Sonntag, 27. Februar 2011
Samstag, 26. Februar 2011
Bibelstunde
Eigentlich fahre ich nicht gerne Taxi. Aber an diesem Abend bin ihc definitiv zu müde für eine einstündige Bus-Odyssee. Zum Glück - es ist Feierabend-Stosszeit - hält fast sofort ein Taxi an. Es sind schon zwei Damen an Bord, aber der Fahrer winkt mich rein, mein Ziel liege auf dem Weg. Definitionssache, wie ich nach eine kleinen Rundfahrt durch Gonen und Kiryat Shmuel feststelle, aber naja.
Ob ich Jüdin sei, will der Fahrer von mir wissen, nachdem er die beiden Frauen abgesetzt hat - und erklärt mir, als ich verneine, die jüdischen Trauerrituale. Eine seiner Tante sei gerade gestorben. Während sieben Tagen kommen nun Freunde und Angehörige täglich zur Schiwa zusammen. Und weil die Bibel vorschreibt, dass man gut sein soll zu den anderen, habe er die beiden Frauen - eine entfernte Verwandte und eine Unbekannte - von der Schiwa nach Hause gefahren (dass er strenggenommen während der Zeit der Schiwa zuhause bleiben, sich nicht reinigen und vor allem nicht arbeiten darf, sieht er offensichtlich nicht ganz so eng). Er kommt richtig in Fahrt und erklärt mir weitere Passagen der Bibel, bis wir (trotz allem schneller als mit dem Bus) an meinem Ziel ankommen. Weil er so ein gutes Herz habe (vielleicht auch weil er eigentlich ja nicht arbeiten dürfte?), dürfe ich selber entscheiden, was ich ihm zahlen wolle, sagt er. Das wiederum finde ich sehr sympathisch!
Freitag, 25. Februar 2011
Zionistische Vegetarier
Derzeit wird in der Knesset ein Gesetz diskutiert, dass es Gemeinschaftssiedlungen erlauben würde, zu "geschlossenen Gesellschaften" zu werden: Ein Gemeinschaftsrat entschiede dann über die Aufnahme oder Ablehnung eines Zuzügers – je nach dem, ob er zur Dorfgemeinschaft passt, oder eben nicht. Wie etwa im Norden, von ein Regionalverband Richtlinien zum Schutz des "jüdischen und zionistischen Charakter" dieser Gemeinschaftssiedlungen diskutiert. Gegner kritisieren den Entwurf als diskriminierend. Sie beklagen, dass mit den Zulassungsbeschränkungen Araber aus den Siedlungen ausgeschlossen werden sollen. Wie in dem Fall eines arabischen Paares, dem die Aufnahme in die Gemeinschaftssiedlung Rakefet wegen "mangelnder Eignung" verweigert wurde. Ihre Klage ist seit Oktober 2007 beim Obersten Gericht hängig.
Die durch den Gemeinschaftsrat erzeugte "demographische Homogenität", findet einer der Initiatoren des Entwurfs, David Rotem, ist ein verbrieftes Recht, nicht auf Rasse oder Religion beschränkt und daher nicht diskriminierend: "Sagen wir, ich wäre ein strikter Vegetarier, und ich möchte, dass auch meine Kinder es sind. Dann möchte ich doch sicher sein, dass, wenn ich einmal spät bin und sie zu Freunden nebenan gehen, sie mit ihnen essen können und kein Fleisch bekommen, weil ich ja glaube, dass Menschen kein Fleisch essen wollen. Dieses Recht möchte ich haben. Wenn also eine Gemeinschaft nur Vegetarier akzeptiert, ist das keine Diskriminierung, sondern ganz okay".
Badawi
"Mr Gaddafi's personal style is recognizably that of his Bedouin background. Bedouin have plenty of time and talk a lot when there is anyone to talk to."
Oliver Miles, ehemaliger britischer Botschafter in Libyen, in einem BBC-Kommentar (24. Februar) zur Frage, warum Gaddafis Rhetorik ausserhalb Libyens so bizarr erscheint.
