"Woher kommt Ihr?", fragt die freundliche Ordensschwester, die uns am Gartentor empfängt. Ich bin aus Deutschland, meine wahrheitsgemässe Antwort, während sie uns langsam durch den Garten zur Kirche führt. Mein Begleiter schweigt und lässt seinen Blick über das schöne Anwesen schweifen. "Wir sind griechisch-melkitische Christen", führt die alte Dame weiter aus und nennt mit wenigen Sätzen Patriarch, Bischöfe, Kathedrale ihrer Konfessionsgruppe. "Christen?", fragt sie weiter, als wir die Kirche betreten. Ich nicke, katholisch; mein Begleiter schweigt und vertieft sich in das Studium der Malereien byzantinischen Stils im Innern der Kirche. Sie übergibt uns in die Hände einer Mitschwester, die uns mit Hingabe in allegorischer Deutung die Malereien erklärt. Es ist ruhig in dem kleinen Kloster, im Moment sind wir die einzigen Besucher. Nach einem kleinen Rundgang durch den Olivenhain und einer aufgelassenen Eremitinnen-Zelle verabschieden wir uns von den Schwestern. Eigentlich sind wir für ein paar Fotoaufnahmen nach Bethlehem gekommen, aber noch steht die Sonne zu hoch, also entscheiden wir uns für einen Rundgang entlang der Mauer.
Arlette und Claire Anastas stehen vor dem Haus ihrer Familie – von drei Seiten umgeben von der knapp neun Meter hohen Mauer, die Bethlehem von Jerusalem trennt, bereit, ihre Geschichte jedem zu erzählen, der sich die Zeit nimmt, ihnen zuzuhören. Woher wir kommen, lautet erneut die Frage. Aus Deutschland, erneut meine Antwort; mein Begleiter schweigt. Durch den Bau der Mauer seien sie quasi abgetrennt worden – von der Familie auf der anderen Seite des Korridors zu Rachels Grab, vom (beschlagnahmten) Land ihrer Tante oberhalb des Hauses, vom Strom der Touristen auf biblischen Pfaden. Das Dach ihres eigenen Hauses dürfen sie nicht ohne vorher eingeholte Genehmigung betreten, die Weinstöcke im Garten, erklärt uns Claire, leiden unter dem permanente Schatten, den die Mauer auf das Anwesen wirft. Wut und Frustration über die israelischen Soldaten sind ihr anzumerken, mehrfach spricht sie von der "israelischer Mafia".
Ob sie jemals in Betracht gezogen hätten, wegzuziehen? Diesmal ist es mein Begleiter, der das Wort ergreift, ich schweige. Weggehen hiesse, alles zurückzulassen und damit zu verlieren, weil "die" das Anwesen "unter irgendeinem Vorwand" beschlagnahmen würden. Verkauf an Palästinenser ausgeschlossen – wer will schon hier wohnen –, an Israelis ebenso – das käme einem Todesurteil gleich, ausgeführt durch die eigenen Landsleute. Auch an der christlichen Gemeinschaft lassen die beiden Frauen kein gutes Haar. "Seid Ihr Christen?" Ich nicke: "Katholisch"; mein Begleiter schweigt. Kaum Unterstützung erhalte man von den Christen, weder den Einheimischen noch der Kirche insgesamt, und die Katholiken seien die schlimmsten. Ob er ihr ein Foto von dem neuen Graffiti vis-à-vis ihres Ladeneingangs machen könne, fragt Claire meinen Begleiter zum Abschied. Sie wolle Postkarten davon machen, für die wenigen Besucher, die bei ihrem Bethlehembesuch hier vorbeikommen. Geschichten wie die der Anastas hört man bei jedem Besuch in der Westbank. Ungewohnt ist es, sie in Begleitung eines jüdischen Israelis zu hören.
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