Einmal mehr muss ich mein Bild korrigieren, diesmal das von Mea Shearim. Meine anfänglich Sorge, allzu auffällig mit der Kamera durch das ultraorthodoxe Viertel zu ziehen, erweist sich als absolut unbegründet. Zwar werde ich dann und wann und mehr oder weniger freundlich darauf hingewiesen, dass Fotografieren unerwünscht sei. Ungleich häufiger aber posieren Passanten für meine Kamera oder fragen, ob sie sich die Bilder anschauen dürfen. Mehrfach werde ich explizit um eine Aufnahme gebeten oder auf ein Bildmotiv aufmerksam gemacht. Ein als König verkleideter Ultraorthodoxer winkt mich herbei, damit ich ein Familienfoto von den Seinen mache – und handelt sich dafür einen lautstarken Rüffel eines Glaubensgenossen ein: "Wozu brauchst Du Fotos!" Einer nimmt mir kurzer Hand die Kamera aus der Hand: "Komm, ich mach ein Bild von Dir, Du bist die ganze Zeit am knipsen und selber nie mit drauf!" Jedenfalls komme ich mit einer ganzen Liste von Email-Adressen nach Hause mit der Bitte, die Schnappschüsse zu mailen.
Die Stimmung in den kleinen Gassen ist entspannt fröhlich, viele Kostüme richtig originell. Aus vielen Häusern dringt lautstarke Partymusik und hier und dort wird auf einem Balkon live gespielt – und mitten auf der Strasse getanzt. Aus einer Synagoge dringt ziemlich freakiger Jazz – clash of cultures, so mein erster Gedanke. Etwas weniger reizvoll ist die mit voranschreitender Stunde zunehmende Anzahl von "Schnapsleichen", die nur noch gestützt auf zwei weitere Schultern fortkommen – zu den Purim-Pflichten gehört unter anderem, so viel zu trinken, "ad lo jada", bis man nicht unterscheiden kann zwischen "Verflucht sei Haman" und "Gesegnet sei Mordechai". Je nach Interpretation also volltrunken. Auch die Zahl der sehr jungen Jungs mit Zigarette ist eher erschreckend. Nur bei wenigen scheint nämlich dieses Accessoire zum Kostüm zu gehören. Nun ja …
In einer kleinen Seitengasse schliesslich spricht mich ein älterer Mann an, ob ich nicht auch mal ein Haus von Innen sehen und aufnehmen möchte, und unversehens finde ich mich vor Saft und Kuchen im Kreis einer Schar kleiner Polizisten, Könige, Malerinnen und in einer Konversation in einem Mischmasch aus Jiddisch (die Kinder mit mir), Deutsch (ich mit den Kindern), Englisch, Französisch und Hebräisch (er und ich) wieder. Eher ungewöhnlich für das Judentum, dass ja bekanntlich nicht sehr zur Mission neigt, fragt er mir Löcher in den Bauch über Religion, meine Kenntnisse über das Judentum, ob ich nicht vielleicht doch konvertieren wolle und bietet mir eine Reihe von Tipps und Ratschlägen an, bevor ich weiterziehe.
Die Szenerie gepaart mit dem schönen Wetter ziehen mich derart in den Bann, dass ich so sehr kreuz und quer durch das Gassengewirr ziehe, dass ich am Ende tatsächlich die GPS-Funktion meines iPhones benötige, um mich einigermassen orientieren zu können.
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