Oliver Miles, ehemaliger britischer Botschafter in Libyen, in einem BBC-Kommentar (24. Februar) zur Frage, warum Gaddafis Rhetorik ausserhalb Libyens so bizarr erscheint.
Donnerstag, 24. Februar 2011
Haarspaltereien
Geschlechtertrennung bis in die Haarspitzen. Die Hamas-Regierung hat die Polizei im Gazastreifen angewiesen, ein bereits vor knapp einem Jahr erlassenes Gesetz nun endlich umzusetzen. Es besagt, dass Männer Frauen keine Haare schneiden dürfen, wie Ma'an berichtet. Auch Friseurladenbesitzer dürfen ihre Geschäfte nicht betreten, falls sie männlichen und ihre Kundinnen weiblichen Geschlechts sind, Strafandrohung: 20.000 Schekel. Die Erklärung, die die Männer zu unterzeichnen hatten, beginnt mit den Worten "Ich gelobe, gute Sitten zu praktizieren, gutes Benehmen, und sündhafte Akte zu meiden". Sündhaft sind in europäischen Friseursalons vor allem die Preise…
Mittwoch, 23. Februar 2011
Auf zur lustigen Sektenschau
Eine Sekte ist eine "kleinere, meist von einer größeren christlichen Kirche abgespaltene religiöse Gemeinschaft". Sagt der Duden, Unterrubrik "Etymologie". "In den Fusspuren christlicher Sekten" heisst die akustische Stadtführung Nr. 3, die die Stadt Jerusalem seit neuestem für wissbegierige Touristen im Internet bereit hält. Herunterladen lassen sich Ton- und Bild-Dateien, ein Kartenausschnitt mit der eingezeichneten Tour sowie das Ganze als Textdatei. Die "Sektentour", steht unter der Kurzbeschreibung, ist geeignet für die ganze Familie und zu jeder Jahreszeit.
"Klerus in spektakulärer Tracht, aufgeregte Pilger, betend und grosse Holzkreuze auf den Schultern tragend, dunkle Kirchen mit Wolken von Weihrauch, Klöstergärten hinter schweren Eisengittern…", wird die Tour zu den "Abspaltern" angepriesen. Es folgt der Wunsch, man möge die Traditionen der zu besuchenden Plätze respektieren, sich sittsam zu kleiden, als Mann die Kopfbedeckung weglassen und ganz allgemein den Anordnungen des Klerus Folge leisten.
Erstaunen dürfte den Durchschnittschristen und vermutlich auch die ein oder andere "betroffene" Gemeinschaft die Stadtjerusalemer Definition des Begriffs "christliche Sekte". Highlights der Tour "in den Fussspuren christlicher Sekten", ist der Beschreibung zu entnehmen, sind das armenische Kloster, das griechisch-katholische Patriarchat, das Franziskanerkloster, die Grabeskirche, das koptisch-orthodoxe Patriarchat, die evangelisch-lutherische Erlöserkirche und die Kirche der Anglikaner...
