Sonntag, 8. Mai 2016

Mit anderen Worten: Syrien

8. Mai:
Beirut - Damaskus - Homs - Zaidal
 
Meinen ursprünglichen Plan, für die Zeit in Syrien kein Arabisch zu sprechen, muss ich noch bei Abfahrt aus Beirut über den Haufen werfen: Mein Fahrer Elie, Christ aus Damaskus, spricht weder Englisch noch Französisch, und auch an den diversen Kontrollpunkten bleibt mein bisschen Arabisch die einzige gemeinsame Sprachbasis.   Nach einer halben Stunde Aufwärmphase und einem ersten Kaffee wechsle ich von der Rückbank auf den Beifahrersitz. Elie fährt sicher, wenn auch etwas schnell. Die Musik wird lauter, die Konversation beginnt. "Hast Du keine Angst?", fragt Elie, und ich habe keine Antwort. 
Die Grenze passieren wir in Häppchen: sieben Stationen später sind wir auf syrischer Seite. Diskret faltet Elie an jedem Stopp ein paar kleine Scheine zwischen die Pässe und gibt sich jovial. Die Sicherheitskontrollen beschränken sich auf einen kurzen Blick auf das - ungeöffnete - Gepäck. Einzig meine Kamera - für die es eigentlich eine Genehmigung bräuchte - sorgt für eine kleine Diskussion. Nachdem ich ihren Schätzwert - deutlich zu tief - offenbar auf unterhalb der kritischen Grenze angegeben habe, dürfen wir fahren. Bashar al Assad ist überall, in Form von übergrossen Porträts, Fotos und Graffiti in allen Varianten.
Weitere neun Checkpoints, und wir sind im christlichen Damaskus. Autowechsel. Elie übergibt mich an Michel (Abu Elias), nicht ohne mich vorher informiert zu haben, dass Michel Soldat und ergo in Uniform und bewaffnet ist. "Keine Sorge! Gehört zur Familie." Mit uns: ein weiterer Kamerad, eine zweite Waffe. Letzte Instruktionen für Michel: "Kein Wort von Journalistin. Sie arbeitet für die Kirche. Verstanden?" Die angebotene Zigarette lehne ich dankend ab - "grad erst eine ausgemacht", für Michel kein wirkliches Argument.
Wir verlassen Damaskus in Richtung Homs, kleine Führung durch das Christenviertel inklusive. Michel ist ein gesprächiger Geselle mit Humor und grossräumigen Gesten, sein Akzent erinnert an das melodiöse Arabisch aus Al-Khalil. Die Anspannung lässt nach.
Die Viertel werden ärmer, erste Kriegsschäden an Häusern werden sichtbar. "Jabhat al Nusra", sagt Michel und zeigt auf ein abgeriegeltes Stadtviertel. Die Frequenz an Checkpoints bleibt hoch, allein vier sind es bis zur Stadtgrenze. Meine Kamera bleibt im Gepäck.
Libanon, Jordanien, Irak. Je nach Fahrtrichtung zeigen die Strassenschilder die nächste Grenze gleich mit an, Wegweiser nach Beirut und Baghdad zeugen von friedlicheren Zeiten. Anschauungsunterricht in Sachen Nahost. Michel fährt noch schneller als Elie, erstaunlich, was ein 24 Jahre alter Golf so hergibt. Ich beschliesse im Stillen, dass der Verkehr wohl das grösste Sicherheitsrisiko ist. Es ist heiss im Auto, eine Klimaanlage kennt das 92er Modell nicht, und die Kurbeln der Rücksitzfenster haben wie die Sicherheitsgurte im Laufe der Jahrzehnte das Zeitliche gesegnet. Um uns breitet sich Wüste aus, was für ein Kontrast zum libanesischen Grün auf der anderen Seite der Bergkette! Von den wenigen Gebäuden in Strassennähe stehen nur noch Trümmer.
Gute 150 km trennen uns von Homs, unterbrochen in regelmässiger Wiederkehr von Militärposten und Kontrollen. Eine ausführlichere Kontrolle an Checkpoint 26 lässt meinen Stresspegel leicht ansteigen. Gut, neige ich tendenziell zu niedrigem Blutdruck. Bei Kilometer 110 km vor Homs siegt schliesslich die Müdigkeit, und erst die Mittagspause weckt mich auf. Die Waffen bleiben im Auto, (sind auch so um uns genug Gewehrläufe im Umlauf), die Kamera einmal mehr im Rucksack. Auf eine allzu enge Auslegung der selbstauferlegten Speiseregeln sehe ich in Anbetracht der Gesamtlage ab.
Nach der Mittagspause: Unendliche Weite der Wüste, blauer Himmel mit Schäfchenwolken und auf dem kargen Boden Hirten, deren Schafe sich in der Farbe nur unmerklich von dem gelbweisslichen Grund abhebt. Checkpoint 34 nach gut sechs Stunden Fahrt von Beirut ist der letzte vor unserem Ziel: Zaidal, unweit von Homs, und Bischofssitz der syrisch-katholischen Kirche. Abouna Rami erinnert sich von Rom an mich, und nach ein paar Minuten sitze ich im Wohnzimmer der Ephrem-Schwestern, die mich für die nächsten beiden Tage beherbergen. Noch ein paar Minuten später falle ich aufs Bett. Die unterschwellige ständige Alarmbereitschaft hat mich offenbar geschlaucht. Als die Schwestern mich eine ganze Weile später zum Kaffee wecken, habe ich im Traum wilde Verfolgungsjagden und drei Mordversuche überlebt. Etwas benommen, habe ich Mühe der Konversation zu folgen. Der Abend endet mit viel gutem Essen und bauchschmerzverdächtigen Lachanfällen im Garten der Familie von Rima und Lina - Zwillinge und beide Ephrem-Schwestern, die eine in Beirut, in Zaidal die andere, und zusammen unschlagbar unterhaltsam. Der erste Mate-Tee meines Lebens unter kritischem Blick der Gastgeber - in Homs trinkt man Tee statt Kaffee. Rima übersetzt für mich von Arabisch zu Arabisch, und der Rest der Runde macht sich einen Spass draus, immer schwierigere Geschichten zu finden. Der Abend löst die Anspannung des Tages in Luft auf. Das, sagt Schwester Rima, "ist das wahre Syrien!"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen