Mit einem
unnachahmlichen Mix aus Mustern in verschiedenen Stoffschichten steht sie da.
Auf Socken. Winzig. Kaum eine Handbreit reicht sie über die Chorschranke, den
Rücken vom Alter gebeugt, ein Tuch fest in östlich-bäuerlicher Manier um den
Kopf gebunden. Der Kopf lehnt an den blau-weissen Kacheln, und wären die Arme
länger – sie würde die Säule umarmen. Der kleine Körper streckt sich nach der
Marienikone, dessen Höhe die Finger nur mühsam erreichen. Vom Silber am
Ikonenrand führt sie die Finger an den Mund und zurück an das Metall. Dass
rundherum ein paar Dutzend Seminaristen in roter Chorkleidung durch den
Kirchenraum ziehen, dass goldgewandete Nachwuchskleriker mit mächtigem Schwung
die schellenden Weihrauchfässer in Richtung der Gläubigen schwingen und dann
und wann ein ranghöheres Hierarchiemitglied auf der Suche nach Respektsbekundungen
entlang der Betenden streift – das alles scheint sie nicht einmal wahrzunehmen
in ihrer innigen Anbetung von Mutter und Kind. Auf seinem Weg aus der Sakristei
in die Kapelle streicht ein Priester der Alten energisch über das betuchte
Haupt. Wie in längst vergangenen Zeiten.
Sonntag, 30. September 2012
Dienstag, 25. September 2012
Mal wieder Zeit für Sühne
Von Beirut-Gemmayze nach Mea Shearim - grösser könnte der Kontrast kaum sein. Jom Kippur steht bevor, und in ultraorthodoxen Kreisen ist wieder Zeit für das blutig-archaische Kapparot-Ritual. Von Weitem ist der strenge Geruch von Geflügel wahrzunehmen, zu dem sich der Geruch von frischem Blut gesellt - und beim Näherkommen auch der entsprechende Anblick. Horden von Kindern, mehrheitlich kleine Jungs mit langen Schläfenlöckchen, drängen sich um die blutverschmierten Trichter, in denen Hühnerbeine in den letzten Zuckungen liegen. Dann und wann war der Kehlenschnitt nicht ganz so erfolgreich, und ein halbtotes Tier gelingt die Flucht in ein paar letzte Sekunden Freiheit.
Nichts für schwache Mägen, und der jungen Frau ist am Ende der ausgeführten Sühnegebete der Ekel durchaus anzusehen (gesteigert noch durch die sensible Bitte ihres Angetrauten, jetzt doch endlich was Essen zu gehen, er habe Hunger!). Der Umgang mit dem Federvieh ist alles andere als zimperlich, und die Nachwuchsschächter präsentieren sich stolz mit blutigen T-Shirts und Hemden der Kamera. Ihr Chef wird nicht müde, uns lang und breit zu erklären, warum diese Tötungsmethode die beste ist und das Tier nichts von seinem Ende merkt ... Ganz überzeugen tut er uns nicht.
"Das ist gefährlich,was Du da tust", lautet die eindringliche Warnung an der nächsten Strassenecke – nachdem ich Frage nach der Motivation meines Tuns (Fotographieren) mit "Neugier" beantwortet habe. Neugier oder Interesse am Ritual reiche, so werde ich aufgeklärt, beim besten Willen nicht aus, Jüdin oder nicht. "Du musst Dich von Deinen Sünden befreien, sonst bist Du dem Tod geweiht!" Diesen und ähnlichen Argumenten gibt schliesslich doch der ein oder andere nicht ganz so mit Kapparot vertraute Passant nach ("Sicher ist sicher!"). Die Perfektion der Ausführung ("Du musst das Huhn dreimal über dem Kopfschwenken - bei jedem der Gebete!") ist dabei auch nicht immer überzeugend ...
Freitag, 21. September 2012
Der Kunde ist König
"Spätestens
jetzt bin ich sicher, dass Du nicht gebürtige Israelin bist", grinst mein
Sitznachbar im Flugzeug. Die Maschine steht bereits eine Minute an ihrer
"Parkposition", und ich bin noch nicht (wie fast alle anderen)
aufgesprungen, um im Gang rumzudrängeln. Zehn Tage im Libanon hatten mich fast
vergessen lassen, wie harsch die südlichen Nachbarn auf den ersten Blick
manchmal sein können... Durch alle Kontrollen durch, habe ich zumindest beim
Nesher diesmal mehr Glück, scheint es. Trotz der späten Stunde – es ist bereits
Mitternacht durch – ist das Taxi innert wenigen Minuten voll. Halb Mea Shearim
reist mit mir, ich als einzige Frau an Bord scheine schier nicht zu existieren.