Montag, 21. Februar 2011
Metamorphosen
Kaum verschwindet nach dem Take-Off das Anschnallzeichen, regt es sich im Flieger. Natürlich müssen die ersten aufs WC oder ihre Laptops und iPods aus dem Gepäck kramen. Eher ungewöhnlich sind die Verwandlungen, die manch männlicher Mitreisender durchmacht. Es ist gegen Sonnenaufgang, Zeit für das Schacharit, das jüdische Morgengebet. Gebetsschals (Tallits) und -riemen (Tefillin) werden aus teils kunstvoll gearbeiteten Taschen geholt und angelegt. Still oder halblaut, sitzend oder im schmalen Flugzeuggang stehend wird gebetet. Zum Glück geht der Flug nach Israel, weshalb sich vermutlich niemand was dabei denkt. Erst im Dezember hatte ein betender orthodoxe Jude auf einer Fähre in Neuseeland einen Grossalarm ausgelöst: Der Kapitän des Schiffs interpretierte die Gebetskapseln auf Stirn und Arm des Mannes als Sprengsätze und die Befestigungsriemen als Zündvorrichtung…
Tallit und Tefillin (Bild: AngerBoy/Flickr)
Weitere Metamorphosen sind mit näherrückender Landung in Tel Aviv zu beobachten – die Zahl der Kippot auf den männlichen Häuptern nimmt deutlich zu. Und spätestens die Warteschlangen vor der Passkontrolle geben einen kleinen Vorgeschmack auf das, was einen in Jerusalem geballt erwartet. Ganz links wartet eine an Kleidung und Kopfbedeckungen klar als Muslime auszumachende Gruppe von Uiguren noch immer unverändert, als ich nach knapp zwanzig Minuten zwei Reihen weiter rechts an der Reihe bin. Rechts neben der Ausländerreihen sechs Reihen "Israeli Passport", nicht wenige orthodoxe Juden. Hier geht alles ein bisschen schneller. Daneben, in ordentlichen Zweierreihen aufgereiht, eine riesige Gruppe von polnischen Katholiken, durch blaue, rote und grüne Halstücher in praktische Untergruppen aufgeteilt… Ob das Jerusalem-Syndrom schon am Flughafen seine Wirkung entfaltet?
Freitag, 18. Februar 2011
Tanzen fürs Tote Meer
Das Tote Meer soll eines der Sieben Weltwunder der Natur werden. Zu den 28 Finalisten (aus immerhin über 400 Bewerbern) gehört es schon. Ein speziell für die Unterstützungskampagne choreographierter und umgesetzter Clip des israelischen Tänzers Ido Tadmor soll dem beliebten Touristenziel in die Top 7 verhelfen. Die Empfindungen des Tänzers dürften allerdings die wenigsten teilen, die schon einmal im Toten Meer baden waren: Dies sei der Platz in Israel, an dem er sich gereinigt und gesäubert fühle, erklärte der Künstler sein Engagement für die Kampagne.
(Bild: Inbal Marmari / isr. Tourismusministerium)
Donnerstag, 17. Februar 2011
"The hot question of the day"
Die heisse Frage des Tages sei, so schreibt Haaretz-Journalistin Merav Michaeli in einem Kommentar, was die Menschen hier, also in Israel, auf die Strasse bringe: "Some say: Why should people here take to the streets? We have democracy, don't we? Free press, free consumption, a flourishing free market. People aren't going hungry, Facebook and Twitter are open to everyone. Plus, the poor here are dressed better than the poor in Egypt. Anyway, the poor in Israel are ultra-Orthodox and Arab - and for them it's a traditional thing, so they don't count. But the truth is that it is difficult to expect the Israeli public to take to the streets, because in fact it has too many things to protest." Eine Sache sei sicher, nämlich dass die israelische Regierung sich keiner Forderung von Demonstranten annehme. Ebenso wahr sei aber, dass alle auf eine Revolution hoffen - und frustriert auf jene schauen, die es nicht nur versucht, sondern auch geschafft haben: "We want the same".
Immunität versus Bestrafung
Immunität für die Rechte, Strafandrohung für die Linke. Wer sich "illoyal" gegenüber Israel und seinen Produkten zeigt, muss möglicherweise demnächst tief in die Tasche greifen. Rabbiner am rechten Rand hingegen müssen sich in Zukunft vielleicht noch weniger Sorgen machen. Wo kommen wir hin, wenn ein Haftbefehl gegen Thora-Autoritäten "dieser Grösse" ausgestellt werden, "nur" weil sie "ein Buch" unterstützt haben? Findet Michael Ben Ari von der rechts-nationalistischen "Nationalen Union".
Die "Autorität dieser Grösse" ist der Oberrabbiner von Kiryat Arba in der Westbank, und das von ihm unterstützte "Buch" mit dem Titel "Torat HaMelech" (Thora des Königs) seit seiner Veröffentlichung 2009 äusserst umstritten. Es rechtfertigt die Tötung von Nichtjuden, unter anderem dann, wenn diese eine Bedrohung für Israel darstellen. Denn ohnehin seien Nichtjuden von Natur aus ohne Mitgefühl (und scheinen daher auch keines zu verdienen).
