Dienstag, 30. November 2010

Wie es wohl ist ... ?

Wie es wohl sein mag, eine ganze Amtszeit lang die Realität immer nur im "abgesperrten Zustand" zu sehen? Welches Unbehagen wohl einen Personenschützer erfüllt, wenn das zu schützende "Objekt" plötzlich eine Falafel probieren soll oder spontan einen Laden betritt und mit dessen Besitzern spricht? Was für eine logistische Leistung es ist, Dutzende von Delegationsmitgliedern und Journalisten durch so ein Besuchsprogramm zu bringen und dabei noch den engen Zeitrahmen einzuhalten?

Die Menschen von Bethlehem interessiert all dies vermutlich wenig. Sie freuen sich einfach über den deutschen Besuch - "Welcome all to Bethlehem" - und hoffen auf Unterstützung und Verbesserung ihrer Lebensbedingungen - "We love Germany". Die Kinder der Talitha Kumi lässt auch das unberrührt. Sie klatschen begeistert für den Präsidenten und jeden in seinem Gefolge, stehen Spalier und wollen einfach mal Händeschütteln wie die Grossen. "Die Gedanken sind frei", singt der kleine Schulchor auf Deutsch, und ich gäbe viel dafür, die Gedanken der beiden Akteure lesen zu können, wenn sie sagen, die Chancen für Frieden seien so gut wie lange nicht...

Freitag, 26. November 2010

Ein schwerer Gang


Wie begegnet man als Deutsche Menschen, die im Holocaust grausames erlitten haben? Wenn mir jemand die Nummer auf seinem Arm zeigt, die ihm die Nazis eintätowiert haben? Wie reagiert ein Mensch, wenn er, vielleicht zum ersten Mal nach 65 Jahren, die Sprache seiner Folterknechte wieder hört? Wie kritisch darf man ein Projekt hinterfragen, das vor allem eines will: Menschen einen guten Lebensabend ermöglichen, die im Leben genug durchgemacht haben? Kurz: Wie verhalte ich mich als Deutsche, wenn ich in ein Altenheim für Holocaust-Überlebende fahre?
All meine Bedenken und Sorgen erweisen sich als unbegründet: Herzlich ist der Empfang und gross das Bemühen der Menschen, sich in Deutsch, in meiner Sprache auszudrücken. Eigentlich muss ich nur eines: Zuhören. Den vielen Leidens- und Lebensgeschichten, die zum Teil viel zu selten erzählt worden sind, um die Traumata zu überwinden. Und ziemlich schnell bedaure ich wieder einmal die strikte Längenvorgabe: Nur ein Bruchteil des Gehörten wird Platz finden in meinem Text...

Es wird schlimmer

... ich glaube, dass ich in diesem Jahr getrost auf Weihnachtsdeko verzichten kann - die meiner Umgebung reicht für mich mit ...

Lost in Translation II

Glück gehabt. Steht Griess drauf (behauptet das Übersetzungsprogramm) und ist Griess drin. Und falls sich jetzt jemand gefragt haben sollte, was aus dieser merkwürdigen Kombination an Zutaten enstehen soll: "Mein geliebter Kleckerkuchen", dessen Rezept, um es uns auch in der eigenen Sprache nicht allzu leicht zu machen, im Inhaltsverzeichnis des Backbuchs sinnvollerweise unter G wie "geliebter Kleckerkuchen, Mein" zu suchen ist...

Donnerstag, 25. November 2010

Lost in Translation

Abenteuer Kuchenbacken. Im arabischen Supermarkt erfahre ich (nachdem Samira mit mir die korrekte Aussprache geübt hat), dass es schwierig sein dürfte, hier Mohn zu bekommen, schliesslich kann Mohn Opiate enthalten. Der zweite arabische Name für Mohn: Chaschchasch... Also ein neuer Versuch, diesmal im jüdischen Supermarkt. Was hiess noch mal Mohn auf englisch? Gemahlen? Und auf französisch? Schliesslich weiss man nie, welche Sprache der hilfsbereite Mitmensch im Supermarkt sprechen wird. Am wahrscheinlichsten Russisch, aber da komme ich ungefähr so weit wie mit Hebräisch...
Ich habe Glück, der Mohn ist schnell gefunden (und sogar schon gemahlen) - den Ashkenazen und ihren mohnlastigen Desserts sei's gedankt. Ein Kinderspiel ist die Kirschmarmelade - sind ja gottseidank so schöne Bildchen drauf. Beim Backpapier scheitere ich, keine visuelle Hilfe ins Sicht und auch der Mitmensch ist zwar freundlich, aber wenig hilfreich. Richtig schwierig wird es beim Griess (auf den ich deutlich schlechter verzichten kann als auf das Backpapier). Er steht zwischen Mehl, Reis Nudeln und Co, also genau dort, wo man es erwarten würde. Wenn man ihn denn als solches zu identifizieren in der Lage ist. Bin gespannt, ob drin ist, was ich hoffe.


