Dienstag, 29. Mai 2012

Präsidentenbesuch

"Das ist schon der dritte deutsche Bundespräsident, denn ich in Israel erlebe - für eine Amtszeit durchaus ungewöhnlich", scherzt einer der Kirchenvertreter beim Empfang von Joachim Gauck in der Residenz von Schimon Peres. "Ganz schön früh, noch vor den Vögeln", amüsiert sich ein Sicherheitsbeamter über das Eintrudeln von Journalisten, Fotografen und Kameraleuten. Fast zwei Stunden sind es noch bis zum offiziellen Empfang, und neben der Kaffeepause in dem schöne  Garten des "Beit Hanassi" bietet die Wartezeit einen Blick hinter die Kulissen, wie er selten in den offiziellen Berichten zu sehen ist. 
Mit militärischen Ehren soll der hohe Besuch aus Deutschland empfangen werden. Die Militärkapelle spielt probehalber die Nationalhymnen und ein paar weitere Stücke, während der Zeremonienmeister mit seinen Soldaten den Ablauf durchgeht. Auf dem Boden weisen weisse Kreidemarkierungen den Soldaten ihren Standort, mit symmetrischer Akribie werden die Fahnenträger  in vorderster Front postiert. 
Kurze Entspannungspause, bevor es los geht, dann heisst es "alle Mann an ihren Platz": Soldaten und Fahnen in Reih und Glied, auf der anderen Seite des roten Teppichs Kirchen- und sonstige offizielle Vertreter, hinter der einen Absperrung die schreibende Zunft, hinter einer zweiten das Gros der Bildmedienleute, wenige Ausgewählte mit entsprechendem Badge (und dementsprechender Bewegungsfreiheit) davor. Der eigentliche Akt - militärische Ehrungen, Shake-Hands, Reden und ein kurzes Gespräch fernab der Augen und Ohren der Presse - und weiter geht es zum nächsten Termin. Die Presse eilt hinterher, Entspannung bei den jungen Soldaten, von denen einige vom langen Stehen in der Sonne mit leichten Kreislaufschwächen zu kämpfen haben...

Montag, 28. Mai 2012

Handicap

Wenn, dann richtig: Ausgerechnet an einem Freitagabend, passend zum Shabbatbeginn und vor einem Feiertag beschließt mein Computer, den Geist aufzugeben (Pfingsten?!). Der palästinensische Computerladen hat aus unbekannten Gründen an diesem Wochenende geschlossen, und auf jüdischer Seite ist erst nach Shavuot Hilfe zu erhoffen. Das eilig beschaffte Ersatzgerät ist nicht auf dem neuesten Stand und eher ein Obstakel denn eine wahre Hilfe...
Endlich Montag (wer hätte gedacht, dass man sich so auf den Wochenbeginn freuen kann!) und der erste Gang führt zum Spezialisten. Viel ist nicht zu retten, sagt dieser, wie der zu Übersetzungszwecken mitgeschleppte Freund erklärt. Das Gespräch zwischen den beiden über mich und meinen Laptop geht hin und her, ich verstehe nur Bruchteile und fühle mich doppelt gehandicapped...