Es sei eine rabbinische Bedienungsanleitung für das Töten von Nicht-Juden, sagen die einen. Es sei ein nur ein Buch, kontern die anderen. Und fordern ein Gesetz, dass Rabbinern rechtliche Immunität zusichert, wenn sie Büchern wie diesen ihre Rückendeckung geben.
Mittwoch, 16. Februar 2011
Boykott soll seinen Preis haben
Nach dem Loyalitätseid auf den "jüdisch-demokratischen Staat Israel" für Staatsbürgerschaftsanwärter sind nun "illoyale" Israelis im Visier: Unter Strafe gestellt werden soll die Initiierung und der Aufruf zum Boykott gegen Israelis, gegen israelische Fabriken, Firmen oder sonstige israelische Organisationen. Das Kabinettskomitee hat einem entsprechenden Gesetz bereits zugestimmt. In der Diskussion ist eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 NIS, umgerechnet knapp 8.000 Franken bzw. 6.100 Euro. Plus gegebenenfalls Schadensersatz.
Nicht nur arabische Länder, auch eine wachsende Zahl von Organisationen in europäischen Ländern ruften zum Boykott israelischer Produkte auf, vor allem jener, die aus Siedlungen in der Westbank stammen. Protest gegen Israels Politik, in Israel verständlicherweise nicht gern gesehen. Neuerdings ist das Boykott-Phänomen aber auch auf jüdisch-israelische Kreise übergesprungen. Hartnäckig war der Boykott etlicher Künstler gegen das Ariel-Kultur-Zentrum und erst kürzlich rief Israels Linke zum Boykott gegen ein Musikfestival in Eilat auf. Ihr gutes Recht in einer Demokratie, möchte man meinen. Noch.
Dienstag, 15. Februar 2011
Zwischen den Welten
"Zweiheimisch". Der Titel springt mir sofort ins Auge, als ich im Berner Bahnhof an der Buchhandlung vorbeischlendere. Es geht um bi-kulturelles Leben in Deutschland, also eigentlich nicht wirklich mein Thema. Aber die Wortschöpfung hat es mir angetan. Irgendwie klingt es poetisch. Schön, zwei Heime zu haben. Aber vielleicht auch: nirgendwo richtig zuhause sein, zwischen den Stühlen sitzen, mit gemischten Gefühlen zwischen den Welten pendeln… Ein bisschen von dem geht mir jedenfalls durch den Kopf beim ersten "Heimurlaub" nach knapp sechs Monaten. Zu unterschiedlich sind die beiden Welten, und was mal selbstverständlich war, wird zur neuen Entdeckung: die Stille am Morgen und in der Nacht, die Weite des Raumes, die Ordnung und die Zuverlässigkeit unsrer Zivilisation. Nicht zu vergessen die Konfusion, die das Switchen in zwei ganz andere Sprachen mit sich bringt, Muttersprache hin oder her!
Montag, 14. Februar 2011
Sonntag, 13. Februar 2011
Umbau
"Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Wir bauen Ägypten auf."
Schild auf dem Kairoer Tahrir-Platz, überliefert von der NZZ (13. Februar)
Samstag, 12. Februar 2011
Flüsterwitz
"Sagt der Ministerpräsident ganz vorsichtig zu Mubarak: 'Wäre es nicht vielleicht an der Zeit, dass Sie sich vom Volk verabschieden?' Fragt Mubarak: 'Warum? Wo will es denn hin?'"
Flüsterwitze kursieren in Kairos Strassen über Mubarak. Aufgezeichnet von der der libanesischen Tageszeitung Al-Akbar, weitergetragen von der NZZ (12. Februar)
Irgendwie sympathisch
In Ägypten geht eine Ära zu Ende. In Israel ist während eines ganzen Tages kein offizieller Kommentar dazu zu erhalten. Schliesslich ist Schabbat.
