Donnerstag, 31. März 2011

Nyet

"In the last elections Lieberman crossed a line. A person who for years was the bad boy of Israeli politics, but nothing more than a joke with a goatee, became a nationalist and a racist. In accurate Hebrew he translated Jean-Marie Le Pen from French or Joerg Haider from German. If some of the race laws he advanced last week in the Knesset had been passed against Jews in European countries, official Jerusalem would have recalled its ambassadors for consultations […] It is true half the nation is afraid of missiles on Ben-Gurion International Airport but the other half is even more from afraid of having Lieberman as prime minister […]
When in the next election campaign Lieberman calls out in Russian 'Da, Lieberman, da,' it is necessary to stand up before him with an Israeli flag in hand and answer him in exactly the same language: 'Yvet, nyet.'"
Eldad Yaniv im Haaretz-Kommentar (31. März) "We must stop the nationalist and racist Lieberman"

Erleuchtungen IV

Montag, 28. März 2011

Fast ein Wunder

33 Jahre beteten ein Rabbiner – Chef einer kleinen Gruppe Hassidim – und seine Frau um Kinder, etliche Furchtbarkeitsbehandlungen liessen die beiden über sich ergehen. Fast schien es, als hätten die Gebete gewirkt: Mit über 50 Jahren wurde die Rabbiner-Frau schwanger. Die Frau gebar Zwillinge: Gesund und munter, aber leider Mädchen! Die Gefolgschaft des Rabbiners zeigte sich zuversichtlich. Kinderkriegen sei auch noch mit 55 Jahren möglich, also könne der Rabbi durchaus noch mit einem Sohn gesegnet werden.

Something good

"When the Knesset approves legislation banning the Nakba commemoration, it seems surreal. The Nakba is an ongoing event. No solution has been found for the refugee problem; the Arab population is discriminated against; senior cabinet ministers are threatening a sequel to the Nakba and Prime Minister Netanyahu defined the demographic issue, i.e. the Arabs' presence in their homeland, as the gravest problem.
Yet, there is also something good in this commotion. At least, there's no denial of the Nakba. Nobody claims the whole thing is a fairy-tale. The Palestinian narrative has won. The narrative that in '48 a people was exiled, by force, from its land, has been seared into Israeli and global consciousness."
Oudeh Basharat, Haaretz (24. März)

Sonntag, 27. März 2011

Freitag, 25. März 2011

Irrläufer

Jerusalem rennt. Zumindest hätte man heute diesen Eindruck bekommen können. Für einmal gehören die Strassen in der Innenstadt den rund 10.000 Läufern des ersten internationalen Marathons der Stadt. Und den unzähligen Polizisten, Soldaten, Sicherheitskräften, die den Laufweg säumen. Skuril ist das Bild, als eine Gruppe von ultraorthodoxen Juden, in schwarze Mäntel gehüllt und mit langen Schläfenlocken, auf dem Weg von der Altstadt die Laufstrecke kreuzen - inmitten einer Gruppe Sportler in kurzen Hosen und bunten Trikots. Auch die vereinzelt im Feld mitlaufenden orthodoxen Jüdinnen geben ein ungewohntes Bild: Turnschuh und neonfarbenes Adidas-Shirt, kombiniert mit blickdichten Strumpfhosen, wadenlangen Röcken und Kopftuch ... Und Jerusalem wäre nicht Jerusalem, wenn es nicht auch beim Marathon den ein oder anderen Irrläufer gäbe. In diesem Fall waren es die drei führenden Läufer, die an irgendeiner Stelle die Orientierung verloren, eine falsche Abzweigung nahmen und sich in der falschen Ziellinie wiederfanden.

Was wäre wenn...

Was wäre, wenn ein Erdbeben wie das in Japan Jerusalem träfe und alle heiligen Stätten dem Erdboden gleichmachte? Ob das der Stadt und der Region Frieden brächte? Zugegebenermassen ein etwas zynisches Gedankenspiel. Aber immerhin gehören Erdbeben zur Geschichte dieser Stadt - und israelische Wissenschaftler sagen seit Jahren ein verheerendes Beben für Israel voraus, mit möglichem Epizentrum nahe Jerusalem. Die Frage sei nicht, ob es ein schweres Erdbeben gebe, sondern lediglich wann.
Was wäre also wenn ... "Sie werden alles wieder aufbauen, jede einzelne heilige Stätte", kontert ein französischer Freund. Denn, so seine feste Überzeugung, "das ist ihre einzige Daseinsberichtigung!" "Sie" und "ihre", das sind in seinen Augen die diversen Vertreter der diversen religiösen Hierarchien, allen voran die Griechisch-Orthodoxen in der Grabeskirche. Lebhaft ist ihm die Szene in Erinnerung, als ein griechisch-orthodoxer "Wachposten" eine junge Asiatin so rüde aus der "Marschroute" seines Bischofs gestossen hat, das diese beinahe zu Boden  ging. "Sie klammern sich an ihre Macht und lassen keinen Milimeter nach!" Unmenschlich, und in jedem Fall nicht mit den jeweiligen religiösen Forderungen und Lehren vereinbar, so seine dezidierte Meinung.
Versuch Dir mal vorzustellen, Du müsstest 3,5 Millionen Pilgern und Touristen an "Deiner heiligen Stätte" jährlich begegnen, von denen die allermeisten nicht wissen, wie man sich dort zu verhalten hat, halte ich dagegen. Dabei immer sanft und freundlich zu bleiben, das wäre doch eine unmenschliche Leistung. Und ohne ein gewisses Festhalten an bestehenden Verhältnissen gäbe es vermutlich zumindest keine Christen mehr hier. Er ist nicht überzeugt. Vor allem diese ganzen Popen und Ordensleute stören ihn als Inbegriff antiquierter Machtstrukturen, deren einzige Daseinsberechtigung im Festhalten an der überlieferten Ordnung liege. Mit der usprünglichen Botschaft habe das nicht mehr viel gemeinsam. Auch vor der Al-Aksa-Moschee hat Dich jemand zurechtgewiesen, halte ich ein zweites Mal dagegen. Nicht vergleichbar - denn das war "nur" ein Wachmann, der seinen Job gemacht hat. Arbeit gegen Geld. Nicht Berufung.

Donnerstag, 24. März 2011

Seltsam gelassen

Im Herzen Westjerusalems explodiert eine Bombe. über 30 Verletzte, eine Tote.
Mehr scheint es aus Sicht der Jerusalemer dazu nicht zu sagen zu geben. Erstaunlich gelassen reagieren die Stadt und ihre Bewohner auf den Anschlag, den ersten dieser Art seit mehr als sieben Jahren. Wer nicht von Familie oder Freunden auf die Explosion aufmerksam gemacht wurde oder zufaällig gerade am Internet oder Radio sass, hat vermutlich erstmal nichts mitbekommen. "30 Verletzte - das ist nicht viel", sagt der Verkäufer im Supermarkt mit einem Achselnzucken. "When terror attempts to disrupt our way of life, the best solution is to get back to normal as quickly as possible", die lautete Reaktion des Jerusalemer Bürgermeisters: "Events in Jerusalem will not be cancelled and Jerusalem will not stop running."
"Life goes on. We'll continue to take busses, to go out", sagt ein Freund. Auch bei der abendlichen Chorprobe ist der Anschlag kein Thema. 2003 war das alles viel dramatischer, so der einzige Kommentar. Das erstaunlichste daran ist vielleicht, dass sich diese Gelassenheit überträgt. Die Sorge, es könnte sich jemand daheim zuviel Sorgen machen, überwiegen die Sorge um die eigene Sicherheit bei weitem. Auch wenn ein mulmiges Gefühl bleibt.
(Bild: Moshe Milner, GPO)

Mittwoch, 23. März 2011

"Insel der Stabilität"

"Israel is clearly an island of stability. An outpost of the free world values in a tough neighborhood, where there is no mercy for the weak, no second opportunity for those who cannot defend themselves. Thus, we must remain strong."
Verteidigungsminister Ehud Barak anlässlich eines Treffens der "Freunde der Israelischen Streitkräfte" in New York am Dienstag

Gebot

"If there is one country in the world that should have heeded the commandment 'Thou shall not build nuclear reactors,' it is Japan, and that is not 20-20 hindsight. The traumas of World War II, of Hiroshima and Nagasaki, along with the fact that Japan sits on the seam of tectonic plates, should have kept it away from that path. But Japan became a leader in the construction of reactors after all.
If there is one country in the world that should have heeded the commandment 'Thou shall not fall into the chasm of anti-democratic racism,' it is Israel. The traumas of World War II of the horrors that racism and hatred wreaked on democracy, along with the fact that Israel sits on the seam of the Islamic world, should have kept it away from that path. But the regime threatens to turn Israel into a rising anti-democratic power after all."
Sefi Rachlevsky in einem Haaretz-Kommentar zu zwei neuen Geetzen, die am Dienstag die Knesset passierten und die von ihren Kritikern als rassistisch und undemokratisch verurteilt werden

