In der Nacht sind Schüsse und ein paar Explosionen in der Ferne zu hören. Da die Schwestern friedlich weiterschlafen und sich auch sonst keiner in der Nachbarschaft rührt, scheint es sich um keinen gravierenden Zwischenfall zu handeln. Ich versuche zu schlafen. Um sechs geht mein Bus nach Damaskus. Dachte ich. Fälschlicherweise. Die Abfahrt war um Viertel vor sechs, wie Schwester Lina und ich fünf vor sechs feststellen. Zum Glück verspricht der Fahrer, in Homs auf mich zu warten, und das Taxi von Zaidal nach Homs ist schnell. Nach einer unruhigen Nacht scheint mir der Blick des Soldaten, der am Ortseingang meinen Pass fordert, umso finsterer, und die Rangelei am Strassenrand, deren Zeuge wir werden, trägt nicht zur Entspannung bei. Immerhin, der Fahrer hat sein Versprechen gehalten. Unter dem leicht genervten Blick der anderen Reisenden klettere ich in den vollen Bus, in der inständigen Hoffnung, dass ich als Ausländerin an den zu erwartenden unzähligen Kontrollen kein erneutet Verzögerungsgrund für den ganzen Bus sein möge. Fairuz singt aus dem Radio. Vertraute Klänge, die mich entspannen lassen. An die 180km/h von Michels Golf kommt der Bus nicht ran, was mir nicht unrecht ist. Die Kontrollen in Richtung Damaskus sind dafür deutlich weniger, so dass der Bus unterm Strich durchaus mithalten kann. Im Umgang mit den Soldaten scheint jeder so seine eigene Art zu haben - der Fahrer von heute hat eine grosse Kanne Kaffee dabei, die er grosszügig verteilt.

Dann mache mich mit Schwester Yola zurück auf den Weg nach Bab Touma. Fadia, Medienstudentin aus Damaskus und Freundin eines Freundes, hat sich angeboten, mich durch die Stadt zu führen. "Ich will dir mein Damaskus zeigen", sagt sie, "mein Damakus, das man riechen, schmecken, hören und fühlen muss!" Stolz und Trauer liegen in ihrer Stimme. "Ich liebe mein Damaskus, und deshalb tut es so weh" - den Satz wird Fadia heute noch manches Mal wiederholen.


Mit der wohl traurigsten von ihnen beschliessen wir den Tag: Besuch in der Familie von Reem, die bei Verteidigungskämpfen vor Damaskus an einem Tag den Mann und den Schwager verloren hat. Die jüngste Tochter Reems ist zwei Wochen später geboren. Ihr Name ist Sham, der Name, den die Bewohner Damaskus gegeben haben.
Zurück im Konvent, sinke ich in den Sessel an der Rezeption und kann die Tränen nicht zurückhalten. "Wie oft kann ein Mensch für sein Vaterland sterben", hat Fadia gesagt. Und: "Ich bin in den letzten fünf Jahren oft gestorben."
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