Donnerstag, 5. Juli 2018

Küss die Hand

Mach langsam, ruft Sami aus seinem kleinen Atelier. Hunderte Male bin ich beim Umzug von meiner Jerusalemer Altstadtwohnung in meine neue Jerusalemer Altstadtwohnung vor seinen Augen hin- und hergelaufen, mit vollen Kisten und schweren Taschen bepackt in die eine, mit dem Leergut in die andere Richtung. Hunderte Male hat Sami an seiner Nähmaschine innegehalten und ist in den Türrahmen gekommen. Um mir einen schönen Tag zu wünschen, mir ein paar Kekse zum Mittagessen einzuwickeln, vielleicht nur, um mir eine Entschuldigung zu verschaffen, die Kisten einen Moment lang Kisten sein zu lassen. Ein feiner alter Mann im feinen Zwirn und mit perfekten Krawattenknoten, dessen Lebensfreude ansteckend ist. Sami erzählt von der Freude, mit denen er seit 70 Jahren Schneider ist und ich kann mich nicht satthören an seinen Geschichten. "Als mein Vater hierher kam, war Palästina ottomanisch. Also bin ich türkisch. Als ich geboren wurde, war es eine britische Kolonie, also bin ich britisch. Mit 1948 kam der jordanische Pass, 1967 die israelische Identitätskarte. Ginge ich nach Ramallah, bekäme ich als Palästinenser auch die palästinensische Identität: Fünf Nationalitäten, ein und dieselbe Person, eine Stadt, vor allem aber ein Wunsch: Nach einem Leben in Frieden." Dann küsst er, mein verschwitztes Handwerkeroutfit ignorierend, galant meine Hand und ich trage meine Kisten davon. Bis zum nächsten Mal.
 

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