Dienstag, 22. März 2011

Von Hexen und Prinzessinnen

In den Strassen wimmelt es an diesem Tag von kleinen Prinzessinnen, Schmetterlingen, Piraten, Hexen und Robin Hood. Wer mal im Rheinland gelebt hat, dem sollte dieser Anblick durchaus vertraut sein. In Jerusalem ist er trotzdem ungewohnt. Purim, mit dem die Juden der Rettung vor der drohenden Gefahr der Ermordung durch den Perser Haman feiern, ist ein Freudenfest. In der Synagoge wird das Buch Esther gelesen, und bei jeder Nennung des Namens "Haman" wird soviel Krach wie möglich veranstaltet. Vor allem ist das Fest aber auch so etwas wie der "jüdische Strassenkarneval" - Kinder, Junge und vereinzelt auch ein paar ältere Semester ziehen verkleidet durch die Gassen. Ich schwanke, welches Kostüm mir am besten gefällt:  Der kleine ultraorthodoxe Junge, dessen Schläfenlocken so wunderbar mit den Schulterpolstern seines Raumschiff-Enterprise-Kostüms harmonieren oder der Mittvierziger, der für einmal an Purim den Ultraorthodoxen gibt, mit einem riesigem Fellhut und künstlichen Locken ...



Friedensinitiative?

"Wolf und Lamm weiden zusammen" (Jes. 65,25) - oder waren es Tiger, Kuh und Biene?

Montag, 21. März 2011

In Rom wie die Römer

"Sieh mal, frische Mandeln", sagt mein französischer Begleiter beim Spaziergang durch den Souk. Neugierig kaufen wir ein kleines Tütchen, sind aber herb enttäuscht, als wir sie zuhause probieren. Die Frucht in der pelzigen Hülle ist noch völlig unreif, nicht mal das dunkle Häutchen um die Nuss hat sich gebildet, der Geschmack ist ziemlich nichtssagend.

"Frische Mandeln", preist ein Händler seine Ware an, als wir tags drauf durch Nablus spazieren. Nicht schon wieder, geht uns durch den Kopf, aber ehe wir uns versehen, hat er jedem von uns eine Mandel in die Hand gedrückt, mit der klaren Geste, dass wir sie probieren sollen. Nun denn. Als wir anfangen wollen, die Frucht zu schälen, nimmt der Mann sie uns aus der Hand. Er holt ein kleines Tütchen Salz, streut ein bisschen auf die Schale und beisst ab, "mit Haut und Haar". Und auf einmal schmeckt es auch nach etwas, wenn auch nicht nach Mandel...

Erleuchtungen III

Samstag, 19. März 2011

Früh übt sich

Es ist Freitag, also schulfrei. Bei meinem Metzger hält der Junior - schätzungsweise 12-13 Jahre alt - allein die Stellung. Nicht so selbstsicher wie der Vater, aber dennoch mit mehr Fingerfertigkeit, als die meisten Hausmänner und -frauen es nach 20 Jahren Übung hinbekämen, zerteilt er die Fleischstücke mit dem Beil, entbeint eine Lammkeule, produziert frisches Rindshack. Von Zeit zu Zeit kontrolliert ein erwachsener Nachbar aus dem Shop nebenan das Schaffen des Nachwuchs mit kritischem Blick. Nicht ganz so ausgereift wie seine Metzger-Kenntnisse sind die Englisch-Kenntnisse des Knaben. Euphemistisch ausgedrückt (und auch die seines Nachbarn sind nicht viel besser). Wohl oder übel muss ich auf meine (mangelnden) Arabischkenntnisse zurückgreifen. Ich komme mir zwar vor wie ein Kleinkind bei den ersten Gehversuchen, aber schlussendlich bekomme ich doch, was ich möchte. Und ein stolzes Lächeln eines Nachwuchsmetzgers gratis obendrein.

