"Ein Taxi für 8.30 bitte, in den Süden, um jemanden zur Messe zu bringen. Der Fahrer soll warten, nach der Messe geht es wieder zurück."
"Drei Stunden warten?"
"Neeeeein, eine halbe Stunde. Lateinisch, nicht orthodox...!"
"Die Leute hier sind wirklich naiv. Die glauben wirklich, dass sich das Osterfeuer in der Grabeskirche von selbst entzündet."
"Naja, das ist das, was auch die Leute in Jerusalem glauben."
"Ich meine, die Kirche hier lässt sie noch in dem Glauben ...!"
"Naja, das ist die Tradition vom Feuerwunder, wie sie auch in Jerusalem überliefert wird."
"Es gibt sogar Leute hier, die behaupten, ein israelischer Polizist durchsuche die Sachen des Patriarchen, bevor er in das Grab darf..."
"Naja, tatsächlich präsentiert sich der Patriarch vor versammelter Mannschaft mit leeren Händen, bevor er das Grab betritt..."
"Ok, leere Hände ... aber das Feuerzeug in der Tasche!"
(Bild: Reuters)
Ein Staat für alle zwischen Mittelmeer und Jordan - so lautete Mittwoch die Forderung von führenden Fatah-Köpfen. Und so könnte die Flagge aussehen ...
"Du kommst morgen wieder, oder? Willst Du nicht mit uns frühstücken?" Bevor ich antworten kann, enspinnt sich eine Diskussion zwischen meiner Begleiterin und dem Einladenden, auf armenisch, also für mich unverständlich. "Keine gute Idee", grinst mich meine Begleitung an, "wir essen eine Menge komische Sachen..." Achselzucken meinerseits, Ermutigung beim potentiellen Gastgeber. "Rohes Fleisch zum Beispiel." Erneutes Achselzucken. "Rohe Leber." "Ich komme gern!" "Aber dazu musst Du Arak trinken. Trinkst Du Arak?" Kopfnicken meinerseits, freudiges Lächeln bei meinem Gegenüber. "Ok, ahlan w sahlan - morgen früh um halb neun ...!"
"Und dann hat er mich gefragt, warum in aller Welt wir bei der Messe Wasser in den Wein schütten. Das schmecke doch nicht. Arak mit Wasser, das ginge ja noch, aber Wein ...?" "Naja, und der klare Arak wird durch die paar Tropfen klares Wasser plötzlich weiss, da hätten wir dann auch das Wandlungswunder..."
Es war das Glas mit dem "vin cuit", dass die Aufmerksamkeit bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen auf sich zog. Gekauft in der Schweiz, um via Frankreich, Israel, Zypern als Gastgeschenk in den Libanon exportiert zu werden. Das Mitbringsel ist rasch erklärt ("so 'ne Art Silan, Dattelsirup, nur aus Birnen"), aber leider taucht beim Öffnen des Rucksacks auch meine arabische Bibel auf. Und die ist schon viel verdächtiger ... Da ich mich in Hebräisch versuche, ist mein Vokabular "leicht" reduziert."So was wie die christliche Torah", versuche ich mich, "nur eben auf Arabisch". Wieso, weshalb, warum. Ich schlage mich wacker (mehr wegen der Sprache als der Schwere der Frage). Ich lebe immerhin inmitten von arabischsprachigen Christen und bin als Christin Teil dieser Gemeinschaft an dem Ort, an dem ich lebe - da kann es ja nicht schaden, auch die Sprache ein bisschen zu verstehen... Meine Gesprächspartner teilen meine Einschätzung nicht unbedingt, aber ganz unlogisch scheint sie immerhin auch nicht zu klingen in ihren Ohren. Die Befragung zieht sich auf diese Art noch eine Weile fort, dann heisst es: "Lies mal". Ziemlich stotternd lese ich der kleinen Gruppe um mich herum also vom "Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams" ... Zur Sicherheit wird dann aber doch noch ein des Arabischen mächtiger Landsmann gerufen, bevor ich meine Bibel wieder im Gepäck verstauen darf, zu den 24 von Farid liebevoll einzeln eingepackten Rosenkränzen mit Jerusalemkreuz, die glücklicherweise ebenso wie das französische Libanesisch-Lehrbuch vor lauter Bibelstunde nicht weiter Aufmerksamkeit erregt haben...
