Minutenlanges
Warten und Zittern, dann: der Name. Der Bruchteil einer Sekunde, und Palästina explodiert
im Freudentaumel. Mohammed Assaf heisst das neue "Arab Idol" – und der
neue Nationalheld, der Gaza, die Westbank und die ganze arabische Welt in
seinen Bann gezogen hat. Binnen weniger Minuten füllen sich die Strassen in
Ramallah mit Autokorsos und Menschenmassen. Ähnliche Szenen in Gaza, Bethlehem,
Nazareth. Die Mehrheit auf zwei Beinen ist männlich und stolz. Auf vier Rädern
(und sich in teils abenteuerlichsten Posen aus Fenstern und Türen der
Blechkisten reckend), mit Fanfahnen oder auch mit Pali-Tuch und –Flagge bewaffnet:
Ganze Familien, vom Kleinkind bis zur Grossmama, und von überall skandiert es
in orientalisch-ohrenbetäubender Stärke "Assaf. Assaf. Assaaaaaaaaf!"
Stimmung wie nach dem Sieg der Nationalmannschaft im WM-Finale.
Mohammed
Assaf. Er ist jung, er ist hübsch, unschuldig und hat eine Wahnsinnsstimme. OK.
Seine Geschichte ist die von Aschenbrödel. Vom Tellerwäscher-Millionär. Kind
einer armen Familie, im Flüchtlingslager Khan Younis im Gazastreifen aufgewachsen und bis vor kurzem unbekannter Sänger auf Hochzeiten in seinem Umfeld. Über x
Hindernisse hat er es buchstäblich in letzter Sekunde – als Letzter – zum Vorsingen
nach Beirut geschafft, schon unter normalen Umständen kein leichtes
Unterfangen. Bis dahin schöne Geschichte. Ein modernes Märchen.
Doch Mohammed Assaf ist mehr. Ohne Titel. Erst recht mit. Er ist eine "Rakete der Liebe
und des Friedens, die über die Städte Palästinas fliegt, Jerusalem, Nazareth,
Gaza und Ramallah". Sagte Jury-Mitglied Raghreb Alama. Und traf es damit
auf den Punkt. Der kleine Junge mit der grossen Stimme ist das einende Symbol
und die Identifikationsfigur, nach der sich ein im Innern zerstrittenes und
durch die äussere Realität buchstäblich zerrissenes Volk so sehnte, dass es
sich in gänsehautprovozierenden Freudenfeiern entlud. Oder, wie es "This
week in Palestine" formuliert: Assaf hat die dritte Intifada lanciert.
Eine Intifada gegen die Depression, für Hoffnung und Stärke und für den Willen,
die Blockaden zu durchbrechen und mit der Welt in Kontakt zu treten.
Klar, dass
es jetzt auch andere Interessenten an diesem Sieg gibt. Noch auf der Bühne wurde
Mohammed Assaf von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zum
"Goodwill-Ambassador" Palästinas ernannt, Diplomatenpass inklusive. Es
folgte der Titel als UNRWA-Jugend-Botschafter. Und Hamas-Vertreter, anfangs
üperhaupt nicht begeistert von den Ambitionen des jungen Gazawiten, lobten seinen
gottesfürchtigen Kniefall nach der erlösenden Nachricht über den Titelgewinn.
Der jubelnden Masse ist das egal. Für sie ist Assaf "die goldene Stimme,
die Palästinas Stimme ins Universum tragen wird". Sein Sieg ist ihr Sieg,
vom jungen Sänger einem Volk gewidmet, dass "seit 60 Jahre unter der Besatzung
leidet". Es ist der Grund, "die Keffiyeh hoch" zu halten.