Samstag, 23. April 2011

Heiliges Feuer


Eigentlich ist es schön, in der Altstadt zu wohnen. Nur an Ostern ist es extrem unpraktisch. Schon der Weg zur Grabeskirche zur griechisch-orthodoxen Feier der "Heiligen Feuers" ist ein Spiessrutenlauf, und die letzten vier Stunden könnte man durchaus als (unfreiwilliges) Dauerbad in der Menge bezeichnen. Auf dem Platz vor der Grabeskirche sichern unzählige Polizisten und Militär den Zugang, leiten die Massen in abgesperrte Abteile und alles läuft sehr geordnet ab - zumindest bis eine Gruppe junger Christen durch den oberen Zugang drängt. Die Wucht des Ansturms ist gewaltig, da sind auch die Sicherheitskräfte machtlos (Zustände, von denen manch einer bei uns vielleicht träumen mag). Die Masse strömt mit Trommelbegleitung und lauten Gesängen in die Grabeskirche, wird aber nach einer Weile von der Polizei wieder nach draussen begleitet. Ein erster kleiner Adrenalinstoss.
 In kleinen Grüppchen lässt die Polizei dann die Wartenden einziehen, und zumindest anfangs ist in der Kirche noch angenehm ausreichend Platz. Mit einsetzendem Glockengeläut beginnen vor allem die Frauen, sich heftig zu bekreuzigen. Manch eine muss sich die Tränen aus den Augen wischen. Das glatte Gegenteil der lebensfrohen Äthiopier gestern, die selbst Karfreitag tanzend begangen haben.
 In der Kirche wird es mit zunehmende Dauer der Feier immer enger, und als das Licht ausgeht, jubelt die Masse. Das Heilige Feuer, dass sich nach orthodoxem Volksglauben alljährlich auf wundersame Weise im Grab Christi entzündet, breitet sich über hunderte Kerzenbündel rasend schnell in der Kirche aus und taucht das Gotteshaus in ein Lichtermeer. Ein zweiter, kräftiger Adrenalinstoss. Von dort tragen die Gläubigen unter ohrenbetäubendem Glockengeläut das Licht durch die ganze Stadt nach Hause, viele haben eigens Windlichter mitgebracht zum Schutz der Flamme.

Zum wahren Geduldspiel wird der Rückweg. Die Sicherheitskräfte haben das ganze Gebiet grossräumig abgeriegelt und es ist kein Durchkommen. Alle Taktiken - Warten, Bitten, Betteln, Schimpfen, Pressekarte - nützen nichts. Am fünften Checkpoint spricht schliesslich ein junger Soldat auf meine massive Charmeoffensive an und lässt mich durchschlüpfen. Eine weitere Viertelstunde geht dafür drauf, gegen den Strom nach Hause zu schwimmen. Überlebt!

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