"Heute ist kein guter Tag", sagt Ladenbesitzer Fadi, als ich mit meiner Kamera auf dem Dach der Grabeskirche Stellung beziehe. "Gestern waren bestimmt fünfzehn Kreuze hier unterwegs, heute steht da nur eines." Ein paar Japaner posieren in Siegeshaltung mit zum Victory-Zeichen erhobenen Fingern vor dem einsamen Kreuz. Ich warte auf die italienische Pilgergruppe, die gerade mit ihrem grossen Holzkreuz die Via Dolorosa entlang zieht. Früher oder später werden sie wohl oben auf dem Dach, an der neunten Station, ankommen. Manchmal, sagt Fadi, kürzen sie auch von der achten Station direkt zum Eingang der Grabeskirche ab, aber die meisten kommen zuerst hier hoch. Schliesslich, sagt er, müssen sie das Kreuz ja wieder abgeben. Seine Laune verschlechtert sich spürbar. "Ich kann nicht einfach ein Rent-a-cross-Business eröffnen, das ist alles in festen Händen!" Die Italiener, vorweg ein Franziskaner, dann ein paar Männer mit dem grossen Kreuz, daneben zwei oder drei Geistliche mit unübersehbarem Römerkragen, kommen langsam betend den Gang entlang und bleiben ein vorletztes Mal für eine Meditation stehen. Fast sieht es so aus, als habe sich die Geduld gelohnt, aber als sich der Pilgertrupp schliesslich wieder in Bewegung setzt, springt unaufhörlich ein Fotograf vor der Gruppe auf und ab und schiesst mindestens hundert Fotos. Aus meinem einen erwünschten Foto wird somit nichts, immer ist der Kollege mit seinem Apparat im Bild. "Siehst Du, kein guter Tag", sagt Fadi. "Auch das Foto-Business ist in festen Händen!"
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