Sonntag, 20. Dezember 2015

Die einzige Halbdemokratie des Nahen Ostens

*Von Avraham Burg 

Nehmen wir einmal an, alles, wovon die Verfolger der Rechten träumen, würde wahr: Es gäbe keinen „New Israel Fund“, niemand bräche irgendeine Stille, Gideon Levy verstummte und Amira Hass verschwände. „Haaretz“ ginge den Weg von „Davar“, „Hadashot“ und „Al Hamishmar“ – R.I.P. Meretz stürbe. Ayman Odeh würde aktiv zum Schweigen gebracht. Herzog und seine Labor-Partei setzten ihr geschwätziges Schweigen fort und Rubi Rivlin hätte keine Meinung zu was auch immer. Wahrhaft messianische Tage! Vom Morgengrauen bis spät in die Nacht würden wir auf das bunte ideologische Spektrum hören: von Erel Segal, Irit Linor, Hagai Segal, Sheldon Adelson, Baruch Marzel, Arie und Karni Eldad, Yoaz Hendel und Israel Harel. Niemand würde sie daran stören, Israel zu einem wahrhaft Ausgestossenen zu machen und sich irgendwie verfolgt und arm zu fühlen. Denn diese seltsame Welt – demokratisch und rechtsstaatlich – würde uns aus seiner Mitte auskotzen.

Liebe Leser, dies ist kein Alptraum eines verfolgten Linken. Dies ist die aktive Vision vieler, vielleicht gar der Mehrheit der Vertreter und Abgesandten der Rechten. Und ich sage: Nur zu! Es ist wichtig, dass dies geschieht. Haltet sie nicht auf, im Gegenteil. Nehmt unseren Segen und legt los, mit allem, was ihr habt. Ihr herrscht, ihr seid die Macht, macht es, so sehr ihr es wollt. Vielleicht werden wir uns eines Tages an der Wahlurne treffen (sofern es noch welche gibt). 

Seit vielen Jahren kann die Rechte tun, was immer sie will, in den besetzten Gebieten delirieren, annektieren und diskriminieren, weil die dumme Linke alle ihre Untaten für koscher erklärte. Als sie auf den Hügeln bauten, das Land beraubten und die ursprünglichen Bewohner der besetzten Gebiete vertrieben, liefen wir durch die ganze Welt und beruhigten alle Israel-Unterstützer und uns selbst: Es ist nur temporär, versprachen wir. Nur ein Moment und etwas wird passieren. Clinton wird kommen, Kerry wird zurückkehren, Obama wird eine Rede halten, Netanjahu ist in Bar Ilan. Während also die Rhetorik von der Zwei-Staaten-Lösung in der Welt der Worte gewonnen hat, beherrscht die Besatzungsrechte die Welt der Taten. Und sie ist immer noch sehr hungrig, sie will mehr, sie will sich alles einverleiben. Der Skorpion will den Frosch töten, der ihn wieder und wieder zur anderen Seite des Teiches getragen hat. Es ist an der Zeit, dass alle Prinzen der Linken und ihre Frösche aufhören, sich in den Dienst des Selbstzerstörungsmechanismus der Rechten zu stellen, die in diesen Tagen in Israel mit voller Kraft aktiviert ist. Wir müssen klar und deutlich bekennen: Die rechte Realität ist nicht befristet, die Besatzung ist für immer, und Israel ist ein Staat mit zwei Regimes, gut und wohlwollend für die Juden, schlecht, heimtükisch und diskriminierend für die Palästinenser. Von nun an ist es kein Kampf um die Illusion eines möglichen Friedens an der nächsten Ecke, um eine imaginäre Situation, in der aus dem Nichts heraus die rettende Trennungsvereinbarung geboren wird. Es ist ein Kampf um Leben und Tod zwischen dem Regime eines schlechten Staates und einem Staat, der gut ist für beide Völker.

Die israelische Linke (von der nicht ganz klar ist, ob es sie überhaupt gibt) muss sagen: Wir haben es satt, das kleine Feigenblatt für Eure grossen Eier zu sein. Wir werden sehen, wie Ihr ohne unseren Schutz in die Welt hinausgeht. Wir werden sehen, wie ihr Israel als die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ beschönigt – die Demokratie einer Stimme, einer ethnischen Rasse, einer Religion, eines Ministerpräsidenten, einer öffentlichen Meinung. Es gibt solche Modelle in der Welt, Nord-Korea zum Beispiel. Die Haltung der Welt ist entsprechend. Ihr alleine seid verantwortlich und Ihr werdet verantwortlich sein für die Resultate. Und wir müssen dieser schlaffen Linken sagen: Fangt gar nicht erst an mit all diesen dummen, hohlen Argumenten von Verantwortung, und „wir können den Staat nicht aufgeben und vernachlässigen“ und allen diesen Argumenten, die schlussendlich dazu führen, dass Ihr am Regierungstisch sitzt. In einer harten Politik wie der unseren brauchen wir zwei Tugenden, die Ihr beide nicht besitzt. Die erste lautet: Eine vollständige, umfassende Alternative zu bieten und mit aller Kraft, Verbissenheit und Leidenschaft für sie zu kämpfen. Zweitens: Prozesse und Dynamiken reifen und zu einem Ende kommen zu lassen. Niemand hat Euch zu den Erlösern und Rettern der Rechten ernannt! Überlasst dem Bibismus seinen Lauf und er wird von alleine fallen. Er wird in Eure Hände fallen, wenn Ihr mit einer angemessenen Alternative parat steht. 

Jeder muss das Offensichtliche verstehen. In Israel herrscht ein sehr mächtiger kalter Bürgerkrieg zwischen „Im Tirzu“ und „Breaking the Silence“. Erstere sind an der Macht, und trotz ihres Gejammers sind sie die korrupte, barbarische Besatzungsmacht. Demgegenüber muss „Breaking the Silence“ eine starke politische Bewegung werden, die sich nicht nur mit dem schrecklichen Mikrokosmos der Shuhadda-Strasse in Hebron befasst, sondern die das Schweigen über die israelische Täuschung vollständig bricht. Die israelische Demokratie stirbt, und ihre gegenwärtige Lage ist nur eine halbe Demokratie – die einzige Halbdemokratie im Nahen Osten. Dies ist nicht genug. Ob wir schweigen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht, diese Tage sind bereits da und die Zeit für den Kampf gekommen – für eine sakulare Demokratie für alle ihre Bürger, in welcher Religion völlig vom Staat getrennt ist, in welcher die öffentlichen Ressourcen fair und transparent zwischen allen aufgeteilt werden, in welcher verfassungsmässig garantierte volle Gleichheit zwischen Männern und Frauen, Mehrheit und Minderheit, Religiösen und Säkularen herrscht und die Frieden sucht, grosszügig und nicht besetzend und nicht annektierend.

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