Donnerstag, 17. März 2011

Hoher Besuch

Ich weiss nicht, wieviele Katholiken Jerusalem hat. Aber ein Grossteil von ihnen muss sich gestern aufgemacht haben, um die Reliquien der Heiligen Thérèse von Lisieux in Jerusalem zu empfangen und in einer feierlichen Prozession zur Co-Kathedrale des Lateinischen Patriarchats zu begleiten. Das Jaffa-Tor  - dem Eingang zu einer der Hauptachsen der Altstadt, an der üblicherweise ein ziemliches Gewimmel von Touristen, Taxis und jüdischen Betern auf dem Weg zur Klagemauer herrscht - ist für einmal völlig in Beschlag genommen, und die kleine Minderheit im Stadtbild sehr präsent.

Eine fröhlich jubelnde Menge aus Klerikern, Ordensleuten, Laien - und vielleicht hier und da vereinzelten Schaulustigen - empfängt den Prozessionszug mit dem Reliquienschrein der französischen Ordensfrau. Vorweg - darf hier schliesslich bei keiner religiösen Grossveranstaltung fehlen - die Pfadfinder mit Trommeln und Dudelsack. Ein paar orthodoxe Juden, die auf ihrem Weg von Klagemauer nach Westjerusalem durch den Prozessionszug mit Kreuz und Weihrauch aufgehalten werden, wirken sichtlich irritiert und suchen Hilfe beim Sicherheitspersonal.



Ein bisschen ist es wie Karneval, nur besinnlicher, wenn auch auf die orientalische Art. Bunte Blütenblätter werden auf den Schrein geworfen, viele versuchen, ihn im Vorbeizug zu berühren. Viele schwenken Fahnen in den vatikanischen Fahnen, bedruckt mit dem Antlitz der Karmelitin, eine Gruppe trägt ein grosses Transparent durch die Menge. 
Durch die schmale Gasse führt die Prozession zum Patriarchat, und auch dort herrscht ein andächtiges Gewimmel. Hunderte drängen nach dem Gottesdienst zum Schrein mit Teilen eines Oberschenkels und eines Fussesder Heiligen. Einmal das Schutzglas um den Reliquienschrein berühren, ihn küssen, den Rosenkranz oder den eigens zur Wallfahrt der Thérèse-Reliquien kreierten Schal auf den Schrein legen - den Reliquien so nahe sein wie nur möglich. Der Franziskaner und die älteren Pfadfinder, die mit der Ordnung vor dem Schrein betraut sind, haben sichtlich Mühe, alles in geordneten Bahnen zu halten. Eine Schwangere presst ihren Bauch fest an das Schutzglas. Ein paar Ordensschwestern verteilen untereinander Taschentücher, in die jede fein säuberlich ein paar Blütenblätter vom Schrein einwickelt. Sehr ungewohnt und gewöhnungsbedürftig aus der Sicht einer westeuropäischen Christin, aber irgendwie doch sehr bewegend.


"Israels Kernschmelze"

"The settlers are like the nuclear power station in Fukushima – a grandly built project of huge proportions, which was set up in the wrong place on the basis of false assumptions. The builders of the Japanese power station didn't take into account that one day the earth would quake and register a 9.0 magnitude on the Richter scale. Nor did the settlement builders. The Japanese power station builders didn't take into account that one day the tsunami would strike it. Nor did the settlements' builders. But both there and here the earth shook. The tsunami struck. The Fukushima power station turned into a nightmare; so did the settlements project.
The truth must be told: It was not the settlements that caused the Israeli-Palestinian conflict and stopping them will not end the conflict. But the settlements are escalating the conflict, and continuing construction in the settlements will cause Israel to lose it. So the settlements must be stopped not only for peace, but for national security. To ensure Israel's future and to save Zionism […] The radioactive cloud of illegitimacy rising from the settlements is moving toward Israel and endangering its existence." 
Ari Shavit im Kommentar "West Bank settlements are Israel's nuclear meltdown", Haaretz vom 17. März 

Mittwoch, 16. März 2011

Andere Sorgen

Umweltkatastrophe, Tausende Tote, Vermisste, Verletzte: Die ganze Welt schaut in diesen Tagen mit grosser Sorge auf Japan. Manche haben ganz andere Sorgen: "Die Israelis sorgen sich um Sushi-Mangel", meldete die Internetzeitung "Ynet-News" (16. März). Die Situation in Japan könne Auswirkungen auf das Angebot eines der beliebtesten israelischen Gerichte haben, da die meisten Zutaten aus Japan kommen. Vor allem Soja-Sosse und Wasabi könnten knapp werden. Noch studiere man aber die Situation, genaueres wisse man erst kommende Woche. Und zum Glück werden ja auch viele japanische Produkte in US-Fabriken gefertigt.