Sonntag, 27. Mai 2012

Shavuot

Es ist ein ungewohntes Bild: Morgens um halb fünf schieben sich ganze Fluten von jüdischen Gläubigen durch die ansonsten leere Hauptstraße des arabischen Altstadt-Souks. Der Platz vor dem Kotel ist bereits gut gefüllt, und noch immer strömt es aus allen Richtungen. Es ist Shavuot, eines der großen jüdischen Wallfahrtsfeste. "Nicht ganz einfach, um diese Zeit aus dem Bett zu kommen", scherzt einer der Fotografen, der wie ich das Dach der Yeshiva erklommen hat und nun auf den Sonnenaufgang über Klagemauer, Menge und Felsendom wartet. "Ich war gar nicht erst im Bett", kontert Fotograf Nummer Zwei - wie viele der Anwesenden hat er der Tradition entsprechend die Nacht mit Thora-Studium verbracht (an einem Festtag zu fotografieren bereitet ihm aber offensichtlich keine religiösen Gewissensbisse).
Während es am Kotel tanzt, betet und singt, erwacht der Rest der Stadt erst so langsam zum Leben. Ein paar hundert Meter weiter, an der kleinen Klagemauer, versuchen ein paar orthodoxe Juden, den Minjan, das für das Gebet nötige Quorum von zehn mündigen Männern, zusammenzubekommen. "Atah Bar Mitzwa?", wird ein jugendlicher Neuankömmling auf sein Potential hin abgeklopft. Zaghaftes Kopfnicken des Jünglings, und schon findet er sich inmitten der acht bereits Versammelten wieder. Zögernd schauen die Männer in die Runde, noch immer fehlt einer. "Atah yehudi, bist Du Jude?" Die Frage an meinen Begleiter hat fast etwas verzweifeltes, denn der einzige erwachsene Mann in Sichtweite fällt mit buntem Poloshirt und Kamera optisch ziemlich aus dem Rahmen der frommen Runde. Sein Nicken hingegen wird mit einem erleichterten Seufzer quittiert, gefolgt von der recht energischen Aufforderung, das Quorum voll zu machen - "wenigstens für fünf Minuten!". Die Weigerung ist nicht weniger vehement und nach ein, zwei Minuten lauterem Schlagabtausch haben die Neune das Nachsehen - und vielleicht auch das Einsehen? Ein erzwungenes Gebet dürfte schließlich weniger dem Sinn der göttlichen Gebetsaufforderung entsprechen...

Donnerstag, 24. Mai 2012

Justified

"Just as there was no need in the past to label merchandise from the British colonies as British products, so there is no need to mark products from Israel's colonies as Israeli. Anyone who wants to support the Israeli colonial enterprise can buy them; those who are opposed can boycott them. As simple as that, and as necessary. Israel, which boycotts Turkey's beaches and Hamas, should have been the first to understand that. Instead we have heard heart-rending cries and angry rebukes (…) A boycott of goods from the settlements is a justified boycott, and there is no other way to define it. Labeling these products is the minimum demand that every government in the world should make, as a service to its citizens."
Gideon Levy in einem Haaretz-Beitrag (24. Mai) zum Entscheid Dänemarks und Südafrikas, Produkte aus israelischen Westbank-Siedlungen als solche zu kennzeichnen

