Montag, 6. Mai 2013

Fliegende Szenenwechsel

Was für ein Wochenende. Die Bandbreite des Erlebten könnte durchaus einen Monat füllen. Das alles in einem langen Wochenende ist so wohl nur in Jerusalem möglich. Fusswaschungsliturgie (griechisch-orthodox) am Donnerstag, inmitten der Massen, die sich auf dem Platz vor der Grabeskirche drängen (oder sich durch die engen Gassen ihren Weg dorthin zu bahnen versuchen), gefolgt von einem Besuch in Bethlehem. Auch dort Fusswaschungen, diesmal armenisch, und kontrastreicher zur morgendlichen Grossveranstaltung kaum zu denken. Zwölf Männer sitzen in einer Reihe, in ihrer Mitte der Geistliche, um sie herum eine für die sonst zumindest von Touristen und Pilgern gut besuchte Kirche geradezu erschreckende Leere.
Das Programm der Chorprobe am Abend ist jiddisch-hebräisch, die Nacht kurz. Am Morgen geht es weiter mit den Karfreitagsprozessionen – mehrheitlich in ethnischen Gruppen oder Grüppchen ziehen die Pilger von früh über die Via Dolorosa, ihre Kreuze reichen von selbstaneinandergenagelten, rauen Balken bis zu kunstvoll verzierten Exemplaren, und nicht ganz durchschaubar ist für den Aussenstehenden, nach welchen Kriterien wer wieviele Kreuze in den Händen hält. Skurril auch manch Szene am Wegrand, wenn etwa der orthodoxe Jude auf dem Weg zur Klagemauer sich beim Passieren die Augen zuhält, um bloss nicht durch so viele Kreuze (oder vielleicht nicht ausreichend verschleierte russische Ordensschwestern?) in spirituelle Nöte zu geraten. Eine kleine Verschnaufpause nach dem Gedränge mit Potential zur Massenpanik, und weiter geht es in die verschiedenen kleinen Tattoo-Studios, die sich für die drei heiligen Tage in der Altstadt eingenistet haben. Ihre Kunden: Pilger aus aller Welt, die meisten von ihnen in fortgeschrittenem Alter, und schriebe man ihre Herkunft und ihre aktuelle Bleibe auf, bekäme man "einen detaillierten Atlas der arabisch-christlichen Emigration", wie es die Kollegin so treffend formuliert – die deutsche Jordanierin, die irakische Schwedin, der Libanese mit syrisch-iranischen Vorfahren, der heute ebenfalls in Skandinavien lebt ... Es folgt ein Schabbatessen mit Freunden und dem Vortrag über die chemischen Vorgänge im Menschen, wenn er sich verliebt.
Auf dem Rückweg spät in der Nacht ist die Altstadt bereits abgeriegelt – irgendwie wollen die erwarteten 30.000 Pilger ja schliesslich sicher kanalisiert werden. Mit einigem Insistieren gibt es dann schliesslich doch Einlass, es folgt eine weitre kurze Nacht, denn für das Heilige Feuer am Samstagmittag muss man früh aufstehen – und lange warten.



Die eindrückliche Feier ist anstrengend, nicht zuletzt physisch, und zum Glück reicht die Zeit zwischen Feuer und dem nächsten Programmpunkt noch für eine schnelle kalte Dusche. Ein junger Kameruner Priester verteidigt seine Doktorarbeit – und die halbe afrikanische Bevölkerung scheint aus allen Ecken des Landes angereist, um den Anlass gebührend und lautstark-bunt zu feiern. Auf dem Rückweg nach Hause noch rasch einen Besuch in der Grabeskirche, die zu dieser späten Stunde den Äthiopiern zu gehören scheint. Tags drauf sind es wiederosteuropäische Pilger, die die Mehrheit in dem Gotteshaus stellen. Während wir zu einer Taufe bei den Melkiten eingeladen sind. Der Vater des kleinen Täuflings ist orthodox, die Mutter römisch-katholisch.

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