Privatsache

"A person is born for himself, to his parents and siblings, and dies for himself, he is not a symbol or a national event, and death must not be allowed to become an instrument of something."
Motti Fogel, Bruder eines der ermordeten Siedler, zur Instrumentalisierung der Beerdigung am vergangenen Sonntag

Alltag

In Tränen aufgelöst kommt eine der Altistinnen zur Chorprobe. Zum zweiten Mal innert sechs Monaten hat man ihr die Autoscheiben eingeschlagen. Eine Sopranistin kann darüber nur müde lächeln. Sie wurde Tags zuvor zuhause überfallen. "Das ist nun mal unser Schicksal im Heiligen Land", sagt die Chorleiterin, "wir müssen jeden Tag damit rechnen, zum Märtyrer werden zu können". "Noch", fügt sie stolz hinzu, "haben wir allen Übergriffen standgehalten". Die Christen werden bleiben, komme was wolle, für immer, lautet ihre unmissverständliche Botschaft. Wir singen ein Vater Unser, und damit sind die Zwischenfälle vom Tisch.

Sie spuckten Jesus ins Gesicht und ohrfeigten ihn, heisst es im Matthäusevangelium. Bis heute dauerten diese Geschmacklosigkeit in den Strassen Jerusalems an, beklagte erst vor wenigen Tagen Patriarch Fouad Twal in einer Predigt. Bis heute würden in den Menschen in den Strassen Jerusalems bespuckt, weil sie ein Kreuz oder ein Ordensgewand trügen. Jeder kenne mindestens ein Beispiel. Leider wahr.

Montag, 14. März 2011

Ratlos

Sie habe Angst, sagt eine Freundin. Angst, dass jemand nachts in ihr Haus kommt, und ihre Familie abschlachtet. So wie in Itamar. Sie wohnt in einem beschaulichen jüdischen Quartier in Jerusalem, nicht in einer Westbank-Siedlung, aber seither verriegelt sie das Haus. Die ermordete Siedlerfamilie waren Bekannte von Bekannten, sagt sie, Israel sei eben wie ein Dorf. Die beiden überlebenden Kinder der Toten sind derzeit in ihrer Nachbarschaft untergebracht. Die Wahrscheinlichkeit, in einen Unfall verwickelt zu sein oder Opfer eine Familientragödie zu werden, sei sicher grösser, sage ich und habe Mühe, ihre Angst zu verstehen. Zumal überhaupt noch nicht klar ist, aus welchen Motiven die Familie getötet wurde und es vermutlich Einzeltäter und keine organisierte Gruppe waren. Letztenendes sei ihr das ziemlich egal: Ob im befürchteten Fall eine Gruppe oder ein Einzeltäter ihre Familie tötet und aus welchen Motiven.

Sonntag, 13. März 2011

That's the answer

"Another neighborhood, that's the answer.
More building, that's the answer."
Oberrabiner Yona Metzger bei der Beerdigung der ermordeten Siedlerfamilie

Weise Worte

"We think that educating people toward peace
is an integral part of peace."
Benjamin Netanjahu zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung (13. März)

Auge um Zahn?

