Mittwoch, 13. Oktober 2010

Insel-Dasein

Angekündigt war das Konzert in der evangelischen Himmelfahrtkirche der Auguste Victoria im palästinensischen Veranstaltungskalender unter dem Titel "Behind the wall", eine "elektrifizierende Oper" sollte es sein. Komponiert von einem palästinensisch-israelischen Künstler. Wie nahe liegt die Erwartung, mit einer spannenden musikalischen Auseinandersetzung mit dem israelischen Sperrwall konfrontiert zu werden, noch dazu an einem Ort, an dem man nur den Blick heben muss, um auf die Mauer Richtung Bethlehem zu schauen.
Weit gefehlt. Der musikalische Leiter und Dirigent des Projektes ist (Ost-)Deutscher, ebenso der Dichter. Der Künstler mit dem eindeutig arabischen Namen lebt seit fast zwanzig Jahren in Deutschland und hat dort sein Handwerk gelernt. Dass Orchester und Chor aus Deutschland stammen, war bereits der Vorangekündigung zu entnehmen. Dass auch das Publikum fast ausschliesslich aus Deutschen bestand, war vielleicht zu erwarten.

Dass sich aber hinter dem Titel "Behind the wall" eine Auseinandersetzung mit der Berliner Mauer verbergen würde, die anlässlich der zwanzig Jahre Wiedervereinigung entstanden ist, kommt überraschend. Umso mehr, als der (anwesende) Komponist im einleitenden Gespräch betont, seine Nationalität oder der israelisch-palästinensische Konflikt hätten für seine Kompositionsarbeit keinerlei Rolle gespielt. So sitzt also ein alles in allem deutsches Publikum in der Kirche der deutschen evangelischen Kirche und setzt sich einundzwanzig Jahre nach ihrem Fall mit der deutschen Mauer auseinander. Die andere Mauer, für den Grossteil des sehr jungen Publikums viel realere, ist in Sichtweite und bleibt unsichtbar.

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