Dienstag, 23. November 2010

Huhn oder Ei?

Sind wir vor oder hinter der Mauer? Drinnen oder draussen?



Sonntag, 21. November 2010

Standpunkte

"Ich hoffe, die wird Mauer bald eingerissen, so wie Ihr in Deutschland das so gut gemacht habt. In meinem Garten ist schon ein Platz für mein Mauerstück reserviert!" Wir blicken von Gilo in Richtung Bethlehem, und der diese Aussage macht, ist kein durch die Mauer vom Rest des Landes abgegrenzter Westbank-Palästinenser, sondern Guide der israelischen Organisation "Ir Amim" (Stadt der Völker). Eine halbe Minute vorher hat er uns erklärt, der Bau der Mauer sei eine legitime Entscheidung einer legitim gewählten Regierung, und vor allem sei sie ein Schutz vor Terror und Gewalt.

Eitan führt uns zum Thema Grenzverlauf und Stadtentwicklung in Jerusalem. Keine leichte Aufgabe: Eitan ist Israeli und hat einen israelischen Standpunkt. Das Publikum sind vor allem deutsche Volontäre, NGO-Mitarbeiter und ein paar Journalisten, der mehrheitlich vertretene Standpunkt naturgemäss eher israelkritisch. Die Fragen und Widersprüche sind teilweise scharf. Ist das "Hindernis", das wir inmitten der Landschaft vor uns sehen, ein "Schutzwall" oder ein "Sperrwall"? Ist es gar eine "Apartheidsmauer"? Reden wir vom "annektierten Ostjerusalem" oder von "besetztem Gebiet"? Von Gilo als "jüdischem Wohnquartier" oder als "Siedlung"?
Bei allen Fragen zu Legalität und dem richtigen Sprachgebrauch – in einem Punkt kommen Gruppe und Guide überein: Die humanitären Auswirkungen dieses "Hindernisses" für das Leben der Palästinenser sind katastrophal.

"Buddha sei Dank"


"Jerusalem ist heilig. Und alle drei Religionen beten zum selben Gott. Gott sei Dank war Buddha nicht auch noch hier!"
Ein Touristenführer zu seiner Reisegruppe, den Tempelberg und die Jerusalemer Altstadt im Blick.

Freitag, 19. November 2010

Für einmal vereint


... schliesslich hat Weihnachten auch immer etwas mit Ostern zu tun ...

Donnerstag, 18. November 2010

Der Zeit voraus


Alle Jahre wieder: Wettermässig haben wir noch nicht einmal Herbst. Auch der Kalender zeigt erst Mitte November - noch ein paar Tage hin bis zum ersten Advent! Aber in den ersten Läden in meiner Nachbarschaft stappeln sich bereits Panettone, Lichterketten. Lametta in allen (un)denkbaren Farben und jeder nur erdenkliche Kitsch. Bei den Händlern ist die Weihnachtszeit an-, oder besser: ausgebrochen. Zumindest hierin unterscheiden sich Orient und Okzident nur wenig... Und ich stelle einmal mehr fest, dass sich der orientalische Sinn für Dekorationsgegenstände in den seltensten Fällen mit meinem Geschmack deckt.


Dienstag, 16. November 2010

Schwierige Entscheidung


Das Konzert soll unbedingt in dieser einen Kirche stattfinden, da sind sich alle einig. Aber leider ist die nur an einem Samstagabend zu haben. Der Schabbat endet - das haben die Bassisten via Smartphone schnell rausgefunden - an diesem Tag erst kurz nach 20 Uhr. Entsprechend knapp ist also die Zeit bis zum spätestmöglichen Konzertbeginn (21 Uhr). Da (mit Ausnahme von mir) im Chor alle jüdischen Glaubens sind, führt diese Faktenlage zu einer heftigen Diskussion zwischen Bass, Bariton, Tenor und Chorleitung: Was ist noch kosher? Und wieviel Zugeständnisse kann man aus musikalischer Sicht an die Religion machen, ohne dass die Qualität zu sehr leidet?
Wer sich strikt an den Schabbat hält, wird, je nach Wohnort, erst kurz vor neun in der Kirche sein können - für einen Chorleiter ein Graus. Wer aber rechtzeitig, und das heisst in diesem Fall: vor Schabbatausgang, sein Haus verlässt, hat, ebenfalls je nach Wohnort, mit den Reaktionen seiner Nachbarn zu rechnen. Schliesslich "siegt" die Musik über die Religion und nach und nach stimmen die Männer zu. Dieser eine Schabbatausgang wird dann wohl in einer Kirche gefeiert.
Interessanterweise wird die weibliche Mehrheit der Chormitglieder erst gar nicht gefragt. Von der christlichen Minderheit und der Frage der Sonntagsruhe ganz zu schweigen...