Gross war der Jubel in Israel, als Papst Benedikt XVI. kürzlich den zweiten Teil seines Jesusbuches vorgelegt hat. In ihm weist er nachdrücklich eine Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu zurück. Endlich, so etliche Kommentatoren, seien die Zeiten vorbei, in denen das ganze jüdische Volk für die Schuld Einzelner verantwortlich gemacht und verfolgt wurde.
Gross ist der Aufschrei in Israel angesichts der Ermordung einer jüdischen Siedlerfamilie nahe Nablus vorletzte Nacht - mutmasslich durch einen Palästinenser. Vereinzelt fordert eine Stimme auf der Internetseite von Haaretz den Stopp des illegalen Siedlungsbaus der Israelis. Die Mehrheitsmeinung der Leser von Haaretz, Jerusalem Post und Co. ist, vorsichtig zusammengefasst, eine andere: Die (schreckliche) Tat (eines Einzelnen) zeige, dass es in Eretz Israel keinen Platz gebe für (das ganze Volk der) Palästinenser. Die moderatesten Kommentare fordern, die Palästinenser dafür zahlen zu lassen. "Keine Gnade", "findet den Terroristen und bringt ihn um", "zerstört alle arabischen Dörfer im Land" oder "eine neue Siedlung für jeden getöteten Juden", lauten die erschreckenden Forderungen - und das noch bevor überhaupt klar ist, wer für die Tat verantwortlich ist und welchen Hintergrund sie hat. Für die grosse Mehrheit ist von vorneherein klar: Muslime sind "Tiere", "Schlappschwänze", "Bastarde" und alle Palästinenser "Terroristen". Der schockierendste Kommentar lautet: "Warum stecken wir nicht alle Araber in ein Vernichtungslager?"
Mehrere Dutzend Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und zusätzliche Checkpoints, die das Gebiet rund um Nablus abriegeln. Eine israelische Regierung, die als Gegenmassnahme fünfhundert Wohneinheiten in  Siedlungen in den besetzten Palästinenser-Gebieten genehmigt. Ein Innenminister Eli Yishai, der mindestens tausend neue Siedlerwohnungen für jeden getöteten Israeli fordert. Und ein Minister für Information und Diasporaangelegenheiten Yuli Edelstein, für den der Mord an der Siedlerfamilie schon jetzt eines zeigt: "The revolting murderous attack which was perpetrated last night constitutes one of many examples, which testify that there is no partner on the other side. While our children are slaughtered in their beds and Gazans celebrate the criminal butchery by handing out candies and cheering shouts of joy, I ask the international community: With whom do you expect us to talk with about peace?"

Samstag, 12. März 2011

Liturgischer Grosseinsatz

Es braucht etliche Sicherheitskräfte, um mitten am Tag auf dem Platz vor der Grabeskirche  einen breiten Korridor zu schaffen. Dann schliesst sich die grosse Tür, bevor nach ein paar Minuten die erste von vier Konfessionen ihren feierlichen Einzug beginnt. Es geht auf den ersten Sonntag der Fastenzeit zu, und die Abordnung der Lateiner - ein Bischof als Vertreter des lateinischen Patriarchs und die Franziskaner - machen den Anfang, gefolgt von den Griechen, den Kopten und den Armeniern.

Jede der Konfessionen zieht feierlich und begleitet von ihrer Ehrengarde in die Kirche ein und beginnt ihre Liturgie am Salbstein, umringt von einer riesigen Menge von Pilgern und Touristen. Jeweils in der "Pause" zwischen zwei Patriarchen belagern Dutzende von Gläubigen - zumeist Russen - den Stein, um einen Hauch des frisch vergossenen Duftöls zu erhaschen oder die frisch erworbenen Ikonen, Kerzen und Rosenkränze auf ihm hin- und herzureiben. Bis erneutes dumpfes Stampfen den nächsten Würdenträger ankündigt und das Sicherheitspersonal angestrengt versucht, den Weg frei zu machen.
In der Zwischenzeit setzen die bereits eingezogenen Konfessionsgruppen ihren Prozessionsweg fort - der Zeitplan muss schliesslich eingehalten werden. Nach einer dem Aussenstehenden nicht ohne weiteres zugänglichen Logik bewegen sich die Kirchenführer und ihr Gefolge durch den verschachtelten Raum, verharren an manchen Orten, beweihräuchern andere. Aus allen Ecken der Kirche klingen Gesänge, und selbst für erprobte Sänger und eifrige Kirchgänger dürfte es schwierig sein, dem jeweiligen Gesang der eigenen Konfession zu folgen.
Dies ist erst der Auftakt zum ersten Fastensonntag - ich bin gespannt auf Ostern!

"Are you talking about the profiling system?"

"First of all, there's no proof that this method prevents attacks. Second, what kind of message is the state sending to its Jewish citizens? The state is saying that the Arabs are dangerous and I have to check them more carefully, so the message that all Arabs are dangerous begins at the airport and spills over into other places, and is reflected in a hostile attitude and racist beliefs.
And there's a short distance between the airport and the declaration that renting homes to Arabs is forbidden. We should recall and remind everyone that it was Jews who were involved in the most significant and serious security incident in Israel - the assassination of a prime minister for whose security the Shin Bet security service is responsible. The murderer was a Jew. Would it be acceptable for all the Jews to be labeled as dangerous?"
Jack Khoury in einem Haaretz-Kommentar (9. März) zur Frage, welche Logik hinter der Ungleichbehandlung von jüdischen und nichtjüdischen Passagieren am Flughafen Ben Gurion steckt

