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© Quique Kierszenbaum
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Ein Vegetarier, der die Argumente der Tierrechtsaktivisten für
dehumanisierend hält. Aktivist gegen die israelische Besatzung, aber
"weder pazifistisch noch pro-palästinensisch". Ein "orthodoxer
Jude", der "in der modern-säkularen Welt des 21. Jahrhunderts"
lebt. "Professionell schizophren", lautet die leicht ironische
Selbstbeschreibung Yehuda Shauls. Der "Breaking the
Silence"-Mitgründer passt nicht so ohne weiteres in eine Schublade. Ausgerechnet
einen Ort, an dem es "kein Grau" gibt, ist für ihn der Ort, an
dem "beide Teile meiner Identität zusammenkommen im gleichen Kampf":
Hebron, Hotspot des israelisch-palästinensischen Konflikts und Lehrstück der
israelischen Besatzungspolitik.
Hebron. Die grösste palästinensische Stadt in der Westbank
ist eine geteilte Stadt. 190.000 Palästinenser, 850 israelische Siedler, 650
Kampfsoldaten zu deren Schutz. 1.800 geschlossene palästinensische Geschäfte in
der Altstadt und für Palästinenser nicht oder nur eingeschränkt betretbare
Pufferzonen. H1 und H2 lautet technisch steril seit den Oslo-Abkommen das
Konstrukt: H1 umfasst 80 Prozent der Stadt. H2 ist unter vollständiger
israelischer Kontrolle und umfasst alles, "was Hebron zu Hebron macht: die
Patriarchengräber, die Siedlungen, die Altstadt".
"Wir haben Zeit?" Die Frage ist rhetorisch, Yehuda
ist vorbereitet. Rot, orange, violett markieren die Farben auf der Karte die
Segregationslinien einer Geisterstadt. "Wer verstehen will, wie die Stadt
heute aussieht, muss zurückschauen." Jehuda skizziert in grossen Schritten
ihre Geschichte. Da sind die Patriarchengräber, Mütter und Väter beider
Nationen in relativ friedlicher Koexistenz. Dann kam das Massaker von 1929, das
der organisierten jüdischen Gemeinschaft in Hebron ein Ende bereitete – die
Grundlage der Siedlungen: "Der Wiederaufbau einer jüdischen Gemeinschaft
war eine Frage der nationalen Ehre."
Yehudas Formel ist einfach und ein bisschen zynisch. Wer
sagt, Hebron sei ein Extremfall, hat nichts verstanden. Wer aber Hebron
verstanden hat, hat das Einmaleins der israelischen Besatzung verstanden:
"Hebron ist ein Geschenk Gottes, ein Mikrokosmos. Wenn Du ihn einen halben
Tag lang durchwanderst, lernst Du, wie wir die Westbank kontrollieren: Teile
und herrsche. Separation. Siedlungen. Einschüchterungen. Den Fuss auf dem Land,
wie jede andere Kolonialmacht."
Yehuda Shaul hat Hebron oft durchwandert. Zuerst als Soldat
zum Schutz der Siedler. Später dann mit israelischen und ausländischen
Besuchern im Gefolge, in der Überzeugung, dass "dies enden sollte, nicht
nur wegen meiner Flagge, sondern auch wegen dem, was es dem Judentum
antut". "Wir von Breaking the Silence glauben, dass unsere Armee
ihrem Namen "Verteidigungskräfte" gerecht werden sollte, statt
Instrument der Unterdrückung und Besatzung zu sein. Wir glauben an dieses
komische Konzept, dass Menschen sich selber regieren und nicht durch eine
fremde Militärmacht beherrscht werden sollten. Leider gilt das in diesem Teil
der Welt als sehr radikale Idee." Das T-Shirt, das der Hüne mit dem
dichten Bart an diesem Tag trägt, ist leuchtend orange, etwas weniger grell nur
als das der Siedler.
Hebron, sagt Yehuda, "ist ein Ort der Wahrheit, an dem
es kein Grau gibt". Diese Wahrheit macht nur Sinn für den, der "mit
den Augen der israelischen Autoritäten" schaut. "Nur aus dieser
Perspektive heraus ist es egal, wer am Anfang der Gewalt steht." Dann
nämlich, wenn es zwei unhinterfragte Prämissen gibt: "Wir haben
Siedlungen. Und zweitens: Die Siedler sind israelische Bürger und verdienen ein
Leben wie jeder andere israelische Bürger Also bedenken wir die Zahl der
Soldaten im Einsatz, die Gefahren. Nur eins bedenken wir nicht: 190.000
Palästinenser. Entweder glaubst Du, dass wir wegen der Patriarchengräber und
1929 tausende von Menschen auf ewig ohne Würde und Rechte halten dürfen. Oder
nicht."
Yehuda Shaul glaubt nicht Er stellt Fragen. Spricht von
Rassismus und überschrittenen roten Linien. Von militärischer
Segregationspolitik, Siedlergewalt und fehlender Strafverfolgung. Von Israels
Regime in Hebron als "moralische Abscheulichkeit" und "schwarzem
Fleck auf der Seele Israels und des Judentums". "Die
Siedlungen", sagt er "müssen evakuiert werden. Das heisst nicht, dass
ich glücklich bin. Aber auf einer Skala der Gerechtigkeit ist eine andauernde
militärische Besatzung von Millionen von Menschen viel schlimmer, als wenn mir
nicht erlaubt wird, morgen die Patriarchengräber zu besuchen".