Sonntag, 14. November 2010

Symbolhaft


"You have your camera – take a picture", sagt der junge Palästinenser und zeigt auf die jüdischen Siedlungen inmitten "seiner" Stadt. Keinen Schritt kann man durch die verwaisten Gassen von Hebron/Al-Khalil tun, ohne dass man von arabischen Bewohnern auf die schwierige Situation aufmerksam gemacht wird. Drahtnetze schützen den Soukbesucher vor herabfallendem Müll und Wurfgeschossen, ganz zugemüllt ist das Netz an einigen Stellen. Dann und wann endet eine Strasse in einem Stacheldrahtzaun oder einer Betonabsperrung. Besucher kommen sowieso heute nur noch wenige, zu sehr ist der Name der Stadt mit Gewalt verbunden.
"Please, take a picture and look what's going on", sagt auch der alte Mann in seinem kleinen Laden. Was er erwarte, was wir tun sollen, frage ich ihn. "Nichts. Ihr könnt nichts tun. Wir können nichts tun", sagt er. "Sie wollen uns rausdrängen aus unsrer Stadt, aber wir werden bleiben."

So schön Al-Khalil mit seinen malerischen Gassen einmal gewesen sein muss – heute ist Hebron symbolhaft für den Konflikt in diesem Land: Mauern, Zäune, Wachtürme und viel Propaganda. Die Stadt ist, bis hin zu ihrem Heiligtum, dem Ort, der als Grabstätte der Ort, an dem Abrahams, Saras, Isaaks, Rebekkas, Jakobs und Leas gilt, geteilt. Durch den einen Eingang kommt man, nach diversen Sicherheitskontrollen und sofern man nicht die falsche Nationalität oder den falschen Glauben hat, zur Ibrahimi-Moschee. Keine fünf Meter rechts davon, im selben Gebäude, aber nur durch eine grossen Umweg zu erreichen: Der Eingang zur Synagoge, auch dieser nur für Menschen mit dem "richtigen" Pass und Glaubensbekenntnis. Das Absurde daran: Wir als Ausländer, Fremde, Christen können problemlos beide Seiten besuchen.

Donnerstag, 11. November 2010

Die Kirche

Etwas verwirrt steht die Touristin mit einem zerknitterten Stadtplan an einer Strassenecke im christlichen Viertel. Ob ich ihr irgendwie helfen könne, will ich wissen. Ja, gerne - sie suche die Kirche. Ich muss unwillkürlich grinsen. Welche Kirche denn?, frage ich weiter, mindestens zwei Kirchtürme in Sichtweite. Die christliche, antwortet sie mir, erstaunt über meine Frage. Ich erkläre ihr den Weg zur Grabeskirche, in der Hoffnung, die "richtige" Kirche getroffen zu haben.

Sonntag, 7. November 2010

Solidarität



Gross ist die Solidarität mit den Christen im Irak und den Familien der Getöteten der blutigen Geiselnahme vor einer Woche. Mit scharfen Worten hatten die katholischen Bischöfe des Heiligen Landes die Gewalt verurteilt und zum Gebet für die Opfer aufgerufen. Christen der verschiedensten Konfessionen sind dem Aufruf gefolgt. Die Katharinenkirche in Bethlehem ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Atmosphäre dicht. Die Feier ist geprägt von einer Mischung aus Trauer, Bestürzung und fast schon trotzigem Stolz, der sich auch in den Plakaten beim anschliessenden Trauerzug zum Krippenplatz widerspiegelt.