Selbstverständnis

"The Germans have a major identity crisis. For us Israelis, it's difficult to understand what it means to be a nation that's not proud." 
Doron Halutz in einem Haaretz-Kommentar (11. März)

Dienstag, 8. März 2011

Selten einig - zum Weltfrauentag

Viele sichtbare und unsichtbare Grenzen und Gräben kennzeichnen dieses Land, aber zumindest in einer Hinsicht scheint Mann sich in Israel einig zu sein. Der achtjährige arabische Christen-Knirps, der in der Altstadt mit seinen Kollegen Fussball spielt, der muslimische Mitzwanziger, der mit seinem Kumpel durch den Souk streift, der jüdische Taxifahrer in den Sechzigern: Quer durch alle Alters- und Bevölkerugsschichten oder Religionen scheint Mann davon auszugehen, dass Frau sich nichts Schöneres vorstellen kann, als mit peinlich-anzüglich Sprüchen "beglückt" zu werden. Und wenn Frau auch rein äusserlich gar nicht so aussieht, als sei sie begeistert über die mehr oder weniger gelungene Anmache, dann muss es sicher daran liegen, dass Frau "Ja" meint, wenn sie "Nein" sagt... Es lebe der orientalische Androzentrismus!

Montag, 7. März 2011

Kleiderordnung

Der Trend ist eindeutig: Mindestens drei Viertel der palästinensischen Musliminnen trägt Kopftuch.Vor 10-15 Jahren, glaubt man jenen, die schon länger im Land sind, war es genau umgekehrt.  Für viele - vor allem jüngere - Frauen scheint das Kopftuch dabei ungeachtet der religiösen Bedeutung durch aus auch ein modisches Accessoire zu sein - perfekt abgestimmt auf Kleidung und Make-up. Das wiederum ist den konservativeren Kräften ein Dorn im Auge. Kopftuch allein reicht nicht, sagt ihre Plakatkampagne in den arabischen Bussen.  Offenbar soll das Kopftuch (und der Rest der Kleidung) vor allem eines nicht: Aufmerksamkeit erzielen...

Samstag, 5. März 2011

Botschaft cash

Money makes the world go round. Und wenn es nach der Idee einer palästinensischen Jugendgruppe geht, kann es auch die Welt verändern. Sie gründete eine Facebook-Gruppe "Let's end the occupation", die nun Palästinenser aufruft, Israel und seiner Regierung via Geldscheinen eine Botschaft zukommen zu lassen. "Free Palestine" soll auf die Schekelscheine geschrieben werden, die früher oder später mit ihrer Botschaft wieder in israelischen Händen landen. Zumindest bei den palästinensischen Banken haben sich die Jugendlichen vorher versichert, dass die beschrifteten Geldscheine auch weiter angenommen werden. Die Idee vom "Mehrwert-Geld "zieht derweil Kreise - und könnte auch auf Dollar, Jordanische Dinar und Euro ausgeweitet werden.
Bild: PNN

Donnerstag, 3. März 2011

Pro contra pro

Eine Initiative des israelischen Bildungsministers gibt zu Reden. Der Besuch der "Erzväterstadt Hebron" gehört neu zum Pflichtprogramm von Schulklassen. Im Aussenministerium kam die Idee gut an – und wurde sogleich auf alle neu ernannten Diplomaten und Auszubildenden ausgeweitet. "Ich denke, dass es richtig ist, so zu handeln, dass klar wird, dass das Grab der jüdischen Patriarchen unter israelischer Souveränität ist und bleiben wird", kommentierte Vize-Aussenminister Dany Ayalon den Entscheid. Und für Bildungsminister Gedeon Saar ist klar: "Es ist an der Zeit, dass wir damit aufhören, uns selbst und andere darüber zu belügen, dass Israel jemals die Souveränität über seinen Heiligtümer abgeben würde."