Nach einer halsbrecherischen Fahrt über die Autobahn und einer langwierigen Tour
durch sämtliche ultraorthodoxen Vororte und Stadtviertel Jerusalems (
mittlerweile ist es fast zwei Uhr) weigert sich mein Fahrer, mich wie
ausgemacht am New Gate rauszulassen. "Too much traffic!" Es folgt ein lauter Wortwechsel
darüber, was ihm eigentlich einfalle, alle Fahrgäste bis vor die Haustür zu fahren,
mich aber mitten in der Nacht und mit 20 Kilo Gepäck einmal quer durch die Altstadt
schicken zu wollen. "Ok, take five sheqel", lautet nach 10-minütiger
Diskussion die entnervte Reaktion des Fahrers. Weitere Diskussionsminuten später
setzt er mich auf halber Strecke zwischen beiden Toren ab. "Letztes
Angebot!" Der Kunde ist König ...
Mittwoch, 19. September 2012
For Beirut
Ich weiss zwar nicht, wem dieses Video zu verdanken ist (mit anderen Worten: Ich habs geklaut!), aber es ist so schön ... Concierto de Arenjuez für Beirut (Li Beirut - Fairuz)
Donnerstag, 13. September 2012
Keiner tot
Als ich auf dem Weg zum nächsten Termin auf dem Beifahrersitz Platz nehme, läuft gerade eine Symphonie Beethhovens im Radio. Nicht gerade die übliche Beschallung in diesen Breitengraden, pflegen doch klassische Musik und der Nahe Osten gemeinhin relativ wenig Kontakte. Umso grösser mein Erstaunen. "Keiner tot", grinst mein Fahrer mich an, als ich das Radio lauter drehe, und das grinsen wird noch breiter, als ich seinen Kommentar mit einem verständnislosen Blick quittiere. "Ma hada met - keiner ist gestorben", wiederholt er auf Arabisch. Die Erklärung folgt auf einen weiteren ratlosen Blick meinerseits. Im Libanon, sagt er, wird klassische Musik eigentlich nur dann im Radio gespielt, wenn eine wichtige Person gestorben ist. Bevor das Radio vor der Staatstrauer auf Sendepause geht, läuft klassische Musik. Nicht so bei diesem Sender, sagt er, der bringt nämlich täglich am Nachmittag eine Stunde Klassik. Name der Sendung "Ma hada met", damit das mal von vornherein klar ist. Mein spontaner Gedanke: "The day the music died ..."
Freitag, 7. September 2012
Reise nach Jerusalem
Und ich
dachte, die Reise von Jerusalem nach Beirut sei kompliziert! Nichts im
Vergleich zur Demarche meiner internationalen Pressekarte, die nicht mehr
rechtzeitig in der Schweiz angekommen ist, um mich zu begleiten. Deshalb musste sie
jetzt ganz allein den langen Weg antreten: Von Fribourg reiste sie nach
Genf, dann weiter nach Basel, mit einem kurzen Abstecher von 2 Stunden 35
Minuten in Leipzig hat sie dann den Flieger nach Paris "bestiegen".
Das alles in weniger als 24 Stunden zwar (so lange dauert es von hier alles in
allem auch fast), aber noch ist sie ja auch nicht da ...
Donnerstag, 6. September 2012
Divided into "ghettos"
"However, the question here is: Is the situation in
Lebanon that worrying?! Does the situation facing Christians in the Middle East
frighten the Vatican? The simple answer is: Yes, the 'Lebanese peoples' are
living in the midst of a disquieting situation. The 'Lebanese peoples' are
afraid of one another and of their surroundings (…) The pope’s visit is intended
to reassure Christian sects, but who will reassure Muslim sects that are also
living in the heart of these horrific events? Each sect is fearful of the other
and at the same time they intimidate one another! The fear factor has alienated
areas from each other. Beirut is no longer a city for all Lebanese, or the
capital of every Lebanese citizen. Beirut has become divided into 'ghettos.'"
Talal Salman in einem Kommentar zum bevorstehenden Libanonbesuch von Papst Benedikt XVI. und der instabilen Lage im Libanon und der Region (4. September)
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