Donnerstag, 10. Februar 2011
Rote Linie
Die wachsende Zahl von Haredim, ultraorthodoxen Juden, stelle Israel vor grosse Herausforderungen, hiess es dieser Tage in einem Beitrag der Internetzeitung "Ynet News". Rund ein Drittel aller im vergangenen Jahr geborenen Kinder stamme aus ultraorthodox-jüdischen Familien.
Erste Auswirkungen sind in Jerusalem schon längst zu spüren. Zum Beispiel sollte Anfang März ein Musikfestival stattfinden, bei dem israelische Künstler in verschiedenen Kirchen und Konzerten musizieren. Abgesagt. Auf Druck der Haredim, heisst es. Weil Juden nicht in Kirchen auftreten sollen und Synagogen nicht einfach "Gott und der Welt" zu öffnen seien. Dass die Stadt sich dem Druck der Religiösen gebeugt hat, habe die "rote Linie der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen überschritten", klagt eine der betroffenen Künstlerinnen. "Damit fängt es an. Und dann schreiben sie uns vor, wie wir uns zu kleiden haben und wo wir hingehen dürfen!"
Mittwoch, 9. Februar 2011
Neo-Kreuzfahrer
"Die Menschen sagen, Ihr habt keine Verbindung zu diesem Land. Wir sind neue Eindringlinge, Neo-Kreuzfahrer. Wenn ich könnte, würde ich jeden von Euch in mein Büro einladen. Ihr würdet eine kleine Ausstellung von Antiquitäten der Antikenbehörde sehen. Vom Platz neben dem Tempel, der Westmauer, etwa aus der Zeit der jüdischen Könige, haben sie einen Siegelring gefunden, den Stempel eines jüdischen Beamten von vor 2.700 Jahren, mit seinem Namen in Hebräisch. Wisst Ihr, wie sein Name war? Netanyahu. Das ist mein Nachname. Mein Vorname, Benjamin, geht noch tausend Jahre weiter zurück, zu Benjamin, dem Sohn Jacobs, der mit seinen Brüdern diese Hügel durchstreifte.
Also haben wir eine gewisse Verbindung zu diesem Land, aber wir anerkennen, dass es andere gibt, die auch hier leben. Wir wollen Frieden mit ihnen, aber wir haben diese grundlegende tausendjährige Verbindung zu diesem Land. Teil der Kampagne gegen Israel ist der Versuch, nicht nur die moderne Geschichte zu verfälschen, sondern auch die alte. Es gab keinen jüdischen Tempel – habt Ihr das gehört? Dann wüsste ich gern, wo die Tische gestanden haben, die Jesus umstiess. In Tibet? Es ist der Versuch, die Geschichte neu zu schreiben, alte wie neue, und dem jüdischen Volk ihre Verbindung zum Heimatland ihrer Väter zu nehmen. Deshalb begrüsse ich die Tatsache, dass Ihr hier seid, in Israel, in Jerusalem – und vielleicht das nächste Mal in meinem Büro. Ihr werdet nicht verschont."
Premier Benjamin Netanjahu auf einer Konferenz der "Europäischen Freunde Israels" (7. Februar)
Kein Unterschied
"The Middle East is a small place. A European tourist may not see the difference between Cairo and Bethlehem."
Sagte ein Bethlehemer Verkäufers gegenüber Haaretz (8. Februar). Hintergrund: Die steigende Zahl von Touristen, die wegen der Unruhen in Ägypten nach Palästina reisen.