Die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich. Während ein Teil der Gesellschaft es zynisch findet, Schulkinder in die Höhle des Löwen zu schicken und vom Minister verlangt, er solle doch selbst erstmal nach Hebron fahren, findet der Vorschlag in anderen Gruppen Anklang – durchaus aus sehr unterschiedlichen Gründen. So findet die Zeitung "Yediot Aharonot", dass es keinen bessren Ort gebe als Hebron, um den Kindern den "Wahnsinn der Siedlerbewegung" vor Augen zu führen: "They should race there on segregated highways in armored buses, see the closed Arab market ...visit the Tomb of the Patriarchs and hear about the Baruch Goldstein massacre. On the way they should be exposed to the fact that Yitzhak and Ishmael were both sons of the patriarch Abraham. I'm not sure how many of them are aware of that these days."
Auch Moshe Arens befürwortet den Vorschlag in seinem Kommentar in "Haaretz". Die Gegner der Initiative, kritisiert er, seien unter den Bann der "1967er Grenzen" geraten: Nur westlich davon sei koscher. Diese "Waffenstillstandslinie" lasse aber nun mal das biblische Herzland des alten Israel östlich der Linie. Die Kritiker, so Arens, "seem to have forgotten the very foundation of Zionism: that the Jewish State is located in the Land of Israel just because it is the ancient homeland of the Jewish people, and that the Temple Mount in Jerusalem, the Tomb of the Patriarchs in Hebron and Rachel's Tomb in Bethlehem are the icons of the Jewish connection to the Land of Israel - constant reminders to one and all that the Land of Israel is the ancient homeland of the Jewish people, who have returned after 2,000 years in exile".

Dienstag, 1. März 2011

Zwei Welten

Am Kneipentisch geht heiss her. Die Runde – zwei israelische Juden, zwei vom Christentum zum Judentum konvertierte europäische Wahlisraelis und zwei europäische Christen – diskutiert das Verhältnis der Israelis zu Deutschland, den richtigen Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust und die zahlreichen Probleme dieses Landes. Es sei unglaublich, meint die junge Israelin, dass es immer noch arabische Israelis gebe, die nicht vernünftig Hebräisch sprechen. Es gebe umgekehrt wesentlich mehr jüdische Israelis, die kein einziges Wort Arabisch sprechen, die meisten Araber hingegen können sich zumindest auf Hebräisch verständlich machen, kontere ich. In Deutschland würden wir auch nicht Türkisch lernen, weil Türken die grösste Minderheit im Lande seien, ihr promptes Gegenargument – es könne ja nicht angehen, dass eine 20-Prozent-Minderheit den restlichen 80 Prozent den Ton diktiere.
Immerhin sei Israel die einzige Demokratie der ganzen Region, kommentiert einer der beiden Konvertiten. Die Sachlage in Deutschland ist anders, halte ich dagegen, denn wir haben viele Türken als Gastarbeiter selber ins Land geholt. Die Araber hingegen sind ursprünglicher Teil der hiesigen Gesellschaft. Und ob Israel eine Demokratie sei oder vielmehr gerade daran, diese stückweise zu zerstören, darüber liesse sich streiten. Schliesslich sei es mehr und mehr die relativ kleine Minderheit der Ultraorthodoxen, die in dieser sogenannten Demokratie der grossen mehr oder weniger säkularen Mehrheit ihren Lebensstil aufzwingt. Das, so meinen meine jüdischen Gesprächspartner einhellig, liege an den gemeinsamen jüdischen Wurzeln: Wie säkular ein Jude auch sein mag, er bleibt Jude. Und als solcher den religiös verwurzelten Gesetzen irgendwie verpflichtet.
Das hitzige Gespräch zieht sich bis in die frühen Morgenstunden weiter. Als Jude, sagen meine Mitstreiter, fühlt man sich eben nirgendwo sonst zuhause und hat nur Israel. Und das ist permanent gefährdet durch die arabischen Nachbarn. Gerade diese Selbstdefinition, die das "Jüdisch-Sein" über alle anderen Merkmale wie Nationalität oder Zugehörigkeit zu Kultur stellt, in permanenter Abgrenzung zur vermeintlichen oder realen Gefährdung von Aussen, ist für mich so schwer nachzuvollziehen und bereitet mir grösstes Unbehagen. Aber immerhin gut, wenn man das bis ein Uhr Nachts bei einer guten Flasche Wein diskutieren kann…

Vorsicht vor der "jüdischen Bruderschaft"

"Jews and Arabs still get along in Haifa. But if the ultra-Orthodox are taking over the city, the good relations between Jews and Arabs may also be at risk. Instead of worrying about the Muslim Brotherhood in the Arab states, we should start fearing the Jewish Brotherhood that is about to take over, and start acting accordingly."
Neri Livneh in einem Kommentar zum demograpischen Wandel in Israel (Haaretz vom 1. März)