Mittwoch, 23. Mai 2012

Eine Frage der Verhältnismässigkeit

"Vier Uhr an der Kreuzung, ok!" Ich bin etwas spät dran, und als dann noch das israelische Militär den Bus auf freier Strecke wegen einer Personenkontrolle anhält, rufe ich vorsichtshalber bei meinem Gesprächspartner an, doch der ist sowieso noch auf der Arbeit: "Kein Problem, ich brauche noch 20 Minuten, dann bin ich da!" Nach vierzig Minuten am vereinbarten Treffpunkt rufe ich vorsichtshalber ein zweites Mal an, nicht dass wir uns verpasst haben … "Noch zwei Minuten!" Weitere 15 Minuten später ruft er mich an, er sei jetzt zu Hause, wo ich denn stecke. Am Treffpunkt … Es folgt eine wortreiche Erklärung, wo genau ich denn stehe, gefolgt von "dann komm doch eben rüber ins Dorf zu meinem Haus, einfach die Strasse runter und dann nach Omar fragen!" Nach gut zwei Kilometern Strasse und zweimal erfolglosem "Fragen nach Omar" rufe ich ein weiteres Mal an. "Ok, bleib wo Du bist, ich hole Dich ab", lautet dieses Mal die Devise, und auch wenn "Warten" durchaus eines der Synonyme für "Orient" ist, schwindet meine Geduld so langsam aber sicher. Aber ich will ja was von ihm, also verkneife ich mir jeden Kommentar. 
Ein weiterer Anruf folgt, und mit Hilfe eines Dorfnachbarn schaffen wir es schliesslich, den Stand- (und Abhol)ort zu lokalisieren und keine zwei Minuten später hält ein abenteuerlich aussehendes Gefährt (der Name Auto wäre eindeutig ein Euphemismus) neben mir, drei Jungs auf der Rückbank und ein freudig winkender Omar am Steuer. Nach einer ziemlich ruckeligen Tour – der fahrbare Untersatz bewegt sich in alle nur erdenklichen Richtungen – sind wir da: Eine im Vergleich zu Omars kleinem Haus überdimensionale Tunnelbaustelle dominiert den Platz, der eigentlich von einer wunderschönen Sicht über Olivenhaine geprägt sein sollte. 
Das Haus, erzählt mir der Familienvater, liegt auf der "falschen" Seite des von Israel geplanten Sperrzaunverlaufs. Der Bau der Sicherheitsanlage, der die Dorfbewohner von einem grossen Teil ihres Landes abschneiden wird, ist soweit vorbereitet. Weil Omar und seine Familie sich weigern, ihr Haus zu verlassen, bekommen sie einen "eigenen" Zufahrtstunnel zum Dorf. Gleichzeitig wird das Haus im Abstand von zehn Metern rund herum eingezäunt. Der Schulweg der Kids verlängert sich durch die Anlage von zwei auf circa 30-40 Minuten, Besuch nach 18 Uhr ist nicht erlaubt und die etlichen Dunums Land, die dann auf der "anderen" Seite des Zaunes liegen, darf die Familie zweimal im Jahr bestellen. Schon jetzt macht Omar sich jeden morgen gegen halb sechs auf den Weg, um um sieben bei der Arbeit im knapp 10 Kilometer entfernten Jerusalem zu erscheinen. Wie es dann in Zukunft sein wird …? Er zuckt mit den Schultern und ich schäme mich für meine Verärgerung ob der langen Wartezeit. Was sind schon zwei Kilometer Fussmarsch und anderthalb Stunden Warten auf ein Interview angesichts der Schwierigkeiten, die für eine ganze Familie Alltag sind…

Dienstag, 22. Mai 2012

CSI Tabgha

Die Laudes an diesem Tag ist früher als gewöhnlich – und das trotz Feiertag. Zuviel gibt es auf der Baustelle noch zu tun, ein paar Stunden vor der offiziellen Einweihungsfeier. Bis spät in die Nacht haben die Handwerker gewerkelt (und wie es sich für eine richtige Baustelle gehört, ist auch längst nicht alles fertig geworden). Jetzt warten die neuen Räume auf den Putztrupp, der in der wenigen verbleibenden Zeit bis zur Ankunft der Gäste ganze Arbeit leistet. Nicht weniger als acht Bischöfe und Äbte gehören zu den Ehrengästen, von der ganzen Riege Priester, Mönche, Fotografen, Journalisten, Handwerker und dem normalen "Fussvolk" ganz zu schweigen: Ein neues Kloster weiht man schliesslich nicht alle Tage ein. Entsprechend gut ist die Laune, und immer wieder gerät der Prozessionszug ins Stocken, weil der eigens aus Köln zur Einsegnung eingeflogene oberste Hausherr des neuen Klosters, Joachim Kardinal Meisner, rechts und links des Prozessionswegs ein Kind segnet und mit den umstehenden Gläubigen scherzt.