Dienstag, 8. Februar 2011
Dann schmieden sie Pflugscharen
Nach fast zweiwöchigem Dauerregen der erste richtig sonnige Tag. Das Ziel des wöchentlichen Wanderausflugs: Sebastiya. Zum blauen Himmel und der Sonne kommt eine angenehm frische Brise, dass man sich fast am Meer wähnen könnte. "Es ist wunderbar, hier draussen in der Natur zu sein", sagt eine, was wohl viele denken. Die zweite Hälfte ihres Satzes geht unter in ohrenbetäubendem Lärm. Zwei Kampfjets der israelischen Armee jagen über uns vorbei. Zwei Minuten Stille, dann kommt die nächste Runde, dann eine dritte und vierte. Dann ist es wieder still und es geht weiter durch uralte Olivenhaine und römische Ruinen. Kurz bevor die Sonne untergeht, als wir wieder in Sebastiya ankommen, donnern die Kampfjets wieder über unsre Köpfe, tiefer diesmal als beim ersten Mal und also lauter. Ein Palästinenser am Wegrand zuckt bloss mit den Schultern, als wir uns die Ohren zuhalten. C'est la vie. Eine Gruppe Jungs spielt auf dem Platz Fussball und lässt sich nicht beeindrucken. Der Kontrast zwischen den spielenden Kindern und dem Geschehen knapp 30 Meter über ihren Köpfen ist im wahrsten Sinne des Wortes laut. Und irgendwie surreal-bedrohlich.
Montag, 7. Februar 2011
Revolutionsangst
In Israel und Palästina ist es ruhig. Aber nicht nur Israel fürchtet sich vor dem Umbruch in Ägypten. Auch die Fatah in der Westbank und die Hamas im Gazastreifen haben offenbar Angst, dass der Funke auf die Palästinenser überspringt. In Jerusalem verstärkt die Polizei die Sicherheitsvorkehrung aus Angst vor "Nachahmern", die Fatah-Sicherheitskräfte beäugen Solidaritätskundgebungen in Ramallah ganz genau, und im Gazastreifen wurden Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. Die Motive mögen sehr unterschiedlich sein, aber in der Angst vor der ägyptischen Revolution scheinen die Konfliktparteien hier seltsam geeint.
Sonntag, 6. Februar 2011
Andre Länder ...
Eigentlich will ich "nur schnell" auf dem Weg ein paar Dosen Katzenfutter auf dem Mahane Yehuda kaufen, bevor die Dienstbesprechung beginnt. Eigentlich. Dass das mit dem "nur mal eben schnell" in diesem Land Wunschdenken ist, hätte mir nach einem knappen halben Jahr Erfahrung eigentlich klar sein müssen. Während ich meine sechs Dosen Katzenfutter in den Händen balanciere, drängen sich vier bis fünf weitere Kunden durch den knapp zehn Quadratmeter grossen Laden. Zwei sind Freunde des Verkäufers, der sich, während er Smalltalk mit ihnen betreibt, eine Zigarette ansteckt, mit einer weiteren Person telefoniert, seine Aushilfe mit wilden Gesten rumkommandiert, einem Kunden Auskunft gibt und bei einer weiteren Kundin abkassiert. Zwischendurch grinst er mich freundlich an, zeigt mir, warum auch immer, seinen Führerschein, auf dessen Foto er noch bedeutend jünger aussieht, erbarmt sich schliesslich meiner und stopft das Futter in eine Plastiktüte (Der eigens zu diesem Zweck mitgeführte Rucksack auf meinem Rücken bleibt gezwungener Massen leer). Bis ich auch den zweiten Teil des Handels – das Bezahlen – hinter mir habe, vergehen gefühlt weitere zehn Minuten. Dann grinst er mich noch freundlicher an und streckt mir einen halbvollen Becher Wodka entgegen. Ich weiss nicht, wessen Entsetzen grösser war: Meines ob des Angebots oder seines ob meiner Ablehnung. "Why? It's already half past ten!" Morgens, versteht sich.
Samstag, 5. Februar 2011
Freitag, 4. Februar 2011
Precisely
"'One thing is certain,' President Shimon Peres said this week. 'Mubarak knew how to keep peace in the Middle East.' That's precisely the problem, Mr. President: 'There is no peace in the Middle East.'"
