Von Beirut-Gemmayze nach Mea Shearim - grösser könnte der Kontrast kaum sein. Jom Kippur steht bevor, und in ultraorthodoxen Kreisen ist wieder Zeit für das blutig-archaische Kapparot-Ritual. Von Weitem ist der strenge Geruch von Geflügel wahrzunehmen, zu dem sich der Geruch von frischem Blut gesellt - und beim Näherkommen auch der entsprechende Anblick. Horden von Kindern, mehrheitlich kleine Jungs mit langen Schläfenlöckchen, drängen sich um die blutverschmierten Trichter, in denen Hühnerbeine in den letzten Zuckungen liegen. Dann und wann war der Kehlenschnitt nicht ganz so erfolgreich, und ein halbtotes Tier gelingt die Flucht in ein paar letzte Sekunden Freiheit.
Nichts für schwache Mägen, und der jungen Frau ist am Ende der ausgeführten Sühnegebete der Ekel durchaus anzusehen (gesteigert noch durch die sensible Bitte ihres Angetrauten, jetzt doch endlich was Essen zu gehen, er habe Hunger!). Der Umgang mit dem Federvieh ist alles andere als zimperlich, und die Nachwuchsschächter präsentieren sich stolz mit blutigen T-Shirts und Hemden der Kamera. Ihr Chef wird nicht müde, uns lang und breit zu erklären, warum diese Tötungsmethode die beste ist und das Tier nichts von seinem Ende merkt ... Ganz überzeugen tut er uns nicht.
"Das ist gefährlich,was Du da tust", lautet die eindringliche Warnung an der nächsten Strassenecke – nachdem ich Frage nach der Motivation meines Tuns (Fotographieren) mit "Neugier" beantwortet habe. Neugier oder Interesse am Ritual reiche, so werde ich aufgeklärt, beim besten Willen nicht aus, Jüdin oder nicht. "Du musst Dich von Deinen Sünden befreien, sonst bist Du dem Tod geweiht!" Diesen und ähnlichen Argumenten gibt schliesslich doch der ein oder andere nicht ganz so mit Kapparot vertraute Passant nach ("Sicher ist sicher!"). Die Perfektion der Ausführung ("Du musst das Huhn dreimal über dem Kopfschwenken - bei jedem der Gebete!") ist dabei auch nicht immer überzeugend ...
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