Das Leben Jesu, dessen Spuren nirgends so greifbar sind wie im Heiligen Land, ist die normative Orientierung für das monastische Leben, betont der Kardinal mit ausschweifenden Gesten in seiner Predigt. In seine Fussstapfen, die nicht verwischt werden dürfen, gelte es zu treten: "Ihr Mönche und Schwestern, Ihr seid das Spurensicherungskommando Gottes auf Erden." Nicht "Insel der Seligen", sondern vorgelebter Glaube sei das Kloster, und "weil das für uns so wichtig ist, damit wir Gott und den Menschen nicht aus dem Blick verlieren, lassen wir uns das auch etwas kosten!"
Es ist ein untypischer Bau für die Region, modern und klassisch zugleich: Helle Räume mit interessantem Lichtspiel, lange Korridore, verwinkelte Treppen und ein grosser Innenhof, der Geduld und Kreislauf der Gäste der Einsegnung später am Tag ein wenig auf die Probe stellen wird: Gute 30 Grad warm ist es an diesem Himmelfahrtstag, weit entfernt noch von den Höchsttemperaturen, die im Sommer am See Genezareth durchschnittlich herrschen. Das Olivenbäumchen in der Mitte, obwohl schon von stattlichem Alter, spendet nur wenigen Schatten, die anderen suchen Sonnenschutz auf der Galerie im ersten Stock oder gehen gleich ins kühle Innere (und neugierig auf Entdeckungstour).
Letzte Station der Segnung ist das neue Refektorium, und ein gut gelaunter Hausherr hat die befreienden Lacher auf seiner Seite, als es heisst "Masshalten soll man nicht nur beim Essen und Trinken, sondern auch beim Beten!" Jetzt folgt der gemütliche Teil: Grillparty im Garten, gefolgt von einem kühlenden Bad…

Mittwoch, 16. Mai 2012

"bitter-sweet"

"Nakba, for Palestine, is about the loss of potential on a mass scale. It is about reducing a vibrant and highly accomplished culture into one filled with bitter-sweet memories consumed by the national cause of return and justice."
Anlässlich des gestrigen Nakba-Tags (15. Mai) hat das Negotiations Affairs Department (NAD) der PLO eine Publikation zum Thema "Nakba als kulturelle Katastrophe" herausgegeben

Dienstag, 15. Mai 2012

Nakba & Israel's revival

"A person who understands that an Arab citizen should not be forced to sing "a Jewish soul still yearns" should be expected to let that citizen commemorate the Nakba without having to pay for it and without being denied government funding. Nakba Day does not belong only to the Arabs; it is an inseparable part of the story of Israel's revival.
Haaretz-Editorial (15. Mai) zum israelischen Versuch, den als "Nakba" (Katastrophe) bezeichneten palästinensischen Gedenktag der Vertreibung zu verhindern

Sonntag, 6. Mai 2012

Narrativ

"Sind Juden dabei?" Die Sicherheitskräfte sind ein klein wenig gestresst von der rund 25-köpfigen Journalistengruppe, die, ausgestattet mit allerlei Papierkram, an einem der eigentlich Muslimen vorbehaltenen Zugangstore zum "Haram asch-Scharif" Einlass verlangen. Selbstverständlich sind auch Juden in der Gruppe. Der Sicherheitsmensch präzisiert seine Anfrage: "Juden aus Israel?" Kopfschütteln des jüdischen israelischen Guides. Es folgen ein paar Diskussionen und Telefonate – Guide Nummer zwei, eine junge Muslimin der Wakf-Behörde, ist inzwischen ebenfalls eingetrudelt und wartet an der Schwelle auf uns. Irgendwann geben die Sicherheitskräfte grünes Licht, die Gruppe darf rein. Oder zumindest fast: Die Kleidung der meisten Damen in der Runde ist nicht Moschee-kompatibel und es gibt eine weitere Diskussion, als der Sittenwächter sie zu buntgemusterten Überkleider zwangsverpflichtet.
"Der Tempelberg …", setzt Guide Nummer Eins zu Erklärung an, als wir endlich über die Schwelle des heiligen Bezirks treten durften. "Al-Aksa", fällt ihm Guide Nummer Zwei unmittelbar ins Wort. "Das ganze Areal heisst Al-Aksa, nicht Tempelberg!" Es folgt eine Führung durch den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee – Namensgeberin für das gesamte Areal, wie wir von Guide Zwei lernen – und damit eine rare Gelegenheit, die beiden heiligen Orte von innen zu besichtigen. Der erste Schlagabtausch setzt sich im Laufe der Führung fort – israelisch-jüdische stösst auf muslimisch-palästinensische Tradition, zu verschieden sind die jeweiligen Narrative. Der Ton bleibt beherrscht freundlich, aber die abschliessende Formulierung von Guide Eins fasst es gut zusammen: "Nun, die eine Wahrheit habt Ihr jetzt gehört. Jetzt erzähle ich Euch die andere!"