich in die Grabeskirche ein. Die palästinensische Polizei überbietet sich an Freundlichkeit und verteilt an die versammelten Journalisten und Fotografen eigens für diesen Anlass gedruckte Weihnachtskarten. Und während sich in den traditionsreichen Gemäuern rechts alles um die Geburt dreht, ist man in der benachtbarten Katherinenkirche links schon ein paar Wochen weiter im (liturgischen) Kalender und bei Epiphanie angekommen.



Und da auch rund um die Geburtskirche jedwede Handlung eisern dem Status Quo zur Befriedung der diversen Beteiligten folgt, ist die Choreographie der zeitgleichen Feiern der verschiedenen Konfessionen mit fast deutsch anmutender Präzision geregelt: Erst wenn die griechisch-orthodoxe Liturgie des Heiligen Abends endet, dürfen die Lateiner in die Grotte – laut Zeitplan ist das von 16 Uhr bis 16.25 Uhr. Runter dürfen sie in Geleit zweier Griechen und eines Armeniers, während ein weiterer armenischer Vertreter nebst Ehrengarde den nördlichen Ausgang besetzt. Ähnliches Spiel gilt für die Kopten, die ebenfalls Weihnachten Zwei feiern. Der Kopte hat auf dem Teppich zu stehen, den die Griechen ihm vor den Altar bereitet haben, während es den Syrern in diesem Zeitraum untersagt ist, sich im Grottentreppenhaus aufzuhalten. Und sind die Griechen fertig mit der Beräucherung der Grotte, gefolgt von den Syrern und den Kopten, dürfen die Armenier am Hauptaltar loslegen. Und so weiter. Business as usual. Damit sich die Status-Quo-Wächter nicht irren ist alles in mehrseitigen Din-A-4-Heften niedergeschrieben.
Ebenfalls alljährlich sind die kleineren oder grösseren Verspätungen, die das komplexe Gefüge zumindest im Blick auf den zeitlichen Ablauf empfindlich zu stören drohen. Aber schliesslich ist hier im Orient dann doch nichts so deutsch, wie es auf den ersten Blick ausschaut. "Wir müssen noch etwa fünfzehn oder zwanzig Minuten warten, bis die Gebete von XY beendet sind", heisst es das ein oder andere Mal in der Katherinenkirche. "In dieser Zeit wird uns der Chor ein paar Weihnachtslieder singen." Und zum gefühlt zwanzigsten Mal seit dem 24. Dezember singen wir die sieben Strophen von "Puer natus". Business as usual. Nur der Türwächter schaut beunruhigt auf seine Uhr. Um halb sechs muss er die Kirche schliessen. Status Quo oder nicht.
Irgendwann ist es schliesslich doch soweit. Die Grotte ist frei für die lateinische Prozession (der Chor singt unterdessen, wie könnte es anders sein, Strophe eins bis sieben, gloo-o-o-o-o-oo-o-o-o-o-oo-o-o-o-o-oo-riaa in excelsis deo). Das liebe Jesuskindlein, ein fast lebensgrosses Holzbaby auf güldenem Thron und in bestickte Mäntelchen gehüllt, wird durch die verzweigten Kirchbauten zu seiner Geburtsstätte in die Grotte getragen. Und wieder zurück. Business as usual. Nach feierlichem Abschluss der katholischen Vespern (und bevor in Erwartung der wichtigen Ehrengäste der orthodoxen Weihnacht der Kirchplatz von den Sicherheitskräften erneut gesperrt wird, wird das Kindlein zur allgemeinen Verehrung ausgesetzt. In nicht endenwollendem Strom strömen die versammelten Gläubigen vor den Altar, um, mehr oder weniger inbrünstig, die barock anmutende kleine Gestalt mit Küssen und Hätscheleien zu versehen. Ein Anblick, der mir auch nach vier Jahren irgendwie fremd bleibt.