Was für ein Wochenende. Die Bandbreite des Erlebten könnte durchaus einen Monat füllen. Das alles in einem langen Wochenende ist so wohl nur in Jerusalem möglich. Fusswaschungsliturgie (griechisch-orthodox) am Donnerstag, inmitten der Massen, die sich auf dem Platz vor der Grabeskirche drängen (oder sich durch die engen Gassen ihren Weg dorthin zu bahnen versuchen), gefolgt von einem Besuch in Bethlehem. Auch dort Fusswaschungen, diesmal armenisch, und kontrastreicher zur morgendlichen Grossveranstaltung kaum zu denken. Zwölf Männer sitzen in einer Reihe, in ihrer Mitte der Geistliche, um sie herum eine für die sonst zumindest von Touristen und Pilgern gut besuchte Kirche geradezu erschreckende Leere.
Das Programm der Chorprobe am Abend ist jiddisch-hebräisch, die Nacht kurz. Am Morgen geht es weiter mit den Karfreitagsprozessionen – mehrheitlich in ethnischen Gruppen oder Grüppchen ziehen die Pilger von früh über die Via Dolorosa, ihre Kreuze reichen von selbstaneinandergenagelten, rauen Balken bis zu kunstvoll verzierten Exemplaren, und nicht ganz durchschaubar ist für den Aussenstehenden, nach welchen Kriterien wer wieviele Kreuze in den Händen hält. Skurril auch manch Szene am Wegrand, wenn etwa der orthodoxe Jude auf dem Weg zur Klagemauer sich beim Passieren die Augen zuhält, um bloss nicht durch so viele Kreuze (oder vielleicht nicht ausreichend verschleierte russische Ordensschwestern?) in spirituelle Nöte zu geraten. Eine kleine Verschnaufpause nach dem Gedränge mit Potential zur Massenpanik, und weiter geht es in die verschiedenen kleinen Tattoo-Studios, die sich für die drei heiligen Tage in der Altstadt eingenistet haben. Ihre Kunden: Pilger aus aller Welt, die meisten von ihnen in fortgeschrittenem Alter, und schriebe man ihre Herkunft und ihre aktuelle Bleibe auf, bekäme man "einen detaillierten Atlas der arabisch-christlichen Emigration", wie es die Kollegin so treffend formuliert – die deutsche Jordanierin, die irakische Schwedin, der Libanese mit syrisch-iranischen Vorfahren, der heute ebenfalls in Skandinavien lebt ... Es folgt ein Schabbatessen mit Freunden und dem Vortrag über die chemischen Vorgänge im Menschen, wenn er sich verliebt.
Auf dem Rückweg spät in der Nacht ist die Altstadt bereits abgeriegelt – irgendwie wollen die erwarteten 30.000 Pilger ja schliesslich sicher kanalisiert werden. Mit einigem Insistieren gibt es dann schliesslich doch Einlass, es folgt eine weitre kurze Nacht, denn für das Heilige Feuer am Samstagmittag muss man früh aufstehen – und lange warten.