Donnerstag, 4. November 2010

Kreuzverhör


Meine Arabisch-Vokabelkarten scheinen ein Kontaktmittel par excellence zu sein – zumindest in israelischen Stadtbussen. Diesmal sind es zwei junge Jüdinnen, die sich zuerst (auf Hebräisch) über mich unterhalten und mich dann, auf Englisch diesmal, buchstäblich ins Kreuzverhör nehmen. Warum ich Arabisch lerne, will eine wissen. Ob sie denn kein Arabisch in der Schule lernten – meine Gegenfrage sorgt für einen entsetzten Gesichtsausdruck bei der einen, für einen eher belustigten bei der anderen. Englisch und Hebräisch, das reicht doch wohl.
Zur Sache geht es bei der zweiten Frage: "Was hältst Du von den Juden hier?" Dass ich nicht pauschal über "die" Juden sprechen will, genauso wenig wie über "die" Christen oder "die" Muslime, können sie nicht verstehen. Sicher wisse ich nichts über das Judentum. Der Reihe nach fragen sich mich verschiedene jüdische Feste ab und wollen wissen, ob ich denn auch die Thora studiert habe. Dass die Schriften der Thora auch zur christlichen Bibel gehören, scheint die beiden zu erstaunen – dass Christen die Existenz des Tempels nicht leugnen, noch mehr. Dass ich keine Jüdin sei, sehe man ja, aber ob ich denn an Gott glaube und wie religiös ich sei – die Fragen sind nicht gerade zögerlich! Ein ähnliches Gespräch zwischen Wildfremden im Zürcher Tram wäre wohl undenkbar.
Ich antworte und drehe den Spiess um: Ob sie denn an Gott glauben und religiös sind, gebe ich die Frage zurück. Beide antworten schnell und dezidiert. Aber offenbar habe ich mit meiner Gegenfrage eine mir nicht erkenntliche Grenze überschritten. Grusslos stehen die jungen Frauen auf und gehen in den hinteren Teil des Busses.

(beide Bilder: alte Werbung der Egged-Buslinien; www.egged.co.il)

Mittwoch, 3. November 2010

Scharade Nahost

"... Auch wenn Reden besser ist als Schiessen, so kann Reden doch auch zum Austausch von Floskeln werden. Im Falle des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern handelt es sich eben nicht primär um ein Kommunikationsproblem. Es geht vielmehr um eine Kollision von Interessen, die nur durch schmerzhafte Kompromisse überwunden werden kann. Weder die israelische noch die palästinensische Führung ist aber derzeit in der Lage, einen Durchbruch zu erzielen. Netanyahu und Abbas verfügen nur über schwache Mandate. Der israelische Regierungschef muss einen Koalitionspartner bei der Stange halten, der die Friedensbemühungen torpediert. Und der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert nur über das Westjordanland, seit die Hamas im Gazastreifen eine Nebenregierung aufgebaut hat.
Dass beide Seiten dennoch am Verhandlungstisch zusammenkommen, hat seinen Grund schlichtweg darin, dass sie es sich nicht leisten können, Obama und die Weltmeinung zu brüskieren. Man könnte also das Reden über eine Lösung des Konflikts auch lassen und sich stattdessen um Fortschritte bei kleinteiligen Alltagsproblemen bemühen, was ja auch geschieht, jedenfalls im Westjordanland. Doch damit wiederum kann sich kein amerikanischer Präsident zufriedengeben. Und so spielen alle mit in der grossen Scharade, wieder und wieder."
Publizist Ulrich Speck im "Seitenblick" in der Neuen Zürcher Zeitung (3. November)

Dienstag, 2. November 2010

Wie gelähmt

Wie ein gehetztes Tier irrt der orthodoxe Jude durch das christliche Altstadtviertel - und scheint unendlich dankbar, in mir ein nichtarabisches Gesicht zu entdecken. "Ist das hier arabisch?" fragt er mich, und die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ya'akov ist ganz offensichtlich nicht von hier und hat sich auf dem Weg zur Klagemauer verlaufen. Eigentlich habe ich es eilig, aber so wenig ich seine lähmende Angst nachvollziehen kann, tut er mir doch leid. Er solle sich entspannen und ich könne ihn ein Stück in Richtung Klagemauer begleiten, versuche ich ihm zu erklären. Er spricht kaum Englisch, ich kein Hebräisch, aber schon die Tatsache, dass jemand mit ihm spricht, scheint ihn für den Moment zu beruhigen.
Hier sei alles arabisch und er sei Jude, das sei ein gefährliches Problem, wiederholt er immer und immer wieder. Alle zwei Meter bleibt er stehen und würde am liebsten umkehren oder sich in Luft auflösen. Den ganzen Körper in Alarmbereitschaft, klammert er sich fast an mir fest, und als er nach meiner Hand greift, spüre ich seinen Pulsschlag rasen. Für eine Strecke, die ich sonst in weniger als fünf Minuten gehe, brauchen wir so fast zwanzig Minuten. Die Szene ist so skuril, das ich nicht weiss, ob ich lachen oder weinen soll. Schliesslich findet sich Passant, ausgerechnet ein Araber, der Ya'akov auf Hebräisch Mut zu spricht. Es hält für eine kurze Weile an, aber kurz vor dem Jaffa-Tor - ein paar Meter vor dem "sicheren Boden" - verlässt ihn sein Mut endgültig. Rat- und machtlos lasse ich ihn schliesslich zurück. Immerhin ist es kein Hass, der ihn umtreibt, aber die Angst vor dem Anderen sitzt so tief, dass es schwer ist, sich vorzustellen, wie so ein entspanntes Zusammenleben funktionieren soll.

Zaungast