Sayed Kashua im Haaretz-Wochenendmagazin
Fremd-Worte
Flüchtling, Camp, Laissez-passer: Nach Rotkäppchen, Zeitungsnachrichten und "Jingle Bells" (Lailat Eid) à la Fairouz steht jetzt "Lokalkultur" auf dem Arabisch-Stundenplan. Eigentlich geht es in der Lektion um Zivilstand und Personendaten. Wohl kaum einem in unsren Breitengraden kämen da Worte wie Flüchtling oder staatenlos in den Sinn. Für Samira sind sie das "Normalste" der Welt. "Ich bin Flüchtling", strahlt sie schon fast in die Runde, "ich lebe in einem Land ohne Staat, ohne Pass". Wie die meisten der hiesigen Flüchtlingscamps nichts gemein haben mit der Assoziation von staubigen Zeltlagern, sondern längst befestigte Wohnquartiere sind, sieht auch Samira nicht nach dem verängstigten, armen Menschen aus, den man vielleicht mit dem Wort Flüchtling verbinden könnte. Samira ist gebildet und hat einen Job. Die Jerusalem-ID macht sie zu einer Privilegierten unter den Palästinensern, und obwohl ihre Familie einen Grossteil ihres Besitzes im 1948er Krieg verloren hat, blieb ihr der Besitz in Ostjerusalem und der Altstadt. Dass für viele Palästinenser an dem eigenen Staat mehr als nur praktische Fragen um Rechte und Besitz hängen, zeigt das Kinderlied, dass Samira mit uns singt, "Ana tifl filestini".
Tifl filestini
بسالوني مين أناأنا طفل فاسطينيبسالوني وين ساكنساكن في ارض جدوديبسالوني كيف قادر تعيش بذل وكيف صابرليش ما ترحل و تغادر عبلاد الغبة و تهاجرأنا طفل فاسطينيبلاد الغير ما بتر ضينيفاسطين هي وطنيفيها كل الأماني
Sie fragen mich, wer ich binIch bin ein palästinensisches KindSie fragen mich: "Wo wohnst du?"Ich lebe im Land meiner VorfahrenSie fragen mich, wie ich in dieserDemütigung geduldig leben kannWarum packst du nichtdeine Koffer und wanderstaus in ein fremdes Land?Ich bin ein palästinensisches KindIch mag keine fremden LänderPalästina ist meine HeimatIn ihr sind alle meine Träumeund meine Hoffnungen
Auszug aus einem Lied der palästinensischen Komponistin Rima Nasi Tarazi
"Crazy Governement"
Netanyahu against Obama.
Lieberman against the Turks.
Yishai against the refugees.
Barak against his voters.
And the entire government
Against our future.
Anzeige der israelischen Friedensinitiative "Gush Shalom" in Haaretz (31. Dezember)
Lieberman against the Turks.
Yishai against the refugees.
Barak against his voters.
And the entire government
Against our future.
Anzeige der israelischen Friedensinitiative "Gush Shalom" in Haaretz (31. Dezember)
Mittwoch, 2. Februar 2011
Kommunikation
Das Regierungspressebüro hat einen neuen Direktor, und mit dem neuen Direktor soll sich auch an den Abläufen einiges ändern. Deshalb, so hat man uns Ende des vergangenen Jahres mitgeteilt, gelten die Pressekarten von 2010 über den Jahreswechsel hinau. Neue Karten würden voraussichtlich im März ausgestellt. Das sei aber insofern kein Problem, als dass alle Stellen darüber informiert seien.
Die jungen Sicherheitskräfte, die für den Besuch von Angela Merkel und Co. das King David Hotel grossräumig abriegelten, gehörten ganz offensichtlich nicht zu diesen Stellen. Die Pressekarte sei abgelaufen, hiess die klare Antwort auf meinen Versuch, die Sicherheitsabsperrung für das Pressegespräch zu passieren. Keine Diskussion. Erst nach zehn Minuten durfte ich dann doch passieren. Offenbar darf man auch bei Medienprofis nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass die Kommunikation reibungslos klappt...
Hiking Palestine
"Es tut gut, mal in Jerusalem zu sein", sagt die Gruppe aus Tel Aviv. "Eigentlich fahren wir ganz gern mal am Wochenende nach Tel Aviv", kontern die Jerusalemer. Jeden Samstag trifft sich die kleine Gruppe von sogenannten "Expats" (Expatriates) – "Internationals" aus Botschaften, ausländische Journalisten, NGOler, um Palästina zu erwandern. Mal durch die Wüste, mal durch ein Wadi oder auch in die Berge.
