Eine Mitstudentin aus dem Ulpan hat ihr viertes Kind geboren und den gesamten Kurs zur Feier der Beschneidung, Brit Milah (בְּרִית מִילָה), eingeladen. Obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob die Einladung auch mir als (einziger) Nichtjüdin der Klasse gilt, siegt schliesslich meine Neugier (schliesslich hab ich nicht so oft die Gelegenheit, jüdischen Familienfesten wie diesen beizuwohnen). Das Viertel, in dem das Paar zuhause ist, gehört zu den eher religiösen Stadtteilen Jerusalems, und auch bei der zur Feier versammelten Gemeinde dominieren die Religiösen. Der "Sandak", vielleicht vergleichbar dem Götti, ist ein berühmter Rabbiner, 102 Jahre alt und der letzte noch lebende Schüler eines offenbar noch berühmteren "Ravs" (ich muss gestehen, beide Namen zum ersten Mal gehört zu haben). Der Andrang um den Sandak ist so gross, dass er fast dem jungen Mann (der zu diesem Zeitpunkt ja offiziell noch keinen Namen trägt, erst nach der Beschneidung wird sein Name "Izchak Israel" verkündet) die Schau stielt. Wie üblich spielt sich das eigentliche Geschehen im Männerkreis ab, die Frauen warten mehr oder weniger geduldig hinter speziellen Holzabschrankungen und Vorhängen. Dann und wann schiebt eine den ohnehin recht transparenten Stoff ein Stück an die Seite, nicht etwa, um einen Blick auf die Feier zu erhaschen, sondern um mit dem Natel rasch ein Bild von besagter Prominenz zu machen.
Den Knabe kümmert alles das herzlich wenig, leicht beduselt von den wenigen Tropfen Wein, die man ihm zum nuckeln gibt, lässt er die Prozedur fast ohne Klage über sich ergehen. Dann ergreift der Vater das Wort. Berichtet von den schweren vier letzten Schwangerschaftsmonaten, in denen seine Frau an dem Kind festhielt, trotz Druck aus dem Umfeld, von den Ärzten und sogar von ihm selbst. Gott, sagt der strahlende Vater, habe ihm eine "furchtbare Prüfung" auferlegt. Nach drei gesunden Kindern und als "Pariser Bourgeois" an das Schöne und Gesunde gewöhnt, kam Izchak Israel mit Trisomie 21 auf die Welt. Mit bewegenden Worten erzählt der Vater von seinen Ängsten und Zweifeln, von der Schwierigkeit, seinen Neugeborenen im Krankenhaus anzusehen, von der Entscheidung, das Kind in fremde Hände zu geben. Dieses Gepäck, sagt er, sei ihm zu schwer erschienen. Vermutlich spricht der Mann das aus, was viele in einer ähnlichen Situation und vermutlich sogar viele Aussenstehende denken. Und vermutlich braucht es ganz schön viel Mut, das öffentlich auszusprechen und dazu zu stehen, dass dieses Kind, das mit einer religiösen Zeremonie in die Gemeinschaft und in die Familie aufgenommen wurde, nicht von Anfang an willkommen war. Weil es "anders" daher kommt als "die anderen".
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