Die eindrückliche Feier ist anstrengend, nicht zuletzt physisch, und zum Glück reicht die Zeit zwischen Feuer und dem nächsten Programmpunkt noch für eine schnelle kalte Dusche. Ein junger Kameruner Priester verteidigt seine Doktorarbeit – und die halbe afrikanische Bevölkerung scheint aus allen Ecken des Landes angereist, um den Anlass gebührend und lautstark-bunt zu feiern. Auf dem Rückweg nach Hause noch rasch einen Besuch in der Grabeskirche, die zu dieser späten Stunde den Äthiopiern zu gehören scheint. Tags drauf sind es wiederosteuropäische Pilger, die die Mehrheit in dem Gotteshaus stellen. Während wir zu einer Taufe bei den Melkiten eingeladen sind. Der Vater des kleinen Täuflings ist orthodox, die Mutter römisch-katholisch.
"Nationalism is a human illness. When the religion bug
is added, the disease becomes metastatic. Before we can realize utopian visions
we have to bring the “peoples” back to history. To get rid of the nationalism
disease, you have to develop it and then recover from it. The path to recovery
is the establishment of two separate national entities. We could start by
neutralizing the religious virus of Jerusalem. This demon should be corked in a
bottle."
Fünf Wochen
ist es her, das "wir Katholiken" Ostern gefeiert haben, Weihnachten
steht fast schon wieder vor der Tür (das scheinen auch meine Nachbarn zu
finden, die an diesem Wochenende im Wechsel Auferstehungshymnen und
Weihnachtslieder abspielen, aber naja, schliesslich ist das "Mysterium immer
ganz"). Zeit für Ostern Nummer zwei, eine ganze Spur
grösser, was den Andrang und die Sicherheitsvorkehrungen angehen, und laut dem julianischen
Wochenende dieses Jahr halt erst jetzt, fünf Wochen später. Die Jerusalemer
Altstadt spricht auf einmal griechisch oder russisch, und der Besucherstrom –
für die drei österlichen Tage mit tatkräftiger Beihilfe der israelischen
Sicherheitskräfte – macht aus den engen Gassen einen wahren Hindernislauf. Schon
in der Nacht vom Freitag gleicht die Altstadt einem Hochsicherheitstrakt. Die
Zuwege sind gesperrt, und es kostet mich eine gute Viertelstunde Diskussion mit
den freundlichen Polizisten an der Absperrung kurz vor meiner Wohung, damit sie
mich um halb zwei in der Nacht auch tatsächlich zu meinem Bett vorlassen – der deutsche
Pass ist zwar schön und gut, aber meine hiesige Adresse steht halt nicht drin ...
Um 7 Uhr am
nächsten Morgen muss aus dem Haus, wer das "Privileg" hat, über eine
Pressekarte und entsprechende Akkreditierung zu verfügen, um zum
Hauptspektakel, der Zeremonie des "Heiligen Feuers" am Samstagmittag
in die Grabeskirche vorgelassen zu werden. Genaue Zahlen gibts zwar nicht, aber
die Polizei geht von ca 20-30.000 Besuchern allein zu dieser Partie vom Triduum
II; aus Sicherheitsgründen wird aber nur ein knappes Drittel den Weg durch die
diversen Abschrankungen bis in die Kirche machen. Die Presse hat
"Glück": Mit persönlichem Geleit geht es vom Zionstor zur
Grabeskirche (dumm nur, wenn man nahe der Grabeskirche wohnt und vorher auf der
Strecke zum Treffpunkt am Zionstor ein gefühltes Dutzend Checkpoints passieren musste). Dann heisst
es warten. Auf den Einlass. Auf den Beginn der Feier. Auf das Feuer. Als schliesslich
nach Stunden des Wartens Feuer aus dem Grab in den Kirchenraum gereicht wird,
verbreitet es sich in Sekundenschnelle durch die Kirche und über den Kirchplatz
in die ganze Stadt. Und zieht selbst den erschöpftesten Beobachter schlicht in
seinen Bann.
„gottes ist der orient! gottes ist der okzident!“ diesem satz goethes fügt der ostwestliche flüchtling seinen profanen satz hinzu:
das niemandsland dazwischen ist unseres.
wir können es nur mit liebe befruchten.
Saïd, brief an europa