Und obwohl über kurz oder lang bei jeder Wanderung das Gespräch irgendwann beim Thema Israel-Palästina landet – kaum verwunderlich bei dieser Mischung –, sind irgendwie alle froh um diese kleinen Fluchten, sei es aus Tel Aviv oder aus Jerusalem, jedenfalls raus aus den alltäglichen Spannungen. Nur bei der Frage der Aufenthaltsdauer spaltet sich die Gruppe in zwei Lager: Jene, die am liebsten immer und ewig hier blieben gegen jene, die ganz froh sind, dass die maximale Visumsdauer fünf Jahre ist…
Dienstag, 1. Februar 2011
Maulkorb
"Seit Wochenfrist schweigt Israels Politik. Staatsbeamte und Regierungsmitglieder sind angehalten, sich jeglicher Kommentierung der Ereignisse in Ägypten zu enthalten. Das Redeverbot ist allein schon darum bemerkenswert, weil die Staatsspitze damit die Deutungshoheit über die jüngsten Umwälzungen beansprucht. Mit dieser Massnahme nähert sich der oft als einzige Demokratie im Nahen Osten bezeichnete jüdische Staat jenen arabischen Ländern an, die eigene Informationsministerien unterhalten. Wer je mit solchen in Kontakt (oder als Journalist gar auf sie angewiesen) war, kann aus Erfahrung sagen: In aller Regel dienen Informationsministerien der Desinformation, im besten Falle staatlicher Propaganda. Ausgerechnet in Israel, wo sonst offizielle Stellen besuchsweise eingereisten Reportern private Handy-Nummern von Ministern weitergeben, gilt nun ein Maulkorb. Da stimmt etwas ganz und gar nicht mehr."
Martin Woker in einem Kommentar über das israelische Schweigen zur Lage in Ägypten (NZZ vom 1. Februar)
Blumen für die Dame
Er habe erfahren, dass die Kanzlerin ein Gartenfan sei, heisst es aus dem Büro von Staatspräsident Schimon Peres. Als besondere Aufmerksamkeit schenkte Peres Angela Merkel deshalb gleich einen ganzen Korb Küchenkräuter und Winterblumen – in Form von kleinen Samentütchen und Zwiebeln. Die kann Merkel nun mit nach Hause nehmen, um im heimischen Garten geduldig auf die ersten Blüten zu warten. Ob sich hinter der Auswahl der Blümchen ein Fingerzeig in Blumensprache versteckt? "Ich fühle mich verlassen" (Anemone), aber "Ich steh zu Dir" (Iris), denn Du bist zwar "ganz schön eitel" (Narzisse), aber irgendwie auch "zauberhaft" (Ranunkel) und "unschuldig süss" (Veilchen). "Ich liebe die schlichte Häuslichkeit" (Petersilie). Letztere galt übrigens im Mittelalter als Hexen- und Geistervertreiber. Und als Aphrodisiakum.
Beredtes Schweigen
Ob Israel den Palästinensern etwas Neues anzubieten habe, fragte ein Journalist Premier Netanjahu mit Blick auf das in der kommenden Woche tagende Nahostquartett. Ein altes hebräisches Sprichwort laute "The wise man will remain silent at that time" – wer klug ist schweigt in dieser Zeit, lautete Netanjahus Antwort. In der Tat ein "altes Sprichwort", nämlich ein Bibelzitat, aus dem Buch des Propheten Amos genauer genommen. Vor nicht einmal einem Jahr wurde Netanjahus Sohn Avner zum "Bibel-Champion" Israels gekürt – gegen 12.000 Mitstreiter konnte sich der damals 15-Jährige mit seinem Wissen behaupten. Liegt da die Vermutung fern, dass Vater Benjamin sich durchaus dessen bewusst ist, woher dieses "alte Sprichwort" stammt? Und wie der Halbvers weitergeht: "Denn es